Stan Lee – der Zeus der Superhelden ist tot

Der Comicautor Stan Lee wurde von einer Riesen-Fangemeinde kultisch verehrt. Jetzt ist der Vater der allerersten Reihe von Superhelden aus dem Marvel-Comics-Universum mit 95 Jahren in einem Spital in Los Angeles verstorben.

Jürg Zbinden
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Stan Lee in Los Angeles im Jahr 2010. (Bild: Reuters)

Stan Lee in Los Angeles im Jahr 2010. (Bild: Reuters)

Superheroes oder Superhelden sind für Millionen Jugendliche, was die Götter in Gustav Schwabs «Sagen des klassischen Altertums» den humanistischen Gymnasien waren: ein nicht wegzudenkender Teil ihres Selbstverständnisses. Der Platz, den der Autor Stan Lee im Comic allgemein und speziell im Marvel-Universum einnimmt, entspricht ohne Übertreibung jenem des Göttervaters Zeus im Olymp.

Er schuf Figuren wie Spider-Man, Thor, Iron Man oder Hulk – am 12. November ist Stan Lee 95-jährig gestorben. Mit Blumen und Widmungen gedenken seine Fans des Comicautors bei dessen Stern auf dem Walk of Fame in Los Angeles. (Bild: Mario Anzuoni / Reuters)
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Stan Lee schuf für Marvel Comics zusammen mit Zeichnern wie Jack Kirby eine Reihe von Superhelden. Bild: Thor (Chris Hemsworth) in einer Szene aus «Avengers: Age of Ultron» (2015), einem amerikanischen Science-Fiction-Actionfilm, der als Comicverfilmung auf den Geschichten des Superhelden-Teams The Avengers des Verlags Marvel basiert. (Bild: Imago)
Stan Lee posiert vor einem Plakat von «Iron Man 3» bei der Premiere des Films im El Capitan Theatre in Hollywood (2013). (Bild: Mario Anzuoni / Reuters)
Eine seiner berühmtesten Figuren ist Spider-Man, den Stan Lee gemeinsam mit dem Zeichner Steve Ditko kreierte. Das Bild zeigt die Figur (gespielt von Andrew Garfield) in der Comicverfilmung «The Amazing Spider-Man» aus dem Jahr 2012. (Bild: Imago)
Stan Lee zusammen mit der Darstellerin Scarlett Johansson, die die Schwarze Witwe spielte, an der Weltpremiere von «Marvel’s The Avengers» (2012) in Hollywood. (Bild: Danny Moloshok / Reuters)
«Iron Man» wurde 2008 mit Robert Downey junior in der Hauptrolle verfilmt. Der Film wurde für zwei Oscars nominiert und spielte weltweit über 585 Millionen US-Dollar ein. (Bild: Imago)
Ein Handschlag mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush anlässlich der Verleihung der National Medal of Arts 2008 im Weissen Haus in Washington. Es handelt sich um die bedeutendste Auszeichnung, die durch den Kongress der Vereinigten Staaten an Künstler und Förderer der Künste verliehen wird. (Bild: Imago)
Ebenfalls eine grosse Comicfigur von Stan Lee war Hulk. Ang Lee verfilmte die Comic-Story 2003 mit Eric Bana in der Hauptrolle. (Bild: Imago)
«The Incredible Hulk» war zuvor eine Fernsehserie gewesen, die von von 1978 bis 1982 gedreht wurde. Hulk wurde vom Schauspieler und Bodybuilder Lou Ferrigno verkörpert, der hier 2003 mit Stan Lee an der Premiere des Hulk-Films zu sehen ist. (Bild: Fred Prouser / Reuters)
Thor (Eric Kramer) und Hulk (Lou Ferrigno) posieren 1988 mit ihrem Schöpfer. Die Comics mit den beiden Superhelden von Stan Lee und Jack Kirby wurden 1962 erstmals veröffentlicht. (Bild: Nick Ut / AP)
Stan Lee 1976 zusammen mit dem Zeichner John Romita bei der Besprechung eines Entwurfs zu einem Spider-Man-Comic. Der legendäre Comichelden-Schöpfer verstarb am 12. November 2018 im Alter von 95 Jahren nach einem medizinischen Notfall in Los Angeles. Zum Artikel (Bild: AP)

