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In Durchgeblättert werfen wir regelmäßig einen kritischen Blick auf Neuerscheinungen, Geheimtipps oder Klassiker aus der vielfältigen Welt der Graphic Novels. Diese Ausgabe enthält die Fortsetzungen der Reihen Lady Mechanika, Extremity und Myre. Darüber hinaus entführt uns die Geschichte der Seeräuberin Alwilda in die Zeit der Wikinger.

Mittlerweile sind im deutschsprachigen Bereich vier Bände der Reihe Lady Mechanika erhältlich. Die Steampunk-Abenteuer aus dem Hause Splitter sind ein gutes Beispiel für gelungene Fortsetzungen. Darüber hinaus betrachten wir in dieser Ausgabe von Durchgeblättert noch weitere Fortsetzungen. Die zweiten Bände von Extremity und Myre stehen auf dem Prüfstand, und es bleibt zu sehen, wie sie die Stärken und Schwächen ihrer Vorgänger übernehmen. Als Ausgleich zu all den Fortführungen wird mit Alwilda eine komplett neue Geschichte begonnen, in der wir in das alte Skandinavien entführt werden.

Wir hoffen, ihr habt beim Lesen dieser Kritiken ebenso viel Spaß, wie uns das Lesen der rezensierten Werke bereitet hat. Über Fragen oder Diskussionen in den Kommentaren freuen wir uns ebenso wie über Feedback zu unserem Format Durchgeblättert!

Lady Mechanika Bd. 4: La Dama de la muerte

In mittlerweile vier Bänden der Steampunk-Serie Lady Mechanika dürfen wir die Abenteuer der gleichnamigen Heldin verfolgen. Die ersten drei Bände konnten bei uns allesamt gute bis sehr gute Bewertungen erzielen. Besonders die vielschichtige Protagonistin, die abwechslungsreichen Handlungen und die visuelle Exzellenz wissen hierbei zu überzeugen. Der vierte Band mit dem Untertitel La Dama de la muerte bildet keine Ausnahme und kann bis auf einige Kleinigkeiten begeistern.

Die Graphic Novel enthält zwei eigenständige Geschichten. Die verlorenen Jungen von West Abbey schickt Lady Mechanika auf die Suche nach verschwundenen Kindern in den Slums von Mechanika City. Unterstützung erhält sie dabei von ihrem Vertrauten (dem Tüftler Lewis), sowie dem Kriminalinspektor Singh. Gemeinsam kommen sie einem Komplott auf die Spur, das mit Hilfe alter Blutmagie die Definition von Sterblichkeit auf immer verändern könnte.

Die verlorenen Jungen von West Abbey ist eine klassische Detektivgeschichte voller Ermittlungen und einem großen Unbekannten. Der Spannungsaufbau erfolgt geschickt, wenngleich die Auflösung aufmerksamen Lesern spätestens im letzten Drittel klar sein dürfte. Doch die Atmosphäre und Charakterinteraktionen machen die Lektüre dieser Geschichte kurzweilig.

Die zweite Geschichte (La Dama de la muerte) führt Lady Mechanika nach Mexiko. Mehr oder weniger freiwillig nimmt die Heldin an einer Feierlichkeit zum Tag der Toten in einem kleinen Dorf teil. Doch schnell muss sie erkennen, dass ihr keine Pause vergönnt ist. Eine Schar von übernatürlichen Teufelsreitern sucht die Gegend heim und verbreitet Terror. Doch handelt es sich wirklich um Wesen aus der Hölle? Lady Mechanika zweifelt daran und nimmt den Kampf gegen die Unterdrücker auf.

Die titelgebende Geschichte hinterlässt mehrfach Eindruck. Zum einen sorgt der Wechsel des Handlungsorts nach Mexiko für gelungene Abwechslung. In Kombination mit dem Feiertag des Tages der Toten ergibt sich eine frische Ausgangslage für Lady Mechanika. Zum anderen ist die Erzählung äußerst intensiv. Mehrere Stellen geben Einblick in Mechanikas Vergangenheit und zeigen eine unbekannte verletzliche Seite der Heldin. Außerdem gibt es Szenen, in denen die Brutalität der Teufelsreiter deutlich dargestellt wird. Diese nehmen nicht nur die Protagonistin mit.

