Wenn Jewgenij Schibalow im Sommer aus dem Fenster schaute, konnte er den Raketen und Granaten beim Einschlagen zusehen. Im Südosten von Donezk, wo sein Wohnblock liegt, wüteten die Kämpfe. Seine Wohnung am Stadtrand sei als Beobachtungsposten perfekt geeignet, sagt der Journalist. Seine Familie hat er aber längst in Sicherheit gebracht. Er selbst blieb. Und schrieb.

Schibalow, ein hagerer 33-Jähriger mit dunklen Ringen unter den Augen, ist Korrespondent der Kiewer Wochenzeitung Zerkalo Nedeli. Und vielleicht ist er der einzige ukrainische Journalist, der seit Beginn des Konflikts aus Donezk berichtet und noch immer unter seinem Namen für ein Medium schreibt, das nicht unter dem Einfluss der ostukrainischen Separatisten steht. Dafür gelten für ihn Einschränkungen bei der Berichterstattung: Er darf sich keinen militärischen Objekten nähern. Einschränkungen gibt es auch bei der Wortwahl: Schibalow darf die prorussischen Bewaffneten nicht als "Terroristen" bezeichnen. An der Wortwahl "Separatisten" halte er aber eisern fest, sagt der 33-Jährige, von "Freiheitskämpfern" habe er noch nie geschrieben.

Jewgenij Schibalow ist eine Ausnahme. Denn seit der Machtergreifung der Separatisten im vergangenen April ist es für Journalisten in der Ostukraine gefährlich geworden. Nachdem die Separatisten öffentliche Gebäude in mehreren Städten der Region besetzt hatten, stürmten sie die Fernsehtürme. Missliebige TV-Kanäle wurden abgeschaltet; Redaktionen okkupiert; Medien, die aus der Sicht der prorussischen Aktivisten nicht korrekt berichteten, bedroht.

"Wir galten plötzlich als Feindesblatt", erinnert sich ein Donezker Journalist einer auflagenstarken Kiewer Tageszeitung, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. "Ende Mai hieß es dann: Wir müssen weg." Die Zentrale konnte nicht mehr für die Sicherheit der Mitarbeiter garantieren. Damals fand in den selbsternannten "Volksrepubliken" eine wortwörtliche Jagd auf Journalisten statt. Viele einheimische – und ein paar ausländische – Reporter landeten "im Keller", ein Synonym für die willkürliche Verhaftung in den von Bewaffneten besetzten Geheimdienstgebäuden, Schläge und Folter inklusive.

Ein Korrespondent arbeitet undercover

Diese wilde Zeit ist nun vorüber, die Folgen sind aber noch zu spüren: Durch den Krieg wurde die Medienlandschaft der Ukraine zweigeteilt. Journalisten aus der Hauptstadt können sich zwar der Armee oder den Freiwilligenbataillonen anschließen, hinter die Frontlinie schaffen sie es aber selten. Das ist zu riskant.

"In der Ukraine wissen viele nicht, was hinter der Frontlinie wirklich passiert", sagt Jewgenij Schibalow. "Wir bräuchten hier viel mehr professionelle Kollegen", beklagt er: "Leute, die per Arbeitsvertrag zugesichert haben, ehrlich zu sein."

Doch die Realität sieht anders aus: Nahezu alle landesweiten ukrainischen Medien haben ihre Büros in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten geschlossen. Auch unabhängige Lokalmedien sind von dem Exodus betroffen. Das Donezker Bürgerfernsehen sendet aus einem improvisierten Studio in der Stadtbibliothek des ostukrainischen Städtchens Slowjansk. Slowjansk, 100 Kilometer von der Frontlinie entfernt, steht seit dem Frühsommer unter der Kontrolle der Armee. Die kritische Info-Website Donbass-Nachrichten musste nach Kiew übersiedeln. Die meisten Journalisten der unabhängigen Website Ostrow sind ebenso aus dem Donezker Gebiet ausgereist – lediglich ein Korrespondent ist noch vor Ort. Er arbeitet undercover. Die Redaktion möchte den Kontakt für ZEIT ONLINE nicht herstellen. Zu gefährlich, heißt es.