Er schuf Figuren wie Spider-Man, Thor, Iron Man oder Hulk – am 12. November ist Stan Lee 95-jährig gestorben. Mit Blumen und Widmungen gedenken seine Fans des Comicautors bei dessen Stern auf dem Walk of Fame in Los Angeles. (Bild: Mario Anzuoni / Reuters)

Der Sohn rumänischer Einwanderer wurde am 28. Dezember 1922 in New York geboren und fand bereits früh zur Kunst mit den Sprech- und Denkblasen. Als Neunzehnjähriger unterschrieb er 1941 erstmals eine von ihm verantwortete «Captain America»-Textseite mit dem Pseudonym Stan Lee, nicht ahnend, dass dieser «sein» erster und amerikanischster aller nachfolgenden Superhelden 70 Jahre später unter dem Titel «Captain America: The First Avenger» die Kinokassen in aller Welt klingeln lassen würde, Fortsetzungen exklusive. Erfunden hat Captain America allerdings nicht Stan Lee, sondern sein Kollege Joe Simon, in Arbeitsgemeinschaft mit dem ebenfalls legendären Zeichner Jack Kirby. Aus dem 1939 von Martin Goodman gegründeten Comicverlag Timely Publications wurde 1951 Atlas Comics und 1961 schliesslich Marvel Comics.

«Hulk». (Bild: Wikipedia)

«Hulk». (Bild: Wikipedia)

Krisenjahre der Superhelden

Die Nachkriegsjahre waren die Hungerjahre der Superhelden und damit ihrer Autoren und Zeichner. Ende der 1950er trug sich Stan Lee gar mit dem Gedanken, die Karriere an den Nagel zu hängen. Zum Glück überlegte er es sich anders. Innert kurzer Zeit schufen Lee und Kirby die Fantastic Four, den grünen Kraftprotz Hulk, Black Panther, Iron Man, Thor und die X-Men, allesamt Marvel-Ikonen, die sich Jahrzehnte später auf der Leinwand zu einem seriellen Milliardengeschäft auswachsen sollten. Dass Stan Lee nicht unbedingt auf das zeichnerische Genie Jack Kirbys angewiesen war, bewies er an der Seite von Steve Ditko. Auf das Konto dieses Duos gehen Spider-Man und Dr. Strange, des Weiteren schuf er mit Bill Everett den blinden Rächer Daredevil, der zwar im Kino mit Ben Affleck in der Titelrolle floppte, aber bei Netflix im Fernsehen immerhin schon eine dritte Staffel überlebt hat.

«Spider-Man». (Bild: Wikipedia)

«Spider-Man». (Bild: Wikipedia)

Nicht umsonst wird der Comicautor für die Komplexität seiner Charaktere geschätzt und bewundert. Einer der glühendsten Bewunderer des Comicautors ist selber eine Kunstfigur: In Staffel 3, Folge 16, von «The Big Bang Theory» verpasst Sheldon (Jim Parsons) wegen eines Gerichtstermins eine Autogrammstunde mit der Comic-Legende, seinem Über-Idol, und ist deshalb untröstlich. Tatsächlich erscheint Stan Lee in einem Cameo, einem Kurzauftritt. Berühmt für seine Cameos war ja vor allem Sir Alfred Hitchcock, der es sich nicht nehmen liess, durch 39 seiner 52 erhaltenen Filme zu huschen. Diesbezüglich hat Stan Lee den Master of Suspense allein mit Cameos in Marvel-Produktionen locker übertroffen, hinzu kommen mehr als ein Dutzend Gastauftritte in anderen Universen. Es machte ihm offensichtlichen Spass, sich selber zu spielen.

«Daredevil». (Bild: PD)

«Daredevil». (Bild: PD)

Marvel Comics ist insbesondere auch dank Stan Lee ein Mediengigant geworden. Lees erstes Verdienst ist die Erschaffung mythischer Superhelden, die moderne Leidensfiguren und gleichzeitig Erlöserfiguren darstellen, letztlich quasireligiöse Stellvertreter.

2017 ist ihm seine Frau Joan, mit der er 70 Jahre verheiratet war, vorausgegangen. Nun, ein Jahr später, ist ihr Stan Lee gefolgt. Die lebende Legende ist nicht mehr. Aber seine Superhelden sind unsterblich, durch sie lebt die Legende fort.