Die visuelle Gestaltung muss wieder in höchsten Tönen gelobt werden. Benitez und Montiel gestalten wunderbare Szenerien, in denen besonders Charaktere und mechanische Konstruktionen hervorstechen. Die oben erwähnten Teufelsreiter mit ihren grünen Höllenfeuern sind ein besonderer Blickfang. Actionszenen und Kämpfe werden rabiat und kompromisslos in Szene gesetzt; man kann die Intensität anhand der Bildgestaltung förmlich spüren.

Gemeinsam mit dem Einstiegsband ist La Dama de la muerte für mich der bisher beste Eintrag in der Serie. Ich freue mich auf die Fortsetzung in Band fünf (Der Uhrwerk-Assassine), der im April 2019 erscheinen soll.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Joe Benitez, M. M. Chen
  • Zeichner: Joe Benitez, Martin Montiel
  • Seitenanzahl: 160
  • Preis: 24,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Extremity 2

Interessante Charaktere, mitreißende Handlung und detaillierte Zeichnungen. Diese Faktoren sind dafür verantwortlich gewesen, dass der Einstiegsband von Extremity bei uns im April die Bestnote erhalten hat. Die von den Schaffern als Kombination der Intensität von Mad Max und der Vorstellungskraft von Studio Ghibli beschriebene Graphic Novel hinterließ merklich Eindruck. Inzwischen ist bei Cross Cult auch der zweite Band erschienen. Begeistert er ebenso wie sein Vorgänger?

Zu Beginn sei gleich gesagt, dass auch Extremity 2 von Daniel Warren Johnson eine äußerst unterhaltsame Graphic Novel ist. Die visuelle Gestaltung fängt das trostlose Ödland, in dem die Geschichte spielt, mit seiner Hoffnungslosigkeit und Lebensfeindlichkeit gut ein. Auch im zweiten Band ist die Stimmung durchgehend düster und grimmig. Spätestens bei den großen Kampfszenen gegen Ende der Handlung wird klar, dass man sich hier in einem gewaltigen Konflikt um Überleben und Vorherrschaft befindet. Dabei verstehen es Zeichner und Kolorist bildgewaltige Szenen zu schaffen, die den Leser dennoch nicht mit zu vielen Effekten erschlagen. Stattdessen ist man von der gezeigten Intensität und Dynamik beeindruckt.

Ein Einblick in den Zeichenstil
Ein Einblick in den Zeichenstil

Während die visuelle Gestaltung auf dem Niveau des Vorgängers verbleibt, müssen bei der Handlung ein paar Abstriche hingenommen werden. Das ist zugegeben Jammern auf hohem Niveau – die Präsentation der Geschichte ist immer noch sehr kurzweilig. Jedoch fehlen im Vergleich zu Extremity 1 entscheidende innere Konflikte der Protagonisten, welche im ersten Band für Charaktertiefe sorgten. In Ansätzen sind diese durchaus noch vorhanden. Doch die Bedeutung dieser inneren Konflikte wiegt nicht so schwer wie noch im Vorgänger.

Ausgeglichen wird das durch die Vorstellung der weiteren Fraktion der Essäner. Diese versuchen dem ewigen Kreislauf der Gewalt zu entkommen und in dem kriegsgebeutelten Ödland ein friedliches Leben zu führen. Damit stehen sie in einem extremen Gegensatz zur Sichtweise der Stämme der Roto und Paznina. Gerade dadurch entsteht nochmals eine weitere Schicht an Komplexität. Beispielsweise findet eine der emotionalsten Szenen in der Stadt der Essäner statt, nachdem mehrere Bewohner hinterrücks ermordet wurden. Der Umgang mit den Tätern ist unerwartet, aber keineswegs gnadenvoll. Hier wird eindrucksvoll gezeigt, wie Gewalt als Antwort auf Gewalt nur weiteres Leid zur Folge hat.

Ansonsten merkt man diesem Band jedoch an, dass er deutlich stärker auf Action fokussiert ist. Sei es in Form von Schlachten zwischen den verfeindeten Stämmen oder von Expeditionen in gefährliche Gebiete. Extremity 2 führt einige imposante Kreaturen in die Handlung ein, die das Gefühl der Bedrohung nochmals vergrößern. Auch hier muss die visuelle Gestaltung wieder lobend erwähnt werden, durch die die Monster ihre volle Wirkungskraft entfalten.

Mit diesem zweiten Band findet die Handlung von Extremity vorerst ihr Ende. Sowohl einzeln als auch gesamt finden sich nicht viele Schwachpunkte. Beide Bände erhalten von uns die Bestnote, und somit ist es nicht übertrieben zu sagen: Extremity gehört aktuell zu den besten Reihen im Bereich der Graphic Novel.

