Zum Inhalt springen

"Flow"-Momente im Job High vom Häkeln

Wenn der Mensch bei der Arbeit eins ist mit dem, was er tut, dann heißt das "Flow", seit ein US-ungarischer Psychologe es so benannt hat. Der Flow-Berater Gerhard Huhn gibt Unterricht darin.
Häkelkunst am Fahrrad: Hier war wohl jemand im "Flow"

Häkelkunst am Fahrrad: Hier war wohl jemand im "Flow"

Foto: David Ebener/ picture alliance / dpa

Vielleicht muss diese Geschichte mit einer Schnur beginnen. Mit meiner Schnur. Ich war ungefähr sieben Jahre alt, als ich in der Schule lernte zu häkeln. Wir häkelten Luftschlangen. Unser Klassenzimmer war im ersten Stock der Schule, und weil Häkeln an sich etwas sehr Langweiliges ist, häkelten wir um die Wette, wir versuchten uns einen Sieg zu erhäkeln: Wessen Schlange erreicht zuerst den Schulhofboden?

Ich glaube nicht, dass ich gewonnen habe, ich weiß es nicht mehr genau. Aber ich weiß noch, dass ich in dieser einen Stunde so unheimlich gern gehäkelt habe wie nie wieder danach. Ich war high vom Häkeln. Ich war im sogenannten Flow.

Wenn man wissen will, wie man sich auch als Erwachsener durch Arbeit glücklich machen kann, kann man Gerhard Huhn besuchen. Er lebt in Berlin, und wer sich drei Stockwerke zu seinem Büro hochgekämpft hat, erkennt, dass hier Hilfe zur Selbsthilfe angeboten wird. Auf einem Plakat an der Tür steht ein Zitat des Philosophen Ralph Waldo Emerson: "Wessen wir am meisten im Leben bedürfen, ist jemand, der uns dazu bringt, das zu sein, wozu wir fähig sind."

Gerhard Huhn war schon viele Dinge in seinem Leben: Anwalt, Verkaufsdirektor, Verlagsleiter. Jetzt will er Menschen beibringen, wie man ohne Auszeit, ohne Meditation, ohne Kur zu jemandem werden kann, der ausgeglichen und zufrieden ist. Zu jemandem, der gern arbeiten geht.

Wie ein Rausch ohne Drogen

Die Flow-Theorie ist nicht neu. Der Pädagoge Kurt Hahn hat Anfang des 20. Jahrhunderts mit der "schöpferischen Leidenschaft" etwas Ähnliches beschrieben, und auch Maria Montessori meinte mit "Polarisation der Aufmerksamkeit" im Grunde den Flow. Doch der Begriff entstand erst in den Siebzigerjahren durch Mihály Csíkszentmihályi, einen ungarisch-amerikanischen Psychologieprofessor.

Mit "Flow" beschrieb er das Glücksgefühl, das Menschen erleben, wenn sie gänzlich in einer Beschäftigung aufgehen, wenn sie das Gefühl haben, dass alles stimmig ist. Solche Gefühle fallen Kindern besonders leicht, aber auch Erwachsene kennen sie - wenn auch nicht immer von der Arbeit. Manche erleben Flow beim Malen, andere beim Singen, wieder andere beim Sport. Es ist die Fähigkeit, sich selbst glücklich zu machen.

"Flow-Erfahrungen sind so etwas wie ein Rausch ohne Drogen", sagt Gerald Huhn. Er sitzt in seinem Büro, einem Raum voller Bücher, und er sagt: "Es ist etwas, das besonders Menschen, die ihren Beruf sehr leidenschaftlich ausüben, häufig erfahren. Man beobachtet Flow oft bei Tänzern, Schachspielern oder Chirurgen. Sie können es natürlich auch beim Häkeln erleben."

Flow, so Huhn, ist in erster Linie eine interne Rückkopplung, die uns sagt, dass das, was wir tun, genau das Richtige ist. Er entsteht, wenn man etwas als herausfordernd empfindet, es aber bewältigen kann. Er entsteht, wenn man sich auf die eine Sache, die man tut, konzentriert. So wie der Chirurg, der in einem genau abgegrenzten Bereich operiert, oder der Tänzer, der nur an die nächsten Schritte denkt. Oder wie Huhn sagen würde: "Es sind die Mikromomente des Lebens, die über unser Glück entscheiden."

Man kann in jedem erdenklichen Bereich Flow erfahren. Csíkszentmihályi hat in einem seiner Bücher einen Fabrikarbeiter beschrieben. Dieser Mann, berichtet der Forscher, war im Unterschied zu seinen Kollegen auffällig zufrieden. Es stellte sich heraus, dass er sich ein Produktionsziel gesetzt hatte, das leicht über dem von der Firma vorgegebenen Ziel lag. Er schnitt Räucherlachs auf und arbeitete jeden Tag daran, mit möglichst wenigen und guten Schnitten dafür zu sorgen, dass nur ein winziger Fischanteil an der Gräte hängen blieb.

SPIEGEL WISSEN 4/2015

Es war für ihn nicht einfach, das Ziel zu erreichen, aber es war machbar. An den Tagen, an denen er es erreichte, war er im Flow. Und machte vermutlich nicht nur sich selbst glücklich, sondern die Fischfirma auch.

Es gibt keinen Königsweg zum Flow, und man kann ihn nicht von oben verordnen. Es geht auch nicht nur darum herauszufinden, was man gut kann, sondern auch darum, ob es sich mit dem, was man vom Leben will, verträgt. Will man Anwalt sein, weil es einen glücklich macht? Oder will man Anwalt sein, weil der Vater schon Anwalt war? Will man den Kuchen für den Kindergeburtstag wirklich selbst backen - oder tut man es nur, weil alle anderen Mütter das auch tun?

Man könnte den Flow schnell mit Karriere und Anerkennung verwechseln. Doch Flow habe nicht nur etwas mit Leistung zu tun, sagt Huhn. Er kann beim Kochen entstehen, wenn man etwas Neues probiert - und es gelingt. Oder beim Fotografieren, wenn man nach 100 Aufnahmen die eine macht, die so ist, wie man sie wollte.

Oder wenn man so eine richtig lange Schnur häkelt.

Britta Stuff ist inzwischen vom Häkeln abgekommen und stattdessen dem "binge watching" verfallen: Sie schaut Serien am Stück, manchmal bis tief in die Nacht.Mail: britta_stuff@spiegel.de