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Jenaer Jugendpfarrer: Lothar König vor Gericht

Foto: Matthias Hiekel/ dpa

Jugendpfarrer Lothar König vor Gericht Tanz im Dresdner Dauerregen

Der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König soll bei der Anti-Nazi-Demo in Dresden 2011 zu Gewalt gegen die Polizei aufgehetzt haben. Jetzt sagte ein Polizist vor Gericht, aus Königs Lautsprecherwagen eine eindeutige Drohung gehört zu haben. Nach der Verhandlung reagiert sich der Angeklagte auf seine Weise ab.

Wäre die Staatsanwaltschaft Dresden ein Medienunternehmen, man könnte glatt von einem Scoop sprechen: Die Überzeugung, dass der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König am 19. Februar 2011 bei der größten Anti-Nazi-Demo Deutschlands in Dresden Protestler zu Gewalt gegen die Polizei aufgepeitscht hat, hat die Strafverfolgungsbehörde bislang exklusiv.

Diese Exklusivmeldung stützte am vierten Prozesstag vor dem Amtsgericht Dresden auch nicht der befragte Zeuge: Alexander E., 36, Führer einer Hundertschaft aus Pirna und an jenem Februartag im Einsatz. Immerhin will der Polizeibeamte aus dem Lautsprecherwagen, den König während der Demonstration lenkte, den Aufruf "Deckt die Bullen mit Steinen zu!" gehört haben.

Die Staatsanwaltschaft Dresden hat König wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Er soll Demonstranten - "darunter gewaltbereite Linksautonome", "teilweise vermummte Menschen" - "dirigiert" und zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufgehetzt haben, auch mit "waffenähnlichen Gegenständen". Vorwürfe, die König vehement bestreitet.

Die Krawalle am 19. Februar 2011 waren exzessiv. 3000 Rechtsextreme waren aufmarschiert, um der Bombardierung Dresdens 1945 zu gedenken. Nach Angaben des Gewerkschaftsbunds stellten sich ihnen mehr als 21.000 Menschen in den Weg, die Polizei sprach von 12.000. Als Pfarrer und Seelsorger hatte König damals Jugendliche der Jungen Gemeinde Jena begleitet.

"Wir wurden permanent beworfen"

Alexander E., der Mannschaftsführer, beschreibt am Dienstag, wie er am Tag des Protestes mit Blaulicht eine neun Polizeibusse umfassende Kolonne durch Dresden steuerte, als der blaue VW-Bus von Pfarrer König - genannt "Lauti" - an ihm vorbeifuhr. Davor seien Menschengruppen marschiert, etwa hundert, dahinter fast tausend, der Transporter habe wie der Kopf der Menge gewirkt. Er habe den Aufzug für eine "betreute Versammlung" gehalten, sagt der Polizeibeamte. Doch weder vor dem Zug noch dahinter sei - wie in solchen Fällen üblich - Polizei zu sehen gewesen.

Deshalb habe er, so Alexander E., allen neun Polizeifahrzeugen per Funk das Kommando zum Wenden gegeben - und dann sei alles blitzschnell gegangen: Während des Manövers habe er aus dem "Lauti" gehört: "Deckt die Bullen mit Steinen zu!" Er habe daraufhin den Befehl ausgegeben, Schutzhelme aufzusetzen, das Sondersignal einzuschalten, habe zudem sein Fenster hochgekurbelt - und schon sei ein "faustgroßer" Stein geflogen und habe eine der hinteren Autoscheiben zertrümmert.

"Wir wurden permanent beworfen", sagt Alexander E. Die Demonstranten hätten gegen die Einsatzwagen getreten, einen Spiegel abgerissen, die Karosserie der Fahrzeuge eingedellt, Pflastersteine aus dem Asphalt gebrochen und damit geworfen. "Die waren vermummt, waren in Schwarz gekleidet, trugen Mützen, Caps und Sonnenbrillen. Das wertete ich als gewaltbereit - wer vermummt sich sonst?" E. spricht von einer "Stresssituation" und davon, dass er für seine Leute die Verantwortung getragen habe.

In zwei Punkten ist sich der Beamte ganz sicher: "Ich habe Lothar König als Fahrer erkannt." Und: "Die Stimme kam aus dem Lautsprecher." Aber: "Ich kann nicht behaupten, dass Herr König das gesagt hat."

"Bella Ciao" aus den Lautsprechern

König bestreitet nicht, dass er am Steuer des blauen VW-Busses saß. Sein zauseliger Karl-Marx-Bart birgt großen Wiedererkennungswert. Aber er hat weder die angebliche Drohung noch andere ausgestoßen, wie er sagt. Das Wort "Bullen" gehöre außerdem gar nicht in seinen aktiven Wortschatz.

Sein Verteidiger Johannes Eisenberg präsentierte am Dienstag ein Video, das vom Dach des Pfarrer-Busses aufgenommen wurde und die Schilderungen des Mannschaftsführers widerlegte: In dem Film ist eindeutig zu erkennen, wie Königs "Lauti" an der Polizei-Karawane vorbeifährt, das Wendemanöver jedoch zu einem viel späteren Zeitpunkt stattfindet als der Beamte behauptet.

Und besonders interessant: Es ist nicht nur keine einzige Drohung zu vernehmen, sondern aus den Lautsprechern scheppert "Bella Ciao", das Lied der italienischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg und inzwischen fast eine Hymne der anarchistischen Bewegung.

Nein, Musik habe er keine gehört, sagt Mannschaftsführer E. Und noch etwas fällt beim Sichten des Videos der Verteidigung auf: Weder vor noch hinter dem "Lauti" drängen sich Personengruppen, wie es der Polizist angibt. "Das sind meine Erinnerungen", hält dieser vor Gericht an seiner Aussage fest. Auch wenn das Video etwas anderes belege.

"Haben Sie einen Knick in der Optik?"

Rechtsanwalt Eisenberg gibt sich gar nicht erst die Mühe, seinen Unmut zu verhehlen. "Sie sind vielleicht ein Zeuge", blafft er den Polizeibeamten an. "Haben Sie einen Knick in der Optik?" Eisenberg fordert die Vereidigung des Zeugen, doch der Vorsitzende Richter Stein lehnt ab. "Sie werden noch von mir hören", wendet sich Eisenberg an den Polizisten. "Vor Gericht muss man nämlich die Wahrheit sagen. Gerade als Bundespolizist hat man eine Vorbildfunktion."

Pfarrer König ist während der achtstündigen Verhandlung in Saal A 2.133 immer wieder mit seinem Stuhl ein Stück an die Wand gerollt, sein Gerechtigkeitssinn ist schwer erschüttert. Nachdenklich krault er seinen Bart. Einmal steht er auf, geht ein paar Schritte. Als der Richter ihn ermahnt, sagt der 59-Jährige: "Ich bin erregt."

Seine Wut reagiert er nach der Sitzung auf seine ganz persönliche Art ab: Er geht zu seinem blauen "Lauti", den seine Unterstützer bei jedem Verhandlungstag vor dem Gerichtgebäude parken und aus dem laut Musik herausdudelt wie an jenem 19. Februar 2011. In diesem Moment dröhnt "L.A. Woman" von The Doors aus den Boxen. König hebt seine nackten Füße, die ganzjährig in Sandalen stecken, und tanzt mit hochgerissenen Armen. Mitten im Dresdner Dauerregen.