Die harten Fakten

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor: Daniel Warren Johnson
  • Zeichner: Daniel Warren Johnson, Mike Spicer
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 22,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Myre – Die Chroniken von Yria. Band 2

Müsste man die Reihe Myre – Die Chroniken von Yria mit einem Wort beschreiben, so wäre dieses „wunderschön“. Allen Kritikpunkten der Erzählweise des ersten Bandes zum Trotz hat Autorin und Zeichnerin Claudya Schmidt eine bildgewaltige Welt voller faszinierender Schönheit geschaffen. Umso bedauernswerter ist, dass der Pilot Schwächen in der Dramaturgie aufweist. Der Einstieg in die fabelhafte Welt von Yria wirkt beinahe träge. An vielen Stellen hat man den Eindruck, dass die Geschichte nicht voranschreitet.

Glücklicherweise macht der zweite Band in dieser Hinsicht vieles besser. Nach der Annahme eines seltsamen Auftrags ist Myre auf dem Weg durch die Ödnis Yrias, um in einer der imposanten Städte ein Paket abzugeben. Im Laufe der Handlung trifft die Heldin dabei auf weitere Charaktere, wie den diebischen Lutz. Der Spannungsbogen des zweiten Bandes ist deutlich ausgearbeiteter als im Vorgänger. Verschiedene Herausforderungen und Gefahren stellen sich der Heldin in den Weg und verleiten den Leser zum Mitfiebern.

Dennoch ist die Erzählweise nicht ohne Makel. An vielen Stellen hat man nach wie vor das Gefühl, dass die Welt nicht ausführlich genug ausgearbeitet ist. Beispielsweise verirrt es Myre gegen Ende der Handlung an einen augenscheinlich bedrohlichen Ort. Jedoch wurde dieser im Vorfeld nicht behandelt. Über die Bedeutung erfährt man erst in den Erklärungen zur Welt in den Anhängen dieser Graphic Novel. Dies ist hilfreich, sollte aber zum Verständnis der Geschichte nicht nötig sein.

Dafür ist die visuelle Gestaltung über jeden Zweifel erhaben. Spontan fallen mir nur zwei Serien ein, die mich ähnlich in den Bann gezogen haben– Lady Mechanika und Seven to Eternity. Claudya Schmidt erschafft eine von Tiermenschen und Fabelwesen bewohnte Welt, die vor Atmosphäre geradezu pulsiert. Besonders die Liebe zum Detail bringt dabei zum Staunen. So kann man beinahe jedes einzelne Haar der Protagonistin in den Zeichnungen erkennen.

In Kombination mit den faszinierend fremdartigen Szenerien und der opulenten Farbgestaltung erinnert Myre – Die Chroniken von Yria 2 stellenweise an einen Bildband. Da passt es gut, dass mehrere Seiten komplett ohne Text auskommen. Das ermöglicht den Fokus auf die prächtigen Bilder, die stellenweise eine komplette Seite einnehmen.

Es ist erfreulich zu sehen, dass der zweite Band einiges besser macht. Zwar gibt es immer noch ein paar Schwächen bei der Präsentation der Welt, doch die Faszination für das Schicksal von Myre entfaltet sich in dieser Graphic Novel stärker. Im Zusammenspiel mit der hervorragenden visuellen Gestaltung ergibt sich dadurch eine kurzweilige Lektüre, die stellenweise auch einfach zum Bestaunen der Bilder einlädt.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor: Claudya Schmidt
  • Zeichner: Claudya Schmidt
  • Seitenanzahl: 96
  • Preis: 19,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Alwilda 1: Geburt einer Walküre

Alwilda – Geburt einer Walküre stellt den Auftakt einer Trilogie dar, in der die Legende der gleichnamigen Seeräuberin aufgegriffen wird. Jedoch orientiert sich die Graphic Novel des Franzosen Jean-Yves Mitton nur lose an der Vorlage. Leider weist die im antiken Skandinavien stattfindende Erzählung einige Schwächen auf.

Wir schreiben das fünfte Jahrhundert nach Christus. Der hohe Norden Europas ist von den Ereignissen des übrigen Festlandes weitestgehend isoliert. Kleine Königreiche kämpfen um Macht, während sich viele Nordmänner als unorganisierte Raubbanden durchschlagen. Das Leben wird durch den Glauben an die Götter und Schamanen, sowie durch alte Kodizes und Gesetze geprägt.

