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Zeitloser Held. Auf ihren Reisen um die Welt sind Tim und Struppi auch in den USA gewesen und wurden dort gefeiert.

© Herge/Moulinsart/PICTURE-ALLIANCE

Update

90 Jahre „Tim und Struppi“: Rassistische Stereotypen und stilbildende Kunst

Am 10. Januar 1929 erschien der erste Comic mit Tim und Struppi: Auftakt eines globalen Erfolgs. Gerade die frühen Abenteuer werden aber auch stark kritisiert.

Sie gehören in jeden guten Comic-Laden: Reporter Tim, Terrier Struppi, Käpt'n Haddock und ihre rotweiß karierte Mondrakete. Mit dem abenteuerlustigen Tim (original „Tintin“) schuf der Zeichner Hergé (bürgerlich Georges Remi, 1907-1983) vor 90 Jahren einen Charakter, der der US-Übermacht von Disney und Co. echte Konkurrenz machte.

Weil Hergé, wie er selbst glaubte, nicht gerade virtuos mit dem Zeichenstift umgehen konnte, beschränkte er sich auf ein kindliches Prinzip: Punkt, Punkt, Komma, Strich. Tintins Mondgesicht mit dem einsamen Haarbüschel ist buchstäblich ein Allerweltsgesicht. Und in aller Welt ist der Reporter denn auch zu Hause, immer im Dienst der guten Sache.

Erfolglose Klage wegen Rassismus

Am 10. Januar 1929 erblicken Tim und sein schneeweißer Terrier Struppi (orig. „Milou“) im „Petit Vingtieme“, der Kinderbeilage der katholischen Zeitung „Le Vingtieme Siecle“, sozusagen das Licht der Welt. In den ersten Episoden bereisen sie das „Land der Sowjets“.

Gerade die ersten Abenteuer des jungen Reporterhelden sind wegen ihrer teilweise antikommunistischen, kolonialistischen, rassistischen, antiamerikanischen und antisemitischen Inhalte immer wieder kritisiert worden.

Ein Versuch, das 1930/31 entstandene Album „Tim im Kongo“ in Belgien wegen Rassismus gerichtlich verbieten zu lassen, war jedoch 2012 nicht erfolgreich. Ein Gericht in Brüssel wies eine entsprechende Klage des kongolesischen Studenten Bienvenu Mbutu Mondondo ab. Das Buch über die Abenteuer des jugendlichen Reporters Tim in der damaligen belgischen Kolonie seien nicht als Verstoß gegen heutige Gesetze zu werten.

Inspiration im Afrikamuseum

Mondondo hatte argumentiert, in dem Comic würden Afrikaner als dumm, arbeitsscheu und unfähig dargestellt. Dagegen werde der Weiße Tim als überlegener Kolonialherr gezeigt. Dies sei „eine Beleidigung für jeden Menschen schwarzer Hautfarbe“ und ein Verstoß gegen ein Gesetz gegen den Rassismus von 1981. „Tim im Kongo“, der 1946 von Hergé noch einmal überarbeitet und „entschärft“ wurde, müsse deswegen verboten werden.

Die Richter folgten jedoch der Auffassung des Staatsanwalts. Dieser hatte argumentiert, Hergé habe mit dem Comic nicht zum Rassenhass aufstacheln wollen. Vielmehr spiegele seine Darstellung der Afrikaner die damalige Zeit wider. Zudem zeige das Buch Tim niemals in einer Konfrontation mit Schwarzen - sondern mit einer Gruppe von Gangstern. Und bei diesen handle es sich um Weiße.

Für „Tim im Kongo“ fand Hergé, der selbst nie in Afrika war, Inspiration im Afrikamuseum von Tervuren bei Brüssel - und verewigte sie in dem Album. Etwa die „Anioto“-Skulptur von Paul Wissaert: Dargestellt ist ein in ein Leopardenfell gehüllter Mann, der sein am Boden liegendes Opfer mit krallenbewehrten Händen töten will.

Um die Geheimbünde der „Leopardenmenschen“ rankten sich in der Kolonialzeit viele Mythen. Belgien dagegen, so die Botschaft des Kunstwerks, brachte dem Kongo die Zivilisation. Ein anderes Beispiel kolonialer Stereotype: Tim, der im Tropenhelm als Lehrer eine naive Klasse von Einheimischen unterrichtet.

