Recherche zu WM-Baustellen:Verhaftet in Katar

Auf den Baustellen für die Fußball-WM sollen im Emirat Katar zig Wanderarbeiter gestorben sein. Der deutsche Fernsehjournalist Peter Giesel ist in Doha auf der Suche nach den Bildern und O-Tönen zu dem Skandal - bis die Polizei an die Tür seines Hotelzimmers klopft.

Von Christopher Keil

Gegen 19 Uhr am Tag der Deutschen Einheit wurde Peter Giesel zum ersten Verhör ins Federal State Police Department von Doha gebracht. Als er die Polizisten durch den Türspion seines Hotelzimmers erkannte, zog er sein Hemd aus.

Peter Giesel ist 45 Jahre alt. Er war einmal Chefreporter aller Boulevardsendungen von Sat 1 und später als Chefreporter von Focus TV in der Welt unterwegs: "Damals", sagt er, "als Fernsehen noch etwas kosten durfte". Im Mittleren Osten kenne er jedenfalls fast jedes Land.

Inzwischen betreibt er eine Produktionsfirma in München. Er will vermeiden, dass man denken könnte, er habe sich naiv verhalten. Oder dass er fahrlässigerweise mit seinem 25-jährigen Kollegen Robin Ahne nach Katar aufgebrochen sei, ohne Drehgenehmigung, aber mit zwei kleinformatigen Kameras im Gepäck. Sein Hemd hatte er ausgezogen, weil er zu wissen glaubte, dass Araber, also auch arabische Polizisten, keinen Raum ohne Weiteres betreten, in dem sich ein halbnackter Ausländer aufhalte.

Vom Hotel-Balkon aus filmten Giesel und sein Kameramann

Am 3. Oktober waren Giesel und sein Kameramann im Grand Hotel Mercure abgestiegen, Zimmer 1048. Vom Balkon aus konnten sie ungestört in eine der unzähligen Baustellen zoomen, aus denen für mehr als 70 Milliarden Euro eine gigantische Luxus-Kulisse für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 wachsen soll. "Das Arbeitsziel war es", sagt Giesel am Ende der vergangenen Woche in einem Münchner Restaurant, "in Doha mit Leuten in Kontakt zu treten, die berichten können, wie es den Arbeitern auf den Baustellen geht."

Ende September hatte die englische Zeitung Guardian enthüllt, wie menschenverachtend im brandheißen Emirat mit teilweise noch minderjährigen nepalesischen Wanderarbeitern umgegangen wird. Die Opferzahlen für das Jahr 2013 bislang: 44 tote Nepalesen und 82 tote Inder. Es gibt eine Hochrechnung der Grausamkeit des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der befürchtet, dass bis 2022 bis zu 4000 Hilfskräfte auf den Baustellen Katars ihr Leben lassen könnten.

Giesel suchte dazu die Bilder und O-Töne für das deutsche Fernsehen. Er hatte keinen Auftraggeber, konnte aber sicher sein, dass er Abnehmer finden würde. Jetzt hat er noch eine andere Geschichte zu erzählen als die Geschichte einer bereits skandalösen Fußball-WM in der Wüste: seine Geschichte. Giesel und Kameramann Ahne wurden 27 Stunden festgehalten, inhaftiert, weggesperrt und kamen erst frei, als die Deutsche Botschaft in Katar sowie der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, davon erfuhren und diplomatisch einschritten.

In Häftlingskleidung gesteckt und in Handschellen gelegt

Eine letzte SMS, die Giesel vor seiner Verhaftung absetzte, alarmierte offenbar Freunde und einen Redaktionsleiter des Sportsendes Sky Deutschland. Als Giesel sich nicht wie verabredet bei seiner Familie meldete, wurde seine schwangere Frau aktiv, die das Auswärtige Amt um Hilfe bat.

