«Klimapolitik verteilt das Weltvermögen neu»

NZZ am Sonntag: Herr Edenhofer, beim Klimaschutz fordern alle eine Reduzierung von Emissionen. Sie sprechen jetzt von «gefährlicher Emissionsreduzierung». Was ist das?Ottmar Edenhofer: Bisher ging Wirtschaftswachstum immer Hand in Hand mit dem Wachstum der Treibhausgasemissionen. Ein Prozent Wachstum heisst ein

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NZZ am Sonntag: Herr Edenhofer, beim Klimaschutz fordern alle eine Reduzierung von Emissionen. Sie sprechen jetzt von «gefährlicher Emissionsreduzierung». Was ist das?

Ottmar Edenhofer: Bisher ging Wirtschaftswachstum immer Hand in Hand mit dem Wachstum der Treibhausgasemissionen. Ein Prozent Wachstum heisst ein Prozent mehr Emissionen. Ins historische Gedächtnis der Menschheit hat sich eingebrannt: Wer reich ist, verfeuert dafür Kohle, Öl oder Gas. Und deshalb haben die Schwellenländer Angst vor Emissionsgrenzen.

Beim Klimaschutz sollten aber alle mitmachen, sonst funktioniert er nicht.

Das sagt sich so leicht. Aber vor allem die Industriestaaten haben ein System, das fast ausschliesslich auf fossilen Energien beruht. Es gibt kein historisches Vorbild und keine Weltregion, die ihr Wirtschaftswachstum von den Emissionen abgekoppelt hat. Da können Sie nicht von Indien oder China erwarten, dass die finden, dass das eine tolle Idee ist. Und es kommt noch schlimmer: Wir sind mitten in einer Renaissance der Kohle, weil Öl und Gas teurer geworden sind, Kohle aber nicht. Die Schwellenländer bauen gerade für die nächsten 70 Jahre ihre Städte und Kraftwerke, als ob es dauerhaft keinen hohen CO 2 -Preis gäbe.

Das Neue an Ihrem Vorschlag zu einem Global Deal ist die Betonung, wie wichtig Entwicklungspolitik für die Klimapolitik ist. Bis jetzt denken viele bei Entwicklungshilfe an Almosen.

Das wird sich sofort ändern, wenn global Emissionsrechte verteilt werden. Wenn das pro Kopf der Bevölkerung geschieht, dann ist Afrika der grosse Gewinner, und es fliesst viel Geld dorthin. Das hat für die Entwicklungspolitik enorme Konsequenzen. Und es wird sich auch die Frage stellen, wie diese Länder mit so viel Geld überhaupt sinnvoll umgehen können.

Das klingt alles nicht mehr nach der Klimapolitik, die wir kennen.

Grundsätzlich ist es ein grosser Fehler, Klimapolitik abgetrennt von den grossen Themen der Globalisierung zu diskutieren. Der Klimagipfel in Cancún Ende des Monats ist keine Klimakonferenz, sondern eine der grössten Wirtschaftskonferenzen seit dem Zweiten Weltkrieg. Warum? Weil wir noch 11 000 Gigatonnen Kohlenstoff in den Kohlereserven unter unseren Füssen haben – und wir dürfen nur noch 400 Gigatonnen in der Atmosphäre ablagern, wenn wir das 2-Grad-Ziel halten wollen. 11 000 zu 400 – da führt kein Weg daran vorbei, dass ein Grossteil der fossilen Reserven im Boden bleiben muss.

De facto ist das eine Enteignung der Länder mit den Bodenschätzen. Das führt zu einer ganz anderen Entwicklung als der, die bisher mit Entwicklungspolitik angestossen wurde.

Zunächst mal haben wir Industrieländer die Atmosphäre der Weltgemeinschaft quasi enteignet. Aber man muss klar sagen: Wir verteilen durch die Klimapolitik de facto das Weltvermögen um. Dass die Besitzer von Kohle und Öl davon nicht begeistert sind, liegt auf der Hand. Man muss sich von der Illusion freimachen, dass internationale Klimapolitik Umweltpolitik ist. Das hat mit Umweltpolitik, mit Problemen wie Waldsterben oder Ozonloch, fast nichts mehr zu tun.

Trotzdem leidet die Umwelt unter dem Klimawandel – vor allem im Süden.

Es wird auch viel bei der Anpassung zu tun sein. Aber das geht eben weit über klassische Entwicklungspolitik hinaus: Wir werden in Afrika mit dem Klimawandel einen Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge sehen. Aber damit kann man umgehen, wenn die Effizienz der Produktion gesteigert wird – und vor allem, wenn der afrikanische Agrarhandel in die Weltwirtschaft eingebettet wird. Aber dann müssen wir sehen, dass erfolgreiche Klimapolitik eben eine andere globale Handels- und Finanzpolitik braucht.

