21. November 2018 1 Likes

Ein Mann, sein Brett und das All

Stan Lees und John Buscemas „Silver Surfer“

Lesezeit: 3 min.

In „Breathless“ (1983), Jim McBrides bemerkenswert unterschätztem Remake von Jean-Luc Godards „À bout de souffle“ (Außer Atem, 1960), gibt es eine Szene, in der Jesse (Richard Gere) auf dem Bett liegt und seiner Flamme Monica (Valérie Kaprisky) eine Stelle aus „Silver Surfer“ Nr. 1 vorliest. Die Comicstory von Stan Lee und John Buscema ist die Geschichte zweier Liebender, die vom Schicksal grausam getrennt werden. Es ist Kitsch und Pathos in reinster Form, aber es ist auch unendlich traurig und seltsam wahrhaftig. Jesse, der Melancholiker ahnt bereits, dass er der Surfer seiner eigenen Geschichte ist. Und Monica seine Shalla Bal, seine unmögliche Liebe. Die Sache wird natürlich tragisch enden – wie könnte es auch anders sein?

Der jüngst verstorbene Stan Lee hat den Surfer 1966 gemeinsam mit Zeichner Jack Kirby für die Serie „Fantastic Four“ erfunden, wo er als Herold geeignete Planeten für den Megaschurken Galactus aufspürt, die dieser dann verschlingen kann. Der drahtige Typ auf dem Surfbrett war etwas blasiert, aber es gelang den FF, ihn vom Wert der Menschen zu überzeugen. Und natürlich half er ihnen schließlich, die Erde vor Galactus‘ Fressgier zu bewahren.

Lee – ganz der trendbewusste Redakteur, der er zweifellos war – witterte Potenzial in der Figur, die in vielen Lesern offenbar eine Saite zum Klingen brachte. Er überschätzte aber auch den massentauglichen Appeal eines Helden, der von inneren Qualen zerrissen war und statt Witzchen philosophisch angehauchte, verschraubt formulierte Gedanken über Liebe, Heldenmut, Opferbereitschaft und den Kosmos von sich gab. Die 1968 gestartete eigene Serie jedenfalls war kurzlebig und auch wenn der Surfer bis heute fester Bestandteil des Marvel-Universums ist, war er doch nie in dessen A-Liga.

Aber es war in dieser Reihe, in der Lee – der zuvor mit Spider-Man, dem Hulk, Thor, den Fantastic Four, den Avengers und X-Men praktisch ein eigenes Superheldenuniversum aus dem Hut gezaubert hatte (natürlich mit tatkräftiger Unterstützung all der Zeichner, die den Ideen die nötige visuelle Kraft gaben) – etwas anders sein, etwas von der Formel abweichen konnte, selbst wenn in schneller Taktung diverse Schurken aus den unerschöpflichen Tiefen der Marvelwelten auftauchten, um dem selbsternannten Beschützer der Erde das Leben im Exil schwer zu machen. Denn der Surfer war auch das: ein Fremder in einer fremden Welt, ein Außerirdischer, der es nicht leicht hatte mit seinen Schützlingen, die ihn sehr wohl auch als Fremden wahrnehmen. Hier, in dieser Serie, gab Lee nicht den Großkotz, sondern zeigte eine eher introvertierte Seite, die man so nicht von ihm kannte – und die man auch danach nur noch höchst selten zu sehen bekam.

Das ist natürlich – wie so viele Klassiker – etwas angestaubt und man muss unbedingt die Zeit berücksichtigen, in der diese Geschichