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Export deutscher Spähtechnik Gabriels zweifelhafter Kontroll-Coup

Deutsche Überwachungstechnik dürfe nicht mehr an autoritäre Regimes geliefert werden, hatte Wirtschaftsminister Gabriel im Frühjahr angekündigt. Jetzt zeigt sich: Seine Anti-Späh-Offensive hat kaum Ergebnisse gebracht.
Bundeswirtschaftsminister Gabriel: Wirkungslose Anti-Späh-Offensive

Bundeswirtschaftsminister Gabriel: Wirkungslose Anti-Späh-Offensive

Foto: Maurizio Gambarini/ dpa
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Berlin - PR-technisch war der 20. Mai für Sigmar Gabriel ein guter Tag. "Gabriel stoppt Export von Späh-Software" titelte die "Süddeutsche Zeitung" auf ihrer ersten Seite. Jahrelang hätten deutsche Unternehmen ungehindert Computerprogramme zur Ausspähung in alle Welt verkauft, oft sei die Software zur Unterdrückung von Bürgerrechtlern genutzt worden. Nun aber sei Schluss: Höchstpersönlich habe Gabriel dem Treiben ein Ende gemacht.

Gabriel, der sich als Wirtschaftsminister seit Amtsantritt mit einer restriktiven Rüstungsexportpolitik profiliert, begründete seinen Plan damals moralisch: In modernen Zeiten werde politische Unterdrückung statt mit Panzern oft durch Telefonüberwachung oder das Mitlesen von E-Mails organisiert. An Staaten, die so agieren, werde Deutschland in Zukunft nicht mehr liefern.

Um den Export von Staatstrojanern, Abhör-Software und anderen Spähprodukten in entsprechende Länder zu unterbinden, kündigte Gabriel damals konkrete Schritte an. Da eine entsprechende EU-Regelung noch nicht in Kraft sei, habe er den deutschen Zoll angewiesen, verdächtige Lieferungen stärker zu kontrollieren und aufzuhalten. Möglich sei dies über sogenannte Einzeleingriffe. Einige solcher Interventionen habe es bereits gegeben.

Knapp drei Monate später zeigt sich: Es ist in der Sache nicht viel passiert. Denn es gab schlicht keine Ausfuhren, die Gabriel hätte anhalten können. Das geht aus einer umfangreichen Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger hervor. In dem Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, bleibt sogar offen, ob es eine entsprechende Anweisung an den Zoll überhaupt gegeben hat.

In dem Papier räumt Gabriels Staatssekretär Rainer Sontowski ein, dass es bisher keinen einzigen Fall gab, in dem der Zoll verdächtige Sendungen von Späh-Software angehalten habe oder das Wirtschaftsministerium direkt eingeschaltet worden sei. Wörtlich heißt es: "Die Bundesregierung hat bislang keine Kenntnis von kritischen Ausfuhren erlangt, die einen Einzeleingriff (...) erforderlich machen würden".

Auch auf die Frage, wie und wann der Zoll von Gabriels Haus zu einer vermeintlich neuen Kontroll-Praxis veranlasst wurde, weicht das Schreiben auffällig aus. Statt eine klare Anweisung zu nennen, heißt es lediglich: Die zuständigen Behörden arbeiteten "eng zusammen" und befänden sich im "regelmäßigen Informationsaustausch". Eine konkrete Änderung der Zoll-Praxis, die Gabriel in der "SZ" angekündigt hatte, wird nicht genannt.

Medienwirksame Ankündigungs-Offensive

Bedeckt hält sich Gabriels Haus auch bei möglichen aktuellen Exporten. Brugger fragte nach Ausfuhren, an denen deutsche oder teildeutsche Firmen beteiligt waren. Dabei verwies sie auf Berichte, nach denen Überwachungs- und Zensursoftware an Krisenländer wie Bahrain, Äthiopien, Ägypten, Syrien und Iran geliefert worden sei. Die Bundesregierung habe über diese Fälle "keine eigenen Erkenntnisse", antwortet das Ministerium.

