WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Print
  3. WELT KOMPAKT
  4. Kultur
  5. Ameise im Zimmer der Kinder

Kultur

Ameise im Zimmer der Kinder

Marvel schickt seinen kleinsten Superhelden ins zweite Filmgefecht. In „Ant-Man and the Wasp“ muss er mit den Anforderungen des modernen Vaterseins kämpfen

Was unternehmen Sie eigentlich in der Freizeit so mit Ihren Kindern? Nehmen wir einmal Scott Lang als Beispiel. Scott Lang baut aufwendige Labyrinthe aus Kartons und Kissen, die er mit mechanischen Ameisen und lustigen Fallen ausstattet, um die ausgetüftelte Schatzsuche für seine Tochter Cassie noch spannender zu gestalten. Als krönenden Abschluss gibt es eine Rutschfahrt vom Dachboden seines Hauses bis in den Garten. Alles selbst gebastelt. Alles für seine Tochter. Scott Lang ist ein Supervater, der Standards für moderne Erziehungsberechtigte setzt.

Dazu hat er auch noch ein super Verhältnis zu seiner Ex-Frau Maggie und ihrem neuen Lebensgefährten Paxton, bei denen die Tochter die Hälfte der Zeit lebt. Innige Umarmungen gehören dazu, wenn sich die Patchworkfamilie an der Haustür trifft. Sie sorgen sich umeinander und versorgen in aller Eintracht ihr gemeinsames Kind.

Wenn die Fußballschuhe der Tochter mal nicht in der einen Wohnung zu finden sind, dann hat man den Schlüssel zur Wohnung des anderen, um vertrauensvoll dort zu schauen. Wahrscheinlich fahren sie auch alle gemeinsam in den Urlaub. Das sieht man nicht, man mag es sich einfach nur gern vorstellen.

Aber das Idyll ist nicht von Dauer. Leider, denn man hätte es sich gern noch länger angeschaut. Aber irgendwann muss der Marvel-Film, in dem diese Eintracht spielt, das tun, was ein Marvel-Film nun mal tun muss: nämlich die Geschichte eines Superhelden erzählen, nicht die eines Supervaters.

Und Scott Lang ist eben auch noch Ant-Man, ein ehemaliger Kleinkrimineller, dessen hautenger Anzug es ihm erlaubt, sich so weit zu schrumpfen, dass er auf Ameisen reiten und mit ihnen kommunizieren kann. Auf sein Kommando stürzen sich die Insekten auch in den Tod. Dabei bietet er ihnen als Mensch im Gegenzug recht wenig. Am Anfang von „Ant-Man and the Wasp“, dem zweiten Film über den Ameisenmann, steht Scott Lang (ein überraschend durchtrainierter Paul Rudd) unter Hausarrest.

Im Marvel-Franchisewahn war er in der Vergangenheit Teil der Avengers, jenes Superteams, das inzwischen mehr Mitglieder als Plottwists hat. In „Captain America: Civil War“ hatte sich Ant-Man vor zwei Jahren von dem völlig unsuperen FBI bei einer misslungenen Avengers-Mission in Deutschland erwischen lassen und sitzt deshalb nun daheim und wird zum Übervater. Alles hätte so schön sein können, wäre nicht mal wieder die Welt bedroht.

Der Physiker Hank Pym (Michael Douglas, mittels Computertechnik teilweise arg verjüngt) war im Kalten Krieg mal als Ant-Man unterwegs. Er hatte den Schrumpfanzug erfunden, den Lang heute trägt. Gemeinsam mit seiner Frau Janet van Dyne (Michelle Pfeiffer als groteske Partikelelfe), die mit ihrem Wespenanzug ähnlich wundersame Kräfte wie Ant-Man hatte, kämpfte er gegen russische Atomraketen. Dabei ging etwas schief. Janet van Dyne schrumpfte sich so klein, dass sie zwischen den Atomen hindurchrutschte und in der Quantenwelt landete.

Während Scott Lang 30 Jahre später nun zu Hause Zaubertricks lernt, um seine Tochter zu verblüffen, arbeitet der Physiker Pym mit seiner inzwischen erwachsenen Tochter Hope (Evangeline Lilly), die die Rolle als Wasp übernommen hat, im Geheimen weiter daran, seine Frau aus dieser verflixten Quantenwelt zu befreien. Dazu braucht es riesige Maschinen, vergrößerte Arbeiterameisen und unerklärliche Theorien, die einfach damit gerechtfertigt werden, dass alle ganz häufig das Wörtchen Quantum sagen.

Als der Bösewicht mit dem Bösewichtnamen Sonny Burch (Walton Goggins gewohnt fies verkniffen) von diesen Versuchen erfährt, ist er überzeugt: „Vergesst Bitcoin und Nanotechnologie, Quantenenergie ist die Zukunft.“ Als Bösewicht will er Teil dieser Zukunft werden (mit gefährlichen Konsequenzen für die Weltbevölkerung natürlich) und ist also superböse zu Pym und seiner Tochter.

Anzeige

Deshalb muss Scott Lang sein ausfüllendes Vatersein aufgeben und sich in die zeitlich völlig entgrenzte Superheldenarbeit stürzen. Was natürlich dazu führt, dass er kaum noch für seine Tochter da sein kann, die sich nichts sehnlicher wünscht, als seine Superpartnerin zu werden, um wieder mehr von ihrem Vater zu haben.

Zwischendrin wird vieles geschrumpft und vergrößert: Hot-Wheels-Autos, PEZ-Spender, ganze Häuser. Für wilde Verfolgungsjagden nutzt Ant-Man fliegende Ameisen, was sehr schnell aussieht, aber sehr ineffektiv sein müsste, da die Insekten bei Windstille maximal 20 Kilometer pro Stunde schnell sind. Und wenn der Plot mal wieder nicht weitergeht, dann sagt irgendjemand Quantum, und alle wissen Bescheid.

„Ant-Man and the Wasp“ hätte Marvels erster Film für Erwachsene werden können. Scott Lang hätte einfach sagen müssen: „Ich kann gerade nicht, ich muss mich um meine Tochter kümmern.“ Hat er aber nicht, und so ist es ein Marvel-Film geworden. Schade.

++--- Geschichte eines Superhelden, nicht die eines Supervaters.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema