Anfang des Jahres machte folgende Meldung aus Österreich
Schlagzeilen: "Marlene
Engelhorn lässt Bürgerrat 25 Millionen ihres Erbes 'rückverteilen'". Statt
ihr Vermögen zu spenden, was an sich ja schon eine Meldung wert wäre, hat die
Nachfahrin von Friedrich Engelhorn, Gründer des Chemiekonzerns BASF, einen
Bürgerrat ins Leben gerufen: 10.000 zufällig ausgewählte Österreicher*innen
werden angeschrieben und gebeten, ein Umfrageformular auszufüllen. Aus den
eingehenden Antworten soll ein Rat aus 50 Personen möglichst repräsentativ
zusammengesetzt werden, der mit Unterstützung von Expert*innen aus der
Wissenschaft an mehreren Wochenenden gemeinsam beraten wird, was mit den 25
Millionen Euro geschehen soll.
Der Name dieses Bürgerrats lautet "Guter Rat für Rückverteilung" und ist mit Bedacht gewählt. Statt des Begriffs der Umverteilung, bei dem ja immer mitschwingt, dass einigen etwas weggenommen wird, steckt in "Rückverteilung" schon die Berechtigung und Notwendigkeit, auf die Marlene Engelhorn aufmerksam machen will: Der Reichtum einiger Weniger hängt strukturell zusammen mit dem Prekariat der Vielen.
In dem Video der Pressekonferenz vom 9. Januar sagt Engelhorn in einem leisen, fast sarkastischen Tonfall: "Wenn überreiche Menschen die Welt retten wollten, hätten sie's getan, weil das Geld haben sie." Zu der Tatsache, dass in Österreich das reichste Prozent der Bevölkerung knapp 50 Prozent aller Vermögen besitzt, sagt sie, sich ihrer Gegner*innen durchaus bewusst: "Man kann streiten, ob das gerecht ist oder nicht – in meinen Augen ist es klar ungerecht – aber es ist ungleich. Und Ungleichheit […] sorgt dafür, dass die Demokratie gefährdet wird durch den überproportional großen Einfluss einiger weniger mächtiger, reicher Menschen, die ohne Mandat, ohne Rechenschaftspflicht und ohne Transparenz mit ihrem Vermögen machen können, was sie wollen, inklusive Realitäten schaffen."
Wie gut Marlene Engelhorn, geboren 1992 in Wien, mit Worten umgehen kann, hat sie in diversen Interviews bewiesen. Als linke Millionärin, die ihr Vermögen abtreten will, tourt sie schon seit einigen Jahren durch sämtliche Medien. Eingeladen und befragt wird sie nicht, weil sie schlau ist oder Expertin in Sachen Steuerpolitik, wie sie selbst sagt, sondern vor allem, weil sie reich ist. Einer Reichen hören alle gerne zu. Und sie weiß diese Tatsache für ihr Anliegen zu nutzen. Seit 2021 engagiert sich Engelhorn in der von ihr mitgegründeten Initiative "Tax me now" mit anderen Vermögenden für eine Vermögens- und Erbschaftssteuer als wirksames Mittel, um Ungleichheit entgegenzuwirken. Mit dem Bürgerrat hat sie jetzt ein demokratisches Tool geschaffen, um das ewig gleiche Machtprinzip zu durchbrechen, das jeder Großspende zugrunde liegt: Einzelne Menschen entscheiden darüber, was mit sehr viel Geld passiert.
Dass Engelhorn offen über ihre Millionen spricht, ist auch deshalb so fesselnd, weil es sonst niemand tut. Wir wissen so gut wie nichts über die sogenannten Reichen. Sie schweben in einer Sphäre, mit der wir Durchschnittsbürger*innen kaum Berührungspunkte haben. Und dann steigt von dort so eine Marlene herab und ist klug, nahbar und hat Germanistik studiert.
In einem sehr sehenswerten Interview des Formats Jung & Naiv aus dem Jahr 2021 sitzt sie dem Moderator Thilo Jung gegenüber und zitiert in den ersten Minuten Bertolt Brecht: "Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich." Aber Engelhorns Opa habe doch so hart gearbeitet, damit seine Kinder und Enkel es nicht mehr müssen, kokettiert Thilo Jung. "Erarbeitet haben das Geld ganz andere Menschen", erwidert sie darauf. All die Menschen in der Herstellung, im Vertrieb, in der Verwaltung werden wohl nicht Millionen verdient haben, "sonst wären ja Millionensummen für mich nicht übrig".
In Medienauftritten wie diesem gibt Marlene Engelhorn "den Reichen" ein Gesicht. Dazu liefert sie interessante Einblicke in die Welt, aus der sie kommt. Den Prozess ihrer eigenen politischen Bewusstseinswerdung beschreibt sie mit der Redewendung "Der Groschen fällt, aber er fällt durch Sirup". Los ging es an der Uni, wo sie zunächst dachte, ihre Mitstudierenden würden nur deshalb jobben, um ihren Lebenslauf aufzupeppen. Auf die Idee, dass sie Geld brauchten, sei sie nicht gekommen, erzählt sie. "Privilegien-Scheuklappen" nennt sie das: eine Situation, in der man mangels Austausch mit anderen Gesellschaftsschichten nicht über den eigenen Tellerrand zu blicken imstande sei. Die Vorstellung, dass Menschen mit solchen Scheuklappen großen Einfluss haben, ist natürlich gruselig. Genau darauf will Engelhorn hinaus: "Wir können nicht davon ausgehen, dass irgendwelche Privatleute vernünftig mit Macht umgehen."