Vorbild für ganze Generationen von Comic-Zeichnern

Nach und nach kommen Tim und Struppi um die ganze Welt. 1953/54 lautete sogar das „Reiseziel Mond“. Der detailverliebte Hergé sammelte Berge von Material, um daraus die Kulissen für die Abenteuer seiner Helden zu machen. Brüsseler Museen verweisen noch heute stolz darauf, dass dieses oder jenes Exponat Hergé als Vorlage gedient habe. Die „ligne claire“, die klare Linie, die seinen Stil prägt, wurde Vorbild für ganze Generationen von Comic-Zeichnern.

Viele Panels wurden von Hergé überarbeitet, bevor sie in Albenform erschienen. Für Komplettansicht auf das Kreuz klicken.
Viele Panels wurden von Hergé überarbeitet, bevor sie in Albenform erschienen. Für Komplettansicht auf das Kreuz klicken.

© Foto: Herge/Moulinsart/Promo

Georges Remi, dessen Künstlername „Hergé“ sich aus der französischen Aussprache seiner umgedrehten Initialen RG herleitet, hatte eine Kindheit und Jugend verbracht, die typisch für das Belgien des frühen 20. Jahrhunderts ist: katholische Schule, Pfadfinder und später Mitarbeiter beim konservativen Wochenblatt „Le Vingtieme Siecle“. Als er dort Chef der Jugendbeilage wurde, begann er mit dem Comic-Zeichnen.

Unmittelbar nach dem Krieg erhielt Remi als angeblicher Kollaborateur ein kurzes Publikationsverbot, weil er an der Zeitung der deutschen Besatzer mitgearbeitet habe. Historiker wollen wissen, dass Remi auch selbst der faschistischen Bewegung in Belgien, den Rexisten, nahe stand. 1973 gab er zu, auch ihm sei die versprochene „Neue Ordnung“ als ein Hoffnungszeichen erschienen. Er sprach von einer „Dummheit“ und „Idiotie“.

In 58 Sprachen übersetzt

Die ab 1946 in der neu gegründeten Zeitschrift „Tintin“ veröffentlichten Fortsetzungsepisoden wurden oft von Hergé inhaltlich und künstlerisch überarbeitet, bevor sie in Buchform erschienen. Die 22 Bände um den alterslosen Helden mit der blonden Haartolle und seine Gefährten Kapitän Haddock und Professor Bienlein wurden in 58 Sprachen übersetzt. Die Gesamtauflage erreichte weit mehr als 200 Millionen Exemplare. Ein weltweiter Erfolg.

Vor seinem Tod durch Leukämie am 3. März 1983 hatte Hergé verfügt, dass niemand Tim und Struppi weiterführen dürfe. „Tim und die Picaros“ von 1975 blieb das letzte vollendete Werk. Belgien, das den Zeichner schon zuvor mit Orden und Ehrungen gewürdigt hatte, erfüllte ihm auch seinen letzten Wunsch: die Beisetzung auf dem Friedhof am Dieweg im Brüsseler Stadtteil Uccle, der eigentlich schon seit 1950 für Neubestattungen geschlossen war.

Georges Remi, besser bekannt als Hergé (1907-1983).
Georges Remi, besser bekannt als Hergé (1907-1983).

© picture alliance / dpa

Zum 90. Geburtstag von Tim und Struppi veröffentlichte die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ kürzlich eine regelrechte Eloge. Kurz vor Weihnachten brachte das Blatt auf einer kompletten Doppelseite gleich vier Beiträge zum Thema, die nach Vereinnahmung klingen.

Tim, so heißt es dort, sei ein „natürlicher Christ“. Zwar sehe man ihn nie beim Gebet oder ein Kreuzzeichen machend. Doch seine ganze aufrechte, ehrliche und auf Verstehen angelegte Art entspreche der eines „guten Katholiken“. Dann wäre also auch das geklärt. (KNA, mit dpa, lvt)

Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Textes war die abwertende und rassistisch konnotierte Formulierung von einer „Neger“-Klasse enthalten, ohne dass die Herkunft dieses Zitates ersichtlich war. Zudem einige missverständliche Formulierungen. Diese Passagen wurde überabeitet und durch weitere Details ergänzt.

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