Europa:Es geht um alles

Wie steht es mit der Rechtsstaatlichkeit in Malta und in Polen? Darüber debattiert das Europäische Parlament in Straßburg leidenschaftlich. Gegenüber der Regierung in Warschau will es nun aktiv werden.

Von Thomas Kirchner, Straßburg

Es kann öde zugehen im Europäischen Parlament. Abgeordnete lesen einminütige Reden von Fresszetteln ab, eine Handvoll Zuhörer langweilt sich. Dienstag und Mittwoch hingegen blitzte auf, was das Hohe Haus zu bieten hat, wenn es seine Rolle als zentrales Forum der europäischen Politik mal ernst nimmt: Leidenschaft und Witz, eine Prise Chaos, die große Show. Es ging um das Thema Rechtsstaatlichkeit in Malta und Polen. In Wahrheit ging es um nicht weniger als: alles.

Denn, das wurde oft erwähnt in den vergangenen Monaten, ohne funktionierenden Rechtsstaat in jedem einzelnen Mitgliedsland funktioniert ganz Europa nicht, er ist Basis der Union. Die Ermordung der maltesischen Bloggerin Daphne Caruana Galizia gibt Grund zu Zweifeln. Die Journalistin war die schärfste Kritikerin der Regierung ihres Landes, das als Steuer- und Geldwäscheoase gilt. Und sie war, wie sie schrieb, engen Verbindungen zwischen Großkriminellen und der Politik auf der Spur. Musste sie deshalb sterben? Gibt es diese Verbindungen? Warum hat man noch keine Spur zu den Tätern? Wird die Aufklärung gar bewusst verschleppt?

Die Rechtsstaatlichkeit auf Malta sei "völlig zusammengebrochen", konstatierte der Christdemokrat Frank Engel. Parteifreund Esteban González Pons forderte die EU-Kommission auf, einen förmlichen "Rechtsstaatsdialog" mit Malta einzuleiten und rief: "Die Feder des Journalisten ist die letzte Verteidigungslinie der Demokratie." Auch die Malteserin Roberta Metsola appellierte ans Herz der Kollegen, der "letzten Hoffnung" ihres Landes. "Lassen Sie uns nicht fallen, jetzt wo wir Sie besonders brauchen!" Auffällig viele Christdemokraten beklagten die Zustände auf der Insel. Zusammen mit Linken, Grünen und Liberalen verabschiedeten sie eine scharfe Resolution, mit der sie ihre Sorge über die Lage der Demokratie und die Unabhängigkeit der Justiz in Malta ausdrücken.

Die Sozialdemokraten waren nicht dabei. Auch sie fordern Aufklärung, wittern aber ein parteipolitisches Spiel, schließlich ist Premier Joseph Muscat einer der Ihren. Das sei alles "wahnsinnig aufgeblasen", klagte die Malteserin Marlene Mizzi, ihr Land werde bewusst in ein schlechtes Licht gerückt. Eine Gruppe von Abgeordneten soll nun den Fakten auf den Grund gehen. Am Dienstag benannte das Parlament den Pressesaal in Straßburg nach Caruana Galizia - das Pendant in Brüssel trägt den Namen der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja. Mit brechender Stimme erinnerte der Ehemann der Toten an seine Frau und erhielt langen Applaus.

Ähnliche Kontraste rief die Debatte über Polen hervor, aus Anlass der Justizreform der nationalkonservativen Warschauer Regierung. Er schäme sich für sein Land, bekannte der polnische Liberale Janusz Lewandowski. Er wünsche sich, dass es in den Kreis der Demokratien zurückkehre. Tiefer könne man nicht fallen, ereiferte sich der Pis-Abgeordnete Ryszard Legutko und verstieg sich in eine Tirade über "Dummheiten", "unglaubliche Lügen", "Kolonialgewohnheiten" und eine "antipolnische Orgie" speziell seitens der deutschen Medien. Dann verließ er den Raum.

Während die Kommission zögert, ob sie ein Rechtsstaatlichkeits-Verfahren gegen Polen einleitet, das mit dem Entzug des Stimmrechts enden könnte, geht das Parlament voran. Es beschloss, das Verfahren bald selbst auszulösen. Nötig wäre eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen.

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