Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Spider-Man und Doctor Strange: Ein Nachruf auf Steve Ditko

Kultur Steve Ditko †

Spider-Mans unsichtbarer Schöpfer ist tot

Redakteur
Er schuf Spider-Man und Doctor Strange, und doch kannte ihn kaum jemand. Steve Ditko blieb ein Phantom. Jetzt wurde er tot in seiner New Yorker Wohnung gefunden. Ein Nachruf auf einen der Größten.
Cover - Spider Man - Steven Ditko -
Spider-Man, so, wie Steve Ditko ihn schuf
Quelle: Marvel

Also die Situation war furchtbar. Spider-Man hatte den Kampf mit Doctor Octopus, dem Brille tragenden Schurken mit künstlichen Armen, verloren, er lag in einer Fabrik oder einem unterirdischen Gewölbe unter einer zusammengestürzten Maschine. Irgendwie drang Wasser ein, es plätscherte auf den letzten Seiten von Heft 32, bald würde das Wasser Spider-Man ersaufen lassen. Zu allem Unglück lag Spider-Mans Tante im Krankenhaus, vom Tode bedroht, wenn nicht Spidey ein rettendes Medikament herbeibringen könnte; da war auch Doc Ock daran schuld, wenn ich mich richtig erinnere, der Unhold. Oh weh.

Und dann? Cliffhanger. Das bedeutete auch in Hessen, wo ich als Kind Mitte der 70er-Jahre das Comic las, das damals noch „Die Spinne“ hieß und 1,40 DM kostete, einen Monat warten. Vier Wochen. Oder waren es nur zwei? Ich kann es nicht mehr genau sagen. Aber: eine schlimme Zeit. Ich war elf oder zwölf und lebte in einem Dorf, wo es nicht mal so große Maschinen gab, von Doc Ock zu schweigen.

Ein amerikanischer Atlas

In Heft 33 lag Spidey unter der Maschine, strengte sich über fünf Seiten an, scheiterte, sinnierte, bot alle Kräfte auf, hörte die mahnende Stimme seines toten Onkels, wuchs über sich hinaus, während ihm das Wasser bis zum Hals steht. Die einzelnen Panels wurden größer, und im letzten Bild, über eine ganze Comicseite, stemmte der Held die ungeheure stählerne Last. Sein Körper war nun muskulöser gezeichnet als je zuvor, ein amerikanischer Atlas.

Lesen Sie auch

Als Kind liebte ich das Heft, ohne etwas von Steve Ditko zu wissen, dem Zeichner. Ich las es immer wieder. Aber heute gelten die Nummer 31 bis 33 als der Höhepunkt seines Schaffens, jeder „Spider-Man“-Leser erinnert sich an den Kampf mit den Stahltrümmern. Der englische Comicautor Neil Gaiman rief jetzt bei Twitter: Danke, dass du meine Kindheit unheimlicher gemacht hast.

Steve Ditko ist gestorben, 90 Jahre alt, er wurde Ende Juni in seiner Wohnung gefunden, wie die Polizei in New York jetzt bekannt gab. Neben Jack Kirby ist Ditko der höchstverehrte Comiczeichner des Silbernen Zeitalters, das in den frühen 60er-Jahren begann und bis etwa 1970 dauerte, woran man schon sieht, dass ein gewisses Nerdtum im Spiel ist.

„Die Leute hassen Spinnen“

Spider-Man war Ditkos Kind und Kreation, nicht seine Erfindung. Autor Stan Lee machte den Vorschlag, Kirby zeichnete erste Entwürfe. Der Verleger sagte nicht zu Unrecht: „Die Leute hassen Spinnen.“ Dann bekam Steve Ditko den Auftrag, die Spinnenfigur neu zu gestalten.

Steve Ditko HS Yearbook
Fotos von ihm sind rar: Steve Ditko im Jahrbuch seiner Highschool in den Vierzigerjahren
Quelle: mauritius images / Historic Collection / Alamy

Ditko stammte aus Pennsylvania, seine Eltern waren aus der Tschechoslowakei und der Ukraine eingewandert. Er hatte zuvor Horrorcomics gemacht, der Verlag hieß Atlas Comics (!). Ditko zeichnete anders als Kirby, der stets das Heroische betonte, Spider-Man als schmächtigen Jungen ohne Muskelmassen, der sich die Maske über den Kopf zog, weil er verschwinden wollte, und so zu einer anderen Persona wurde.

Peter Parkers Schüchternheit war verschwunden, wenn er am Netz durch die Straßenschluchten Manhattans schwang, sein Leid aber nicht. Und einmal zurück im braven Anzug und mit Brille, war Parker wieder Teenager. Das machte den großen Erfolg von Spider-Man aus. Seine verspielte Eleganz und sein hibbeliger Bewegungsdrang ist Ditkos Werk, die unheroische Normalität ebenso wie die melodramatische Verzweiflung, die nicht nur mir als Kind so gut gefiel.

Die fünf berühmten Seiten in „Spider-Man“ 33 sollten ursprünglich nur zwei, drei einzelne Panels lang sein, es war Ditko, der es in die Länge dehnte. Stan Lee sah es und erklärte später: „I almost shouted in triumph.“

„The Amazing Spider-Man“

Anzeige

„Amazing Fantasy“ 15 mit Spider-Mans erstem Auftritt erschien im August 1962, die US-Teenager liebten die Figur. Ab März 1963 gab es monatlich „The Amazing Spider-Man“. Die Serie steht auch für den optimistischen Aufbruchsgeist der Kennedy-Jahre. Alles schien plötzlich möglich. Selbst Teenager konnten vom Boden abheben. Grenzen lösten sich auf. Die Physik wurde überwunden.