Als die katarische Polizei im Grand Mercure anrückte, sprach Giesel gerade einen Aufsager in die Kamera. Er durfte niemanden informieren und hatte ein Vernehmungsprotokoll unterschrieben, das arabisch abgefasst war und ihm auf Englisch vorgelesen wurde. Laptops, Kameras, Smartphones, alle Speichermedien waren beschlagnahmt.

Mittlerweile befand er sich, vermutet er, in einem modernen Gefängnis der Staatssicherheit, umgeben von hohen Mauern, auf denen Stacheldraht befestigt war. Hier befiel ihn Angst. Auch sein Pass, Geld, Kreditkarten und sein Ehering wurden kassiert. Ein Arzt kam, maß Blutdruck, Herzfrequenz, Körpertemperatur und seinen Blutzucker. Giesel musste sich ausziehen und wurde in Häftlingskleidung gesteckt: eine weiße Ballonhose, ein enges weißes T-Shirt und ein beiges Gewand. Dann wurde er in Handschellen gelegt und in eine Einzelzelle gesteckt wie Kameramann Robin Ahne.

Eine "Timeline" dokumentiert die Ereignisse in Doha

Er habe nie damit gerechnet, sagt Giesel, dass ihm bei seinem Trip ins monarchische Scheichreich etwas Schlimmeres als eine Ausweisung zustoßen könne. Bei Human Rights Watch habe er sich nach Risiken erkundigt, als Berichterstatter mit Touristenvisum einzureisen. In Doha stationierte Journalisten rieten ab, in der Nähe von Baustellen auffällig zu werden. Daran habe er sich gehalten. Er drehte zweimal verdeckt vor der nepalesischen Botschaft, und er verabredete sich zweimal mit Bauarbeitern. "Wir waren undercover unterwegs", glaubt er, "uns war nicht klar, dass wir so rigide überwacht wurden".

Zum Treffen in München bringt er eine "Timeline" mit. Das zweiseitige Papier, exakt mit Datum und Uhrzeit versehen, ähnelt einem Drehplan und memoriert die Ereignisse in Doha knapp. Giesel spricht über das Erlebte, als stehe er vor einer Kamera: Körperliche Gewalt sei nie angewendet worden. Alle Gebäude seien sehr sauber und geruchsneutral gewesen.

Abdul heißt der Mann, der die Freilassung veranlasst hat

Immer wieder mussten Giesel und Ahne in den Befragungen bestätigen, dass sie einen Fehler begingen, ohne Dreherlaubnis nach Doha zu jetten. Die Freilassung wurde 18 Stunden später von einem Mann veranlasst, der Abdul heißt und für die "Qatar Media Corporation" tätig ist. "Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennengelernt", sagte Abdul sanft. Er chauffierte Giesel und Ahne ins Four Seasons Hotel. Giesel legt sehr viel Wert darauf, dass er sich nicht einladen lassen wollte. "Doch zu diesem Zeitpunkt hatten wir unsere Pässe noch nicht. Außerdem wollten wir nicht unhöflich sein."

Noch in der Nacht erhielten sie zurück, was man ihnen genommen hatte, auch das komplette Drehmaterial, ungelöscht, 45 Minuten. Abdul versuchte zu erklären, dass es auf den Baustellen lediglich ein paar tragische Unfälle gegeben habe.

Bis zum Abflug am späten Abend des 5. Oktober blieb Giesel auf seinem Zimmer. Er schaltete den Fernseher ein und vertiefte sich in ein Sport-Programm: BVB-TV, das internationale Magazin von Borussia Dortmund. Das Fazit hatte Giesel, ein gebürtiger Berliner, schnell gezogen: "Ich habe Zweifel, dass hier 2022 vor den Augen der Weltpresse eine Fußball-WM gefeiert werden kann."

Der Bericht von Peter Giesel und Robin Ahne ist an diesem Montag von 18.30 Uhr an in der Sendung "Inside Report" auf Sky Sport News HD zu sehen.

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