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Nach Jahrzehnten der Beschäftigung ist Schluss: Drucker protesieren vorm Verlagshaus der Ostsee-ZeitungFoto: Ove Arscholl

Ein letztes Mal die Maschine einrichten, den Druckvorgang starten, Farbe prüfen. Ein letztes Mal die Ostsee-Zeitung produzieren. Demnächst ist Benjamin Brockmüller ohne Arbeit. Der Madsack-Konzern macht fast die gesamte Technik der Ostsee-Zeitung in Rostock dicht – Druckerei, Anzeigensatz, Bildbearbeitung. Das trifft 43 Kolleg*innen – fast ein Viertel der Stammbelegschaft – sowie weitere 30 bis 40 Beschäftigte von Drittfirmen. Künftig lässt Deutschlands fünftgrößter Zeitungsverlag, die Mediengruppe Madsack, die Ostsee-Zeitung in einem kleineren Format in einer tariflosen Druckerei im mehr als 120 Kilometer entfernten Neubrandenburg produzieren.

Ohne Brockmüller. Nach bald 24 Jahren bei der Ostsee-Zeitung weiß er sicher: Als Drucker wird er nicht mehr arbeiten. "Ich hatte Freude am Job. Mir liegt das Hektische im Zeitungsdruck und die Zuschläge haben die Nachteile der dauernden Nachtarbeit etwas ausgeglichen." Aber die Druckerei der Ostsee-Zeitung war die letzte tarifgebundene Druckerei in Mecklenburg-Vorpommern. Der 44-Jährige will weder in einem tariflosen Betrieb arbeiten noch die Gegend verlassen. Er wechselt in die ausgehandelte Transfergesellschaft und schaut sich nach einem neuen Beruf um.

„Es war klar, dass die Bude brennt, wenn Madsack nicht mehr drauflegt.“ ver.di-Verhandlungsführer Johannes Brückner

Brockmüller war bei den Verhandlungen mit dabei. Die Schließung konnten die Betriebsräte und ver.di nicht verhindern, aber eine Transfergesellschaft und Abfindungen haben sie herausgeholt – mehr Geld, als Madsack üblicherweise bei Schließungen zu zahlen bereit ist. "Es war klar, dass die Bude brennt, wenn Madsack nicht mehr drauflegt", sagt ver.di-Verhandlungsführer Johannes Brückner. Soll heißen: Ein Streik hätte die Produktion lahmgelegt und das Erscheinen der Ostsee-Zeitung verhindert. Zudem erhalten ein halbes Dutzend ältere Kolleg*innen aus Bildbearbeitung und Anzeigensatz das Angebot der Weiterbeschäftigung bis zur Altersteilzeit.

Cornelia Hoffmann, 60, ist eine von ihnen. Die Mediengestalterin wird noch drei Jahre arbeiten und vorzeitig in Rente gehen – allerdings mit Abschlägen, die nur zum Teil vom Unternehmen ausgeglichen werden. Das hätte sie sich nach 43 Beschäftigungsjahren anders gewünscht, aber wichtig sei ihr, nicht arbeitslos zu werden. "Gut, dass es uns gelungen ist, diese Regelung für uns Ältere durchzusetzen."

Streikwesten waren oft im Einsatz

Die Belegschaft der Ostsee-Zeitung ist eine widerständige. Sie streikte vor fast 20 Jahren für einen Manteltarifvertrag ohne Einschnitte. Und später für die 35-Stunden-Woche. Mecklenburg-Vorpommern war schließlich das einzige ostdeutsche Bundesland mit der im Westen branchenüblichen kürzeren Wochenarbeitszeit. Die Streikwesten waren oft im Einsatz.

Auch jetzt protestierte die Belegschaft vorm Tor. Einige Beschäftigte hatten sich Schilder umgehängt. 34 stand drauf, 42, 43 – so viele Jahre arbeiten sie bereits bei der Ostsee-Zeitung. Jahrelang hatten viele ihre Arbeitszeit reduziert und auf Einkommen verzichtet, um Entlassungen zu verhindern. Nun wird dichtgemacht trotz einem Jahresüberschuss von mehreren Millionen Euro.

Madsack agiert seit Jahren stets gleich. Der Konzern – größte Anteilseignerin mit 23 Prozent ist die SPD über ihre Mediengesellschaft – senkt Kosten durch Entlassungen, Auslagerungen an externe Firmen, Wechsel in Tariflosigkeit und Zusammenlegung von Redaktionen. Und schließt eine Druckerei nach der anderen. Die Druckerei der Ostsee-Zeitung ist innerhalb von zehn Jahren nach Leipzig, Lübeck, Göttingen, Hannover und Peine die sechste, die dichtgemacht wird. Übrig bleiben Beteiligungen an Druckereien im hessischen Gelnhausen, in Kiel und Potsdam.

Überstürzt ins Digitalgeschäft

Die Strategie von Madsack stößt bei Betriebsratsmitglied Robert Haberer auf Kritik. Der Verlag setze einseitig und überstürzt aufs Digitalgeschäft und schwäche die Printsparte, die aber noch den Löwenanteil der Umsätze bringe. Nun werde sogar die Aktualität der Ostsee-Zeitung gefährdet. Mit der Verlegung des Drucks nach Neubrandenburg rückt der Redaktionsschluss der Rostocker Hauptausgabe voraussichtlich drei Stunden nach vorn – zu früh für späte Nachrichten. Um im maritimen Bild zu bleiben: "Der Konzern versenkt fahrlässig den alten Segler. Aber das neue Schnellboot liegt bestenfalls noch in der Werft", so Haberer.

Madsack lege ein Sparprogramm nach dem anderen auf, statt gemeinsam mit ver.di nach Perspektiven zu suchen, lautet Haberers Vorwurf. Ja, auch die Gewerkschaft wisse, dass es schwierige Zeiten seien für Tageszeitungen und ihre Druckereien. Weil Anzeigen ins Internet abgewandert sind, weniger Menschen Zeitungen abonnieren und Auflagen kleiner werden. Gerade deshalb hätte Madsack das Angebot der Gewerkschaft annehmen müssen, gemeinsam über ein langfristiges Programm zur Beschäftigungssicherung in den beiden Druckereien Lübeck und Rostock nachzudenken, sagt Haberer. Doch Madsack schließt lieber.

Demnächst kommt der Tag, an dem Redakteur Haberer ein letztes Mal nach dem Spätdienst in der Druckerei vorbeischaut. "Ein bitterer Augenblick: Wir haben uns immer als Team aus Redaktion, Technik und Verlag verstanden." Sie werden sich würdig verabschieden.