JIM026001.TIFF Cover - Spider Man - Steven Ditko -
12 Cent für einen Helden: Frühes Spider-Man-Cover
Quelle: Marvel

Ditko und Lee schickten eine neue Figur nach der anderen in den Kampf mit Spidey. Die Schurken trugen tolle Namen, der Geier, die Echse, Electro, Mysterio, Kraven der Jäger und schließlich der Grüne Kobold. Doc Ock erschien in Heft 3 und kam dann einfach alle paar Monate wieder. Amerika, das Land der Freien und Verrückten. Mit den unbegrenzten Möglichkeiten, sich neu zu erfinden, sich zu kostümieren, auch sich zu verlieren in animalischem Drang und sinisterer Düsternis.

Ditko arbeitete in einem Studio und schickte seine Seite von dort aus zu Marvel. Bei ihm saß Eric Stanton, ein bekannter Fetischkünstler, sie kannten sich aus der Art School. Obwohl sich beide gegenseitig halfen, sagte Ditko, er habe nie Fetischzeichnungen gefertigt. Andererseits ist Spider-Mans Kostüm mit dem Spinnennetz zwischen den Armen doch ein deutlicher Hinweis auf gewisse Fesselungsfantasien. Wenn der Held Räuber und Diebe bekämpft, verspinnt er sie oft im Netz – Bondage für Bengel.

Doctor Strange

Stan Lee, heute 95, hatte meist vage Vorstellungen für den Plot, er ließ die Zeichner die Seiten zeichnen und fügte anschließend die Dialoge ein; so konnte er Dutzende Hefte im Monat betreuen. Wie wichtig Steve Ditko für die Entwicklung der Figuren war, der ihnen Aussehen, Bewegung und Leben gab, sieht man daran, dass in den „Spider-Man“-Filmen es stets „Based on the Marvel comic book by Stan Lee and Steve Ditko“ heißt, keine Selbstverständlichkeit.

Benedict Cumberbatch als Marvel-Superheld

Sherlock-Darsteller Benedict Cumberbatch spielt den Titelhelden in der Marvel-Verfilmung "Doctor Strange". Jetzt wurden die ersten Bilder veröffentlicht. Der Film soll Ende 2016 in die Kinos kommen.

Quelle: Zoomin.TV

Die andere Figur, die komplett auf ihn zurückgeht, ist Doctor Strange, ein Magier, der in New York und alternativen Welten kämpft. Ditko zeichnete, tuschte und kolorierte Bilder, in denen Dr. Strange mit den Farben selbst zu ringen scheint und die ab der Hippieära als LSD-Lobpreisung verehrt wurden. Dabei war Ditko eigentlich ein Konservativer, der sich zunehmend mit den Ideen der Philosophin Ayn Rand („Atlas Shrugged“) beschäftigte und sie in den Comics unterbrachte.

Die „New York Times“ erzählt die schöne Geschichte, dass Stan Lee, der gerne alles als sein alleiniges Werk definierte, an Colleges zugeben musste, dass Ayn Rands Einfluss nicht auf seinem Mist gewachsen, sondern Ditko zuzuschreiben war. Als vor zwei Jahren Benedict Cumberbatch den seltsamen Dr. Strange für den Marvel-Film spielte, hieß es im Vorspann: „Based on the characters created by Steve Ditko.“

Mysterio in Manhattan

Ditko und Lee zerstritten sich 1966, Ditko ging und ließ „Spider-Man“ nach 38 Heften zurück; er redete wie so viele Marvel-Zeichner jahrzehntelang kein gutes Wort mehr über Stan Lee. Ditko zeichnete weiter, auch für DC Comics, erfand Figuren wie The Question und Mr. A, aber große Popularität erreichte er nicht mehr. Sein Ruhm wuchs mit seiner Abwesenheit, Ditko gab wie J. D. Salinger keine Interviews, trat nie auf, wollte von Fans nichts wissen.

Neil Gaiman: "Steve Ditko blieb seinen Idealen treu"

Quelle: Twitter
An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Twitter
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Anzeige

Die wenigen, die ihn sprachen, Neil Gaiman etwa voller Bewunderung, berichteten von einem mürrischen Herrn, selber ein Doctor Strange und Mysterio. Ein Film von 2007 trug den Titel „In Search of Steve Ditko“, 2014 versuchte ein Journalist noch einmal, ihn aufzuspüren, er kam bis zur Tür eines Apartments, Ditko verleugnete sich selbst über die Sprechanlage.

Sein Werk sei sein Ausdruck, hat Steve Ditko in seinen wenigen Äußerungen betont, ein buntes Universum der Fantasie, in der noch die trivialste Figur über sich hinauswächst und dabei trotz farbenprächtiger Offenheit geheimnisvoll und untergründig bleibt.

Vor ein paar Jahren habe ich auf dem Dachboden meines Elternhauses einen Pappkarton gefunden, „Rabenhorster Kur-, Diät- und Gemüse-Säfte“ steht darauf. Meine Comics aus den 70ern lagen darin. Das Papier ist weich und hölzern, es glänzt nicht, wie bei Comics heute üblich. Ich habe nach den Ditko-Spider-Man-Heften gesucht, aber keine mehr gefunden. Sie sind weg. Verliehen, verloren, weggeworfen, ich weiß es nicht. Die Erinnerung lebt, frisch und eindrücklich, als habe Spidey gerade eben erst diese verdammte Maschine in die Luft gehoben und sich und mich befreit. Schwing weiter, Spider-Man.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema