Der Pianist im Konzertfrack schreitet skeptisch auf den Flügel zu, in einem Scheinwerferkegel, der draußen auf der Open-Air-Bühne auch Insektenschwärme anzieht – Hummelflug an den Tasten und im Gesicht? Musik zu machen, ist auch eine schwierige Kunst, eine Herausforderung.
Für die kleinen Menschen in der großen Welt, die Sempé wiederum mit größter Leichtigkeit zeichnet, stehen die putzigen Figürchen oft herum wie bestellt und nicht abgeholt: auf dem Bahnsteig wartet höchst einsam ein Streichquartett; ein Quintett steht vor einem Pavillon herum im herbstlichen Park und blickt auf leere Stühle; oder auf einer Brücke sitzen und stehen vier Musiker, mit Hüten und Schals, die Instrumente in den Koffern – wann dürfen sie endlich spielen?
Immerhin, ein hektischer Klarinettist mit langer Nase und Halbglatze – ja, ein typisches Mitglieder der Sempé-Population – übt heimlich im leeren Orchestergraben eines Opernhauses, während das Reinigungspersonal durch die Sitzreihen kehrt. Musik jedenfalls klingt immer mit in den humoristischen Zeichnungen des mittlerweile 86-jährigen Franzosen: sicht- und unsichtbar, jubilierend und lamentierend.
Aber es ist, bei aller Melancholie, am Ende verschmitztes Glück: Herrlich, wie ein Kellner im Smoking und mit Fliege – die uniforme Verwandtschaft mit dem klassischen Musiker und dem ehrenwerten Jazzer – nach einem Konzert im verlassenen Club sein Tablett mit dem dreckigen Geschirr abstellt, sich den Kontrabass greift und darauf eine Melodie zupft. Ein paar feine Striche nur, und Sempé hat diesem Mann  – große Nase, Halbglatze, man kennt ihn – ein auch auf einem Schwarz-Weiß-Cartoon geradezu sichtbares, von innen heraus glimmendes Leuchten ins Gesicht gelegt.
„Musik“ heißt ein wunderbarer Band mit vielen Zeichnungen Sempés, den der Diogenes Verlag jetzt auf Deutsch herausgebracht hat: Dazu gehört nämlich ein langes Gespräch, das Marc Lecarpentier mit Jean-Jaques Sempé geführt hat, und dabei erzählt der auch als Illustrator des kleinen Nick von René Goscinny unsterblich bekannte Zeichner und Karikaturist, dass er eigentlich lieber Musiker geworden wäre.
Der Junge aus Bordeaux aus schwierigen familiären Verhältnissen tröstete sich am Radio mit Duke Ellington, Ray Ventura, Ravel und natürlich Debussys „Clair de lune“. Swing, Modern Jazz und ein verträumter Impressionismus. „Es war die Musik, die mir das Leben gerettet hat. Ich glaube, ohne sie wäre ich verrückt geworden. Noch mehr, als ich es sowieso schon bin.“ Weshalb er dann doch Zeichner geworden ist? „Ganz einfach, weil Papier und Stift für mich erschwinglich waren und ein Klavier eben nicht.“ Sempé hat dann später doch gespielt, und einmal auch mit seinem Idol Duke Ellington. Es war in Saint-Tropez, als sich plötzlich eine Hand auf die Schulter des dilettierenden Pianisten legte: „Kommen Sie, ich spiele die linke Hand und Sie die rechte.“ Er habe vor Aufregung alles herausgeschwitzt, was ein menschlicher Körper nur schwitzen könne. Sie kamen dann ins Gespräch: „Sagen Sie mal, wenn in Ihrem Orchester ein Trompeter, der einen Meter neunzig groß ist, krank wird, und Sie ihn im letzten Moment durch einen kleinen Trompeter ersetzen müssen, wie finden Sie dann rechtzeitig einen passenden Anzug?“
Duke Ellington war verblüfft: „Ich sehe, dass Sie mich wirklich gern haben müssen . . . wenn die Leute mit mir reden, werde ich immer nach der schwarzen Seele meiner Musik gefragt.“ Eine herrliche Anekdote. Und so zeichnet Sempé: unheimlich detailverliebt, mit einem realistischen wie heiteren Blick, der sanft jede Verzweiflung aufbricht. Marc Lecarpentier hat Recht: Sempé hat auch als Zeichner den Swing.

Der kleine Nick und Herr Sommer

Zur Person Jean-Jacques Sempé, geboren 1932 in Bordeaux, lebt in Paris. Er schuf Karikaturen für „Paris Match“, „Punch“, „Marie-Claire“ und „L’Express“, von 1978 zeichnete er für den „New Yorker“. Sempé arbeitete mit den Autoren René Goscinny, Patrick Modiano und Patrick Süskind zusammen, so entstanden Figuren und beliebte Bücher wie „Der kleine Nick“, „Catherine, die kleine Tänzerin“ und „Herr Sommer“.