12. November 2018

Stan Lee (1922-2018)

Der Vater der Marvel-Helden starb im Alter von 95 Jahren

Lesezeit: 4 min.

Stan Lee, der Miterfinder von Spider-Man, den X-Men, Dr. Strange, den Avengers und vielen anderen Comic-Ikonen, die heute unsere Popkultur dominieren, ist tot. In den letzten Monaten machte Lee, seit Jahrzehnten das Gesicht und der Ehrenpräsident von Marvel, in erster Linie durch Updates zu seinem bedenklichen Gesundheitszustand, dubiose Vorfälle in seinem Haushalt und Streitigkeiten in seinem rechtlichen Umfeld Schlagzeilen, außerdem legte er in der „Venom“-Verfilmung noch einen seiner beliebten Cameo-Auftritte hin. Jetzt ist der Vater der Marvel-Comics, der ebenso fleißig am Kosmos der Superhelden wie an seiner eigenen Legende strickte, im Alter vom 95 Jahren verstorben.

Stan Lee wurde am 28. Dezember 1922 als Stanley Martin Lieber in New York geboren. Der junge Lee las gerne, mochte das Kino und liebäugelte nach der Großen Depression mit Jobs als Journalist, Schauspieler, Anwalt oder Werbefachmann. 1939 besorgte ihm sein Onkel jedoch eine Anstellung im Verlagsimperium von Martin Goodman. Dieser veröffentlichte Pulp-Magazine und sprang 1939 auf den Zug der boomenden Comic-Hefte und der ersten Superhelden-Geschichten auf. Lee arbeitete bei Timely Comics als Mädchen für alles unter Captain Americas Erfindern Joe Simon und Jack Kirby, die sich um die Produktion der Bildergeschichten kümmerten. Im Mai 1941 wurde Lees erste eigene Story – eine zweiseitige Prosageschichte über Cap – abgedruckt, kurz darauf folgte seine erste richtige Comic-Story. Als Simon und Kirby, die Lee für ihre Kreativität und Effizienz bewunderte, 1941 Goodmans Verlag verließen, übernahm der 19-jährige Lee als Chefredakteur und Hauptautor. Er schrieb, was gefragt war, ob Western, Krimi, Science-Fiction, Kriegsgeschichte, Humorvolles, Romantisches oder Horror. 1947 heiratete Lee das britisch-amerikanische Model Joan Clayton Boocock (1922–2017), die auch als Schauspielerin arbeitete. 1950 wurde Tochter Joan Celia geboren, 1953 Jan Lee, die allerdings kurz nach der Geburt starb.

Anfang der 60er war der Vielschreiber extrem desillusioniert angesichts der simplen, plumpen Comics, die er auf Goodmans Geheiß hin explizit für Kinder schreiben musste, und Superhelden befanden sich eh in der Krise. 1961 wollte Lee eigentlich nur noch hinwerfen – da beauftragte Goodman ihn damit, eine neue Teamserie zu erschaffen. Lee, der nichts zu verlieren hatte, kreierte mit Jack Kirby daraufhin eigensinnig die den Normen zuwiderlaufenden Fantastic Four, womit sie den Grundstein für das Marvel-Universum legten. Bei Lee waren die Superhelden logischerweise immer noch super, aber sie hatten auch menschliche Probleme und Schwächen, mit denen sich junge wie erwachsene Leser erstmals vollauf identifizieren konnten – die Helden fühlten sich so real und so greifbar an wie niemals zuvor. Mit seinem Bruder Larry Lieber, Jack Kirby, Steve Ditko, Don Heck, Roy Thomas, John Buscema und anderen füllte Stan Lee das Marvel-Universum, erschuf er den Hulk, Spider-Man, Thor, Dr. Strange, die Inhumans, den Silver Surfer, Ant-Man, Iron Man und die X-Men. Überdies versammelten Lee und Kirby 1963 mehrere der frischen Recken als Avengers, die kurz darauf Captain America aus dem Eis auftauten und zum Marvel-Helden machen.

Stan Lee revolutionierte allerdings nicht nur die Archetypen, die Muster sowie das Standing von Superhelden-Comics. Er und die Zeichner, die seine Ideen Gestalt annehmen ließen, führten zudem eine neue Arbeitsweise ein. Der vielbeschäftigte Lee verfasste nur grobe Story-Zusammenfassungen anstelle von vollen Manuskripten mit Regie-Anweisungen, sodass die Umsetzung der Story und das Umbrechen in Seiten und Panels ganz den Zeichnern oblag. Nachdem ein Heft gezeichnet war, fügte Lee die Dialoge und Texte ein. In späteren Jahren gab es deshalb immer wieder Streitigkeiten, wenn Lee als Individuum zu sehr im Rampenlicht stand oder sich solitär als Erfinder der Marvel-Ikonen feiern ließ, was er in späteren Interviews und Auftritten zu korrigieren versuchte. Ansonsten verwandelte sich unter Lees Marvel-Schirmherrschaft selbst die Kommunikation zwischen dem Verlag und seinen Lesern, die der charismatische Lee in seinen pfiffigen Kolumnen und gewitzten Leserbriefantworten direkt ansprach und so zu einem Teil der großen Marvel-Familie machte.

In den 1970ern und 1980ern kümmerte sich Lee um Marvels erste große Expansion auf dem Multimedia-Markt, weshalb er und seine Frau schließlich nach Los Angeles zogen. In den 1990ern und 2000er-Jahren gründete Lee, der mit Marvels Tagesgeschäft nichts mehr zu tun hatte und Marvel sogar einmal verklagte, mehrere eigene Firmen. Überdies interpretierte er 2001 die Helden von Marvels ewigem Konkurrenten DC Comics in mehreren Comic-One-Shots neu – Marvel-Geschichten schrieb er nur noch wenige. Dafür entwickelte er Ideen für japanische Mangas und Anime, eigene neue Comics, Trickserien und Internetformate. Eine Firma unter seinem Namen, die sich als Betrug entpuppte, und die hartnäckigen Querelen wegen der Urheberschaft der Marvel-Ikonen, konnten der Legende von Stan Lee nicht viel anhaben. Diese befeuerte der bis ins hohe Alter äußerst rüstige Fanliebling mit vielen Gastauftritten in Film und Fernsehen – in fast allen modernen Marvel-Verfilmungen, in „Mallrats“ und „The Big Bang Theory“, in mehreren Marvel-Zeichentrickserien und sogar in Videogames. 2011 erhielt Lee einen Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood. Bereits zu Lebzeiten wurde er mit der National Medal of Arts geehrt und in alle wichtigen Comic-Ruhmeshallen sowie die Science Fiction and Fantasy Hall of Fame aufgenommen.

Stan Lee hatte eine unverkennbare Erzählstimme und ein gutes Gespür für überlebensgroße Geschichten, menschliche Helden, Star-Ruhm, und Personenkult. Er war nicht immer unumstritten, aber der Fußabdruck, den er in der Comic-Welt und der Popkultur hinterließ, ist der eines Giganten, an den man sich mit Dankbarkeit erinnern sollte.

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