Eine dieser Richtlinien ist das Gesetz Norglaw. Dieses verfügt, dass nur der älteste Sohn das Erbe antreten kann, um die Teilung von Macht und Besitz zu verhindern. Jüngeren Söhnen bleibt oft nur die Wahl zwischen Knechtschaft und Exil, um ihr Glück auf eigene Faust zu suchen. Die Frauen sehen Zwangsheirat oder Sklaverei entgegen.

Dieses Schicksal droht auch Alwilda, der ältesten Tochter des Königs von Gotland. Von hohem Alter gezeichnet bestimmt er seinen Sohn Olaf zum Erben. Alwilda dagegen soll dem dänischen König als Braut übergeben werden, um ein starkes Bündnis zwischen den beiden Reichen zu schaffen.

Die wilde und kriegerische Alwilda ist für ein solches Leben jedoch nicht geschaffen. Auch sieht sie sich in ihren Fertigkeiten bestätigt, nachdem sie den Anspruch ihrer Bruders gegen den aufsässigen Bjorn durch ihre Kampfeskünste durchsetzen konnte. Zur gleichen Zeit erfolgt eine Prophezeiung der Völva (eine nordische Seherin), nach der Alwilda sich gegen das Gesetz Norglaw auflehnen und zu einer Legende heranwachsen wird.

Das stimmungsvolle Backcover
Das stimmungsvolle Backcover

Alwilda – Geburt einer Walküre fokussiert sich auf die Etablierung der Charaktere und die Vermittlung der nordischen Lebensweisen. Während letztgenannte eine Faszination ausüben, wissen die Figuren leider weniger zu überzeugen. Protagonistin, Gegenspieler und Nebencharaktere fallen in ein klassisches Muster an Archetypen. Bjorn beispielsweise ist der rüpelhafte und arrogante Möchtegern-König, der keine positive Eigenschaft aufweist. Demgegenüber steht die kühne und makellose Alwilda. Den Charakteren fehlen Ecken und Kanten.

Natürlich lässt sich dem entgegen stellen, dass Mythen traditionell auf Stereotypen setzen. Jedoch hat sich Mitton an einigen Stellen deutlich von der Vorlage gelöst, sodass mehr Tiefgang bei den Charakteren erfreulich gewesen wäre. Tatsächlich bessert sich dieses Problem gegen Ende des ersten Bandes. Hier wird Alwildas eigensinnige Natur und Führungsstärke hervorgehoben. Damit gewinnt der Charakter endlich an Komplexität, und man erwartet mit Spannung den Fortgang der Geschichte.

Der Zeichenstil von Alwilda ist klassisch gehalten und erinnert an Lanfeust von Troy, wenngleich weniger farbenfroh. Generell ist die Farbpalette limitiert und setzt in erster Linie auf braune und grüne Farbtöne. Wie bei seinen anderen historischen Werken (z. B. Ben Hur) bleibt Mitton seinem Stil treu. Für Alwilda wählte er den Ansatz einer fast amazonenhaften Darstellung. Der Spagat zwischen reizvoller und kampfstarker Frau ist dem Autor gut gelungen.

Geburt einer Walküre ist ein stimmungsvoller Einstiegsband, der jedoch auch mit einigen Problemen zu kämpfen hat. Wenn die Charaktere in den folgenden Bänden mehr an Tiefgang gewinnen können, verspricht die Geschichte der nordischen Seeräuberin jedoch unterhaltsam zu werden.

Die harten Fakten

  • Verlag: All Verlag
  • Autor: Jean-Yves Mitton
  • Zeichner: Jean-Yves Mitton
  • Seitenanzahl: 56
  • Preis: 15,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit des Monats

Welch eine Qualität in dieser Ausgabe! Die Bestnoten für Lady Mechanika und Extremity zeigen, wie Fortsetzungen eindrucksvoll gestaltet werden können. Auch der zweite Band von Myre konnte einen positiven Eindruck hinterlassen und viele Kritikpunkte des Vorgängers lösen. Auch wenn Alwilda zum Auftakt der Geschichte mit ein paar Problemen zu kämpfen hatte, weckt der Abschluss des Bandes Vorfreude auf mehr.

Die nächste Ausgabe von Durchgeblättert führt den Leser in die Weiten unseres Weltalls. Unter anderem erwartet uns die Rückkehr nach Belzagor. Bis dahin wünschen wir wie üblich: „Frohes Lesen!“

Artikelbilder: Splitter, Cross Cult, All Verlag
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

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