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Meine Zeit mit dem Koloss

Wenn schon, dann richtig: Der Comicheld und sein Autor. Zeichnung: Mathieu Sapin

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Der Mann ist eine kolossale Übertreibung. Er redet pausenlos, schwitzt, flucht, lässt sich mit Fans ablichten, verscheucht Paparazzi, fliegt quer durch Europa, um Filme zu drehen oder sich für eine Dokumentation filmen zu lassen, und immer und überall stopft er Unmengen an Essen in sich rein, während er in sein «schrottiges altes Tastentelefon» spricht oder darauf herumdrückt oder zu Hause in Unterhosen rumsitzt oder Galeristinnen empfängt oder mit Agenten verhandelt.

Dieses Übermass ist schwer zu ertragen, nicht nur für seine Umwelt, sondern auch für ihn selbst: also für Gérard Depardieu, den Rekordschauspieler, Schlossbesitzer, Winzer, Gastrounternehmer und Steuerflüchtling, der von sich selber sagt, dass er sich nicht leiden könne und Karikaturen zur Genüge kenne, er sei ja selber eine («Wenn du 250 Filme machst, bist du nicht ganz normal»). Was immer der 69-jährige Franzose anpackt, stets steht er im Mittelpunkt (wo sonst?), und das widerspiegelt der Comicband «Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu» treffend.

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Porträtiert wird der Schauspieler vom französischen Zeichner Mathieu Sapin, und das ergab sich so: Für eine Dokumentation des TV-Senders Arte sollte Depardieu eine Reise nach Aserbeidschan antreten, auf den Spuren von Alexandre Dumas und dessen Buch «Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus» (1859). Dumas wurde damals vom Maler Jean-Pierre Moynet begleitet, der den Auftrag hatte, das Buch des Autors von «Die drei Musketiere» zu illustrieren. Depardieu seinerseits nahm für seine Reise den Comicautor Sapin mit, um die gefühlte Wahlverwandtschaft mit dem ebenso voluminösen Dumas zeichnerisch festhalten zu lassen.

Pfeile, Fussnoten, Hinweise

«Was ich an Dumas mag, ist seine Masslosigkeit», sagt Depardieu im Comic. Er muss es wissen, denn er war nicht nur in zahlreichen Filmadaptionen von Dumas zu sehen (etwa in «Der Graf von Monte Christo», 1998): Er verkörperte diesen «Oger», diesen «Pantegruel» auch selbst im Historienschinken «L'autre Dumas» (2010). Dies und vieles andere erzählt der 140-Kilogramm-Koloss, während er über alle und jeden herzieht und seine Sympathien nach kaum nachvollziehbaren Kriterien verteilt. Wir werden Zeuge von zahlreichen Wutausbrüchen, von seinem Protest gegen die 2013 angekündigte Reichensteuer in Frankreich (worauf Depardieu die russische Staatsbürgerschaft annahm), von seiner Haltung gegenüber genehmen Kellnerinnen und ungenehmen Kellnern. Hauptsache, es ist dauernd etwas los, sonst langweilt sich Monsieur Depardieu und piesackt seine Entourage umso mehr.

Als Leser mag man sich wundern, dass die in diesem Band geschilderten Eskapaden jemals Depardieus Billigung finden konnten. Dazu finden sich aber Anhaltspunkte im Comic, etwa wenn der Schauspieler bei der Auftragsvergabe zu Sapin sagt: «Wenn dus machst, dann richtig, klar? Das heisst: Depardieu, wie er sich mit dem Roller auf die Fresse legt . . . oder wie er in ein Flugzeug pisst . . .» – «Äh . . . okay», antwortet Sapin, «ich versuchs.» Worauf nach ausgiebigen Gesprächen im Flugzeug, im Taxi, auf dem Markt, in Gaststätten oder in der Sauna ein Epilog folgt, in dem die beiden darüber debattieren, wie sie in diesem Comic richtig oder falsch dargestellt werden und was sie eigentlich sagen oder eben nicht sagen wollten.

Mit allen Wassern gewaschen: Depardieu spielt Stalin. Zeichnung: Mathieu Sapin. Bild vergrössern.

Diese Metaebene ist der Clou des Bandes: «Gérard» erzählt so ausführlich und detailversessen, dass man manchmal in einem Lexikon zu blättern glaubt. Überall finden sich Pfeile, Fussnoten, Hinweise, die neben einer Unzahl von Sprechblasen irgendwie auch noch untergebracht werden konnten. Dabei springt der Erzähler zeitlich vorwärts und rückwärts, wendet sich direkt an den Leser, erzählt und kommentiert.

Vielleicht ist dies die einzig mögliche Form, um einer Kolossalität wie Depardieu beizukommen. Und vielleicht ist Sapin als Comicfigur deshalb manchmal derart klein geraten, dass er in den seitenfüllenden Splashpanels kaum noch zu finden ist. Wie auch, neben «140 Kilogramm Fleisch»? Präsent ist der Comicautor hingegen, wenn es darum geht, ungeahnte Seiten seines Objektes darzustellen, wenn also Depardieu zum Beispiel nur ein einziges Mal Alkohol konsumiert im Kaukasus. Oder wenn er für ein Foto mit Putin aus lauter Blödsinn seine Nase an dessen Wange platt drückt. Oder wenn er den Zeichner mit seiner Beobachtungsgabe verblüfft: «Ich schau mir die Leute eben an, was glaubst du denn? Ich bin nicht wie all diese Idioten, die sich die ganze Zeit nur selbst bewundern . . .» Da ist man als Leser einigermassen überrumpelt, wenn dieses Monstrum plötzlich zum Menschen wird – einem Wesen aus Fleisch und Blut und Charisma.

Mathieu Sapin: «Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu». Reprodukt, Berlin 2018. 160 S., ca. 37 Fr.