Das grosse Missverständnis vom Uno-Gipfel in Rio 1992 wiederholt sich in der Klimapolitik: Die Industriestaaten reden von Umwelt, die Entwicklungsländer von Entwicklung.

Es ist noch komplizierter. In den achtziger Jahren waren unsere lokalen Umweltprobleme für die Entwicklungsländer ein Luxusproblem. Wer schon satt ist und Auto fährt, der kann sich über sauren Regen aufregen. Für China ging es hingegen darum, wie man 600 Millionen Chinesinnen und Chinesen in die Mittelschicht bekommt. Ob da ein Kohlekraftwerk steht oder in den Kohleminen die Sozialstandards niedrig sind, das war erst einmal nachrangig – wie bei uns im 19. Jahrhundert.

Aber die Welt ist kleiner geworden.

Jetzt kommt etwas Neues: Es geht nicht mehr nur um unseren Luxus, unsere Umwelt. Den Entwicklungsländern wird klar, dass die Ursachen im Norden liegen und die Folgen im Süden. Und in den Industrieländern wird uns klar, dass für ein Klimaschutzziel von zwei Grad weder rein technische Lösungen noch Lebensstilwandel ausreichen. Die Leute hier in Europa haben die groteske Vorstellung, Einkaufen im Bioladen oder Elektroautos lösten das Problem. Das ist arrogant, denn der ökologische Fussabdruck unseres Lebensstils hat sich in den letzten 30 Jahren vergrössert, trotz Öko-Bewegung.

Sie sagen, für die erfolgreiche Klimapolitik sei ein hohes Mass an internationaler Kooperation nötig. Gerade die sieht man aber nicht.

Ich teile die Skepsis. Aber haben wir eine Alternative? Derzeit gibt es drei Ideen, wie man die schwierige Kooperation umgehen kann: Man verlegt sich auf unsichere Experimente wie das Geo-Engineering, man konzentriert sich auf den Ausbau von sauberer und sicherer Energie, oder man vertraut auf regionale und lokale Lösungen. Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass eine dieser Ideen das Problem löst. Wir müssen die Kooperation also wollen, so wie man auch für die Regelung der Finanzmärkte zusammenarbeiten muss.

Aber anders als bei der Finanzkrise hat in der Klimapolitik ein Land Vorteile, wenn es nicht mitmacht.

Die Finanzkrise war eine Notoperation – angesichts von Gefahr verhalten wir uns kooperativer. So etwas wird es beim Klima nicht geben, denn es bleibt immer fraglich, ob ein konkretes Ereignis wie eine Überschwemmung ein Klima-Phänomen ist. Aber es gibt immer die Gefahr, dass individuelle Rationalität zur kollektiven Dummheit führt. Deshalb kann man das Klimaproblem nicht allein lösen, sondern muss es vernetzen mit anderen Problemen. Es muss Strafen und Anreize geben: weltweite CO 2 -Zölle und Technologie-Transfer.

In Ihrem neuen Buch ist viel von Ethik die Rede. Spielt sie bei den Klimaverhandlungen eine Rolle?

Ethik spielt immer eine Rolle, wenn es um Macht geht. China und Lateinamerika betonen zum Beispiel immer die historische Verantwortung der Industriestaaten für den Klimawandel. Diese Verantwortung ist nicht zu leugnen, aber es ist auch ein strategisches Argument der Länder. Ich würde eine Verantwortung für die Zeit seit 1995 akzeptieren, weil wir seither wissen, was den Treibhauseffekt verursacht. Die Verantwortung bis zur industriellen Revolution auszudehnen, ist ethisch nicht gerechtfertigt.

Kann man die Ethik nutzen, um den Stillstand zu beenden?

Das Buch enthält eine Parabel: Eine Gruppe Wanderer, die Weltgemeinschaft, ist in der Wüste unterwegs. Die Industriestaaten trinken das Wasser zur Hälfte aus und sagen dann grosszügig: «Jetzt teilen wir den Rest!» Da sagen die anderen: «So geht es nicht, ihr habt das Wasser ja schon zur Hälfte geleert. Wir reden jetzt mal über eure historische Verantwortung.» Wir meinen: Wenn wir nur um den Wasservorrat streiten, weil wir uns auf die ethischen Prinzipien nicht einigen können, werden wir verdursten. Was wir suchen müssen, ist eine Oase, das ist die kohlenstofffreie Weltwirtschaft. Es geht um den gemeinsamen Aufbruch zu dieser Oase.