Liu Xiaobo:Angeblich nicht transportfähig

China lehnt Ausreise von Friedensnobelpreisträger ab

Seine Frau betreut Liu Xiaobo in einem Krankenhaus in Shenyang.

(Foto: dpa)

Die Chancen, dass Liu Xiaobo seinen Friedensnobelpreis abholen wird, stehen schlecht: China hält den an Krebs Erkrankten fest. Weder Freunde noch Journalisten oder Diplomaten dürfen mit ihm sprechen.

Von Silke Bigalke und CHRISTOPH GIESEN, Stockholm/Peking

Die Chancen, dass Liu Xiaobo seinen Friedensnobelpreis abholen wird, stehen schlecht. Der inhaftierte chinesische Bürgerrechtler ist unheilbar an Leberkrebs erkrankt. Ihm wurde zwar offiziell "Bewährung aus medizinischen Gründen" gewährt. Liu Xiaobo liegt nun in einem chinesischen Krankenhaus anstatt im Gefängnis zu sitzen. Doch weder seine Freunde, noch Journalisten oder Diplomaten dürfen mit ihm sprechen. Nur seine Frau Liu Xia konnte ihn besuchen, doch sie wird ebenfalls überwacht. Die beiden hätten beantragt, ins Ausland gehen zu dürfen, sagte der Anwalt von Liu Xiaobo in Peking; vergeblich.

Am Donnerstag lud das Pekinger Justizministerium die Botschafter aus Deutschland und den USA sowie den EU-Delegierten ein. Ein Vizeminister erklärte, Liu sei in einem schlechten Zustand und könne "nicht transportiert" werden. So stellt es jedenfalls Lius Anwalt dar. Liu Xiaobo war Mitinitiator der 2008 veröffentlichten "Charta 08", in der demokratische Reformen in China gefordert wurden. 2009 wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt.

Als Gefangener bekam er 2010 den Friedensnobelpreis. Während der Zeremonie in Oslo blieb sein Stuhl leer. Auf die Fassade des Grand Hotel, in dem sonst die Nobelpreisträger in Oslo wohnen, hatten die Veranstalter sein Foto projiziert. Am Hotel endet traditionell der Fackelzug zu Ehren der Preisträger, 2010 war er besonders emotional.

Für Norwegens Regierung ist der Fall eine heikle Angelegenheit

Liu Xiaobo habe eine Einladung nach Oslo, erklärte das Friedensnobelpreiskomitee, als nun seine Krankheit bekannt wurde. Die norwegische Regierung allerdings äußerte sich nicht. In Norwegen besteht ein besonderes Interesse am Schicksal von Liu Xiaobo. Seit einigen Tagen verfolgen die norwegischen Medien jede Nachricht über ihn. Sie berichteten auch über das Video, das auf Youtube aufgetaucht ist und Liu im Gefängnis bei medizinischen Untersuchungen zeigt. Zu sehen ist, wie er sich bei zwei Wächtern bedankt, dass sie "sich so gut um mich kümmern, besonders um meine Gesundheit". Das Video soll Kritik zerstreuen. In China kann man es aber nicht sehen, weil Youtube gesperrt ist.

Die norwegische Tageszeitung Aftenposten fragte bei einigen Ministerien in Oslo nach, ob sie sich zu Lius Gesundheitszustand äußern wollten, bekam aber keine Antwort. Für die norwegische Regierung hat der Friedensnobelpreis viel Ärger bedeutet. 2010 beendete Peking alle offiziellen Beziehungen zu Oslo, sechs Jahre herrschte Eiszeit, unter der vor allem die norwegische Fischindustrie litt. Erst im Dezember haben die beiden Staaten beschlossen, wieder miteinander zu reden. Eine Stellungnahme zu Liu ist für Oslo gerade jetzt schwierig.

Dabei hatte ein Mitglied der jetzigen Regierung, Jan Tore Sanner, den Chinesen einst für den Nobelpreis vorgeschlagen. Sanner von der konservativen Partei Høyre war damals in der Opposition. Heute sagt Minister Sanner nichts, verweist genauso wie Premierministerin Erna Solberg auf das Außenministerium. Dort bleibt die Aufgabe an Sprecher Frode Overland Andersen hängen. "Die Nachricht, dass Liu Xiaobo mit Krebs im Endstadium ins Krankenhaus eingeliefert wurde, ist traurig", kommentiert er knapp. "Unsere Gedanken sind bei ihm und seiner Familie. Es ist wichtig, dass er medizinisch versorgt wird."

154 Nobelpreisträger und 100 Autoren haben die Ausreise des Kranken gefordert

Die norwegische Regierung hat stets versucht, sich von den Entscheidungen des Nobelpreiskomitees zu distanzieren und dessen Unabhängigkeit betont. Im Fall von Liu Xiaobo hat sie sich bemüht, Peking zu besänftigen. Sie hat es 2014 auch vermieden, den Dalai-Lama - ebenfalls Friedensnobelpreisträger - bei seinem Besuch in Oslo offiziell zu empfangen. Viele Jahre hat das alles nichts genützt. Erst im April flog Premierministerin Erna Solberg mit mehr als 200 norwegischen Unternehmern nach China. In Norwegen wurde die Reise als Triumph gefeiert, auch wenn sich Solberg immer wieder fragen lassen musste, ob sie in Peking auch über Menschenrechte sprechen würde. Würde sie nicht, jedenfalls nicht dieses Mal, lautete ihre Antwort.

In China ist Lius Schicksal kein Thema für die Medien. Als ein Sprecher des Außenministeriums in Peking dazu befragt wurde, gab er an, den Vorgang nicht zu kennen. Inzwischen haben die Staatsblätter auf Verteidigung umgeschaltet. Die Global Times etwa schreibt von "Verschwörungstheorien". Jeden Tag "werde bei Menschen Krebs diagnostiziert, bei einigen in einem frühen Stadium, bei anderen im Endstadium. Es ist nicht möglich, dass jeder einzelne Fall in einem frühen Stadium entdeckt wird."

Liu hat wegen einer früheren Hepatitis-B-Infektion ein erhöhtes Leberkrebsrisiko. Laut offizieller Darstellung wurde er deswegen bis 2012 halbjährlich untersucht, seitdem sei seine Gesundheit einmal im Jahr kontrolliert worden. Am 31. Mai seien bei der letzten Routineuntersuchung "Symptome" aufgefallen, heißt es auf einer schwer auffindbaren Regierungswebsite. Am 7. Juni kam die Bestätigung: Der Krebs hat gestreut.

Dissidenten werfen der chinesischen Führung vor, den Patienten nicht regelmäßig untersucht zu haben. Das norwegische Nobelkomitee teilt mit, es "bedauere sehr", dass es einer Erkrankung bedurfte, damit die Behörden Liu Xiaobo aus dem Gefängnis ließen. In einem Appell an Chinas Staatschef Xi Jinping haben 154 Nobelpreisträger und 100 Schriftsteller die Ausreise des Schwerkranken gefordert.

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