Die Traumfabrik, Band 2 (Panini)

Juli 9, 2018

Emsig und unermüdlich werkelt Célestin weiter an seinem Traum: der körperliche ungeschlachte, aber gutmütige Jüngling, der zum Unverständnis seines Vaters nicht dessen Notarkanzlei übernehmen möchte, dreht einen Film. Unter der Hand, des Nachts im Filmstudio, in dem Célestin als Assistent arbeitet, mit heimlich organisierten Filmrollen und Laiendarstellern, die durchaus zweifelhafter Herkunft sind. Hauptperson des Dramas ist natürlich die gehörlose Dienstmagd Constance, die Célestin ja als Darstellerin in erotischen Filmen „entdeckt“ hat, die im Kino seines alten Mentors Anatole laufen.

Mit einer Truppe, bestehend aus Kurtisanen eines nahegelegenen Bordells und freiwilligen Arbeitern aus seiner Filmfirma, kurbelt Célestin gemeinsam mit seinem Kumpel Marcel ein echtes Melodrama ab: eine junge Frau gerät unverschuldet in Not, verdingt sich in einem Freudenhaus, wird von einem reichen Filmschaffenden entdeckt und macht als Starlet Karriere. Eines Nachts allerdings fliegen die geheimen Dreharbeiten auf: irgendjemand hat das Projekt wohl verraten. Aber weder Anatole, der wegen Pornographie im Knast gelandet ist, noch sein Kompagnon Jacques Mollard, der entstellte Kinopianist seines Lichtspielhauses, haben sich wohl herabgelassen, das Projekt zu sabotieren. Im Gefängnis eröffnet Anatole seinem früheren Schützling vielmehr, dass Célestin drauf und dran ist, nichts anderes als die Lebensgeschichte Constances zu verfilmen – wogegen eine gewisse Diva, die an ihrem verwelkten Ruhm darbt, einiges einzuwenden hat…

In Band 2 der wunderbaren Hommage an die Glanzzeit des Stummfilms tritt das wohlig-stimmige Zeitgemälde der Kindertage des Kinos – die Begeisterung für die vom Bildungsbürgertum verachtete Jahrmarktsattraktion, der Traum von der Karriere „beim Film“, die frühen „pikanten Films“, die zeitgenössischen Großfilme, Kinopaläste und die erstaunliche Handwerkskunst – zurück. In dem Plot (oder „Sujet“, wie man in den 20ern gerne sagte) nun unglaubwürdigen Kitsch auszumachen, ist gleichzeitig verfehlt und goldrichtig: denn nun übernimmt die Handlung selbst die Rolle der Verneigung vor den großen und kleinen Stummfilmepen.

Auf jedes Meisterwerk der Stummfilmzeit, auf jeden „Caligari“, „Dr. Mabuse“, „Dieb von Baghdad“ und „Napoleon“ kamen hunderte von am Fließband produzierten Melodramen mit teilweise haarsträubenden Handlungsverwicklungen. Diese „Sozial-“ oder „Gesellschaftsfilms“ transponierten die Welt des Trivialromans einer Hedwig Courths-Maler direkt auf die Leinwand und zeigten unglaubliche Karrieren, Tragödien und Verwicklungen, immer umschwebt vom Hauch des Lasterhaften, das man genüsslich beobachten, aber natürlich offiziell verurteilen musste.

Spätere Großmeister wie Fritz Lang und Michael Kertesz verdienten sich ihre ersten Sporen in diesem Genre, in dem vor allem der spätere „Casablanca“-Regisseur Kertesz brillierte und mit „Die Dame mit dem Handschuh“, „Dorothys Bekenntnis“, „Der falsche Arzt“, „Mrs. Tutti Frutti“ und ähnlichen Kolportage-Heulern exakt jene Unglaublichkeiten ausbreitete, die Laurent Galandon uns auch hier serviert. Auch hier ist der Titel Programm: „Die Stumme und der Gauner“ könnte über jeder Massenproduktion der 20er stehen. Gestalterisch wider hübsch umgesetzt von Frédéric Blier, erwartet alle Freunde der siebten Kunst somit erneut ein kleiner Leckerbissen, der mit diesem Teil 2 auch seinen Abschluss findet. Wie stand immer so schön am Ende jedes Melodrams: Fin. (hb)

Die Traumfabrik, Band 2: Die Stumme und der Gauner
Text: Laurent Galandon
Bilder: Fréderic Blier
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
16 Euro

ISBN: 978-3-7416-0674-8

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