Raif-Badawi-Award : »Nach der Preisverleihung muss ich zum Verhör

Von: Von Antje Schippmann

In Deutschland wird er für seinen Mut ausgezeichnet, in seiner Heimat verhaftet und verfolgt. Der marokkanische Journalist Ali Anouzla ist der erste Preisträger des „Raif Badawi Award“, dem Preis für mutige Journalisten, benannt nach dem zu 10 Jahren Haft und 1000 Schlägen verurteilten saudischen Blogger.

Anouzla greife genau wie Badawi Tabuthemen auf und scheue nicht davor zurück, das marokkanische Königshaus zu kritisieren, so die Begründung der Jury. Der Preis soll eine Botschaft an die Reformkräfte in dem Land sein.

Der Raif-Badawi-Award wurde am Freitag zum ersten Mal verliehen

Der Raif-Badawi-Award wurde am Freitag zum ersten Mal verliehen

Foto: Friedrich-Naumann-Stiftung

2013 wurde Anouzla zuletzt verhaftet, das Urteil steht noch aus. Der Vorwurf: Terrorismus. Er könnte zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Am Montag fliegt der Journalist zurück nach Marokko. Dort erwartet ihn schon der Untersuchungsrichter. Doch Angst habe er nicht, sagt Anouzla. „Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.“

Der „Badawi-Award“ wurde von der International Media Alliance und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gegründet, die Nominierten in Zusammenarbeit mit Ensaf Haidar, der tapferen Ehefrau des inhaftierten Saudi-Bloggers, ausgewählt. Ensaf Haidar überreichte den Preis an Anouzla und lobte seine Arbeit: „Der Preis bedeutet Raif und mir sehr viel. Wir möchten mit dem Preis denjenigen helfen, die sich wie Raif für ihren Einsatz für Freiheit in Gefahr gebracht haben.“

Vor der Verleihung war Anouzla zum Interview zu Gast bei BILD und erzählte, warum der Preis ihn freut und zugleich traurig macht.

BILD: Herr Anouzla, Marokko gilt im Vergleich zu seinen Nachbarn als stabiles Land, der König als Reformer und Freund des Westens. Ist dieser Eindruck falsch?

Ali Anouzla: „Als der neue König Mohamed VI 1999 inthronisiert wurde, hatten viele Marokkaner große Hoffnungen, dass er besser regieren wird, als sein Vater Hassan II. Denn dieser war ein ungerechter, ein willkürlicher Herrscher, seine Regierungszeit wird als Ära von Tragödien erinnert. Am Anfang gab es auch eine gewisse Hoffnung, auch im Bereich der Pressefreiheit, doch ab 2003 wurde es wieder schlechter. Eine neue, hoffnungsvolle Zeit brach 2011 an, beim arabischen Frühling, doch seit drei Jahren wird alles wieder schlimmer, Korruption steigt und die Justiz handelt nicht unabhängig.“

Wie ergeht es Ihnen und Ihren Journalisten-Kollegen im Land?

Ali Anouzla: „Es gibt in Marokko keinen unabhängigen Journalismus. Wer unabhängig arbeitet, wird mit allen Mitteln bekämpft und verfolgt, die Medien zensiert. Dem Staat ist es gelungen, die Freiheit zu töten. Die meisten meiner mutigen Kollegen haben entweder das Land verlassen oder den Beruf gewechselt.“

Und wie ist Ihre Situation?

Ali Anouzla: „Ich wurde 2013 verhaftet, meine Nachrichtenseite geschlossen. Nach 40 Tagen Haft kam ich aufgrund internationalen Drucks wieder frei, doch das Urteil steht noch aus. Als vergangenen Monat bekannt wurde, dass man mich mit dem Badawi-Preis auszeichnen will, wurde ich direkt am nächsten Tag zum Untersuchungsrichter vorgeladen. Am Montag muss ich direkt vom Flughafen zum nächsten Verhör. Ich glaube nicht, dass ich zu einer hohen Strafe verurteilt werde, dank der internationalen Aufmerksamkeit. Der Staat droht mit diesen hohen Strafen, um die Journalisten in Schach zu halten.“

Sie gelten als jemand, der mit seiner Berichterstattung jede rote Linie überschreitet. Welche Themen sind in Marokko besonders gefährlich?

Ali Anouzla: „Es gibt kein Gesetz, das bestimmte Themen konkret verbietet, deshalb ist Journalismus in Marokko ein Minenfeld. Und die gefährlichen Themen sind zum Beispiel jede Kritik am Palast, an Korruption in den Regierungsbehörden, die Menschenrechtsverletzungen, Folter, unfaire Prozesse oder die Situation der Sahara.* Ich habe über jedes dieser Themen geschrieben. Doch unser Staat will lieber PR-Journalismus.“

Wie wird Ihre Arbeit von der Gesellschaft aufgenommen?

Ali Anouzla: „Wir erhalten große Resonanz. Mit unserer neuen Website „Lakome2“, die wir seit August betreiben, erreichen wir täglich rund 100 000 Leser – Tendenz steigend. Die Gesellschaft ist zwar wie überall in der arabischen Welt sehr konservativ, aber es gibt Anzeichen der Öffnung. Marokko hat eine starke Zivilgesellschaft.“

Fürchten Sie ein Erstarken der Islamisten in Marokko?

Ali Anouzla: „Natürlich gibt es auch in Marokko Fanatismus, aber er ist nicht so gefährlich und ausgeprägt wie in anderen Ländern im arabischen Raum. Und wenn die Regierung eine wahre Demokratie, eine wahre Öffnung mit echten Freiheiten zuließe, könnte man auch den Fanatikern besser den Boden entziehen. Mit dem richtigen politischen Willen könnte Marokko ein Ausnahmemodell, ein Vorbild für die arabische Welt werden.“

Was motiviert Sie, der Gefahr zu trotzen und weiterzumachen?

Ali Anouzla: „Der Beruf des Journalisten ist ein edler Beruf, mit einer edlen Botschaft, davon bin ich schon seit meinem Studium überzeugt. Ich möchte keinen anderen Beruf ausüben, es ist meine Berufung. Ich werde nur angeklagt, weil die Regierung keine freien Journalisten im Land haben will, es sind politisch motivierte Anklagen.“

Und was bedeutet Ihnen der Badawi-Preis?

Ali Anouzla: „Der Preis erfüllt mich mit Trauer und Freude. Er trägt den Namen eines inhaftierten saudischen Aktivisten, der in eine Zelle gesperrt ist, während wir hier sind, frei sind. Aber er erfüllt mich auch mit großem Stolz und dem Gefühl, dass die Welt die große Bedeutung der Pressefreiheit in politischen Systemen erkannt hat. Es ist eine moralische Unterstützung für mich und meine Kollegen.“

* Anm. d. Red.: Im deutschen Sprachgebrauch wird das politische Territorium „Sahara“ zumeist mit dem Begriff „Westsahara“ beschrieben. Das Gebiet der Westsahara ist völkerrechtlich umstritten. Nach dem Abzug der spanischen Kolonialmacht 1976 annektierte Marokko weite Teile des Landes entlang der Küste, die Gruppe „Frente Polisario“ hält Gebiete im Osten und Süden. Die UN fordern ein Referendum über den endgültigen Status, was bisher jedoch an einer Einigung über die Wahlbedingungen scheiterte. Seit 1991 sind die UN mit einer Beobachtermission in der Westsahara.

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