Wer sich durch die 25-seitige Antwort quält, bleibt mit dem schalen Verdacht zurück, dass hinter Gabriels Äußerungen vom Mai nicht viel mehr steckt als eine medienwirksame Ankündigungs-Offensive. Die Quintessenz aus dem Papier jedenfalls lautet: Das Gabriel-Ministerium setzt sich stets dafür ein, dass die Exportregeln für Überwachungssoftware regelmäßig an den Stand der Technik angepasst werden.

Das allerdings ist Routine. Die EU beschließt regelmäßig im "Wassenaar-Arrangement" neue Vorschriften für die Ausfuhr von sogenannten Dual-Use-Gütern, unter die auch Überwachungstechnologien fallen. Im Juni einigte man sich auf Exportverbote von Trojanern, Überwachungsprogrammen und Software zum Mithören von Handy-Gesprächen. Mehr als die Umsetzung dieser Richtlinien will Gabriel anscheinend nicht angehen.

Die Grüne Brugger und ihr Kollege Konstantin von Notz werfen dem Minister Täuschung vor. "Sigmar Gabriels große Ankündigungen, die Ausfuhrkontrolle von Zensur- und Überwachungssoftware einzuschränken, haben sich als leere Worthülsen und reine PR-Kampagne erwiesen", kritisieren sie. Die Regierung forderten sie auf, schnell zu handeln, "denn nach wie vor klaffen große Lücken bei der Exportkontrolle dieser digitalen Waffen".

Einen Mehrwert indes hat das Papier aus Gabriels Haus: Immerhin listet es das finanzielle Volumen der genehmigten Hard- und Software-Exporte des vergangenen Jahrzehnts auf. Demnach lieferte Deutschland Güter, die zur Überwachung genutzt werden können, immer wieder auch an autoritäre Staaten wie die Vereinigten Emirate oder Saudi-Arabien (siehe Tabelle). Allein die Millionensummen zeigen, dass Kontrollen durchaus angebracht sind.

Deutsche Exporte Telekommunikationsüberwachung 2003 bis 2013

Jahr Bestimmungsland Wert
2003 VAE 165.153 Euro
2004 Albanien 152.365 Euro
2004 Indonesien 214.578 Euro
2006 Türkei 12 Mio Euro
2006 VAE 1.162 Mio Euro
2007 Saudi Arabien 18.254 Mio Euro
2008 Kuwait 3.067 Mio Euro
2008 Norwegen 4.755 Mio Euro
2009 Marokko 165.250 Euro
2009 Norwegen 12.500 Euro
2010 Argentinien 1.183 Mio Euro
2010 Chile 174.080 Euro
2010 Indien 231.000 Euro
2010 Indonesien 410.000 Euro
2010 Marokko 53.904 Euro
2010 Mexiko 1.172 Mio Euro
2010 Oman 3,5 Mio Euro
2010 Pakistan 3,9 Mio Euro
2010 Russland 55.100 Euro
2010 Singapur 52.633 Euro
2010 Turkmenistan 247.500 Euro
2010 USA 998.511 Euro
2011 Argentinien 169.357 Euro
2011 Indonesien 597.664 Euro
2011 Libanon 60.505 Euro
2011 Malaysia 1,3 Mio Euro
2011 Norwegen 352.770 Euro
2011 Taiwan 645.620 Euro
2011 VAE 11,75 Mio Euro
2012 Indonesien 2.009 Mio Euro
2012 Kosovo 930.000 Euro
2012 Kuweit 1,05 Mio Euro
2012 Malaysia 1,14 Mio Euro
2012 Norwegen 3,381 Mio Euro
2012 Schweiz 129.200 Euro
2012 USA 100 Euro
2013 Katar 3,366 Mio Euro
2013 Marokko 770.000 Euro
2013 Norwegen 2.252 Mio Euro
2013 Schweiz 2.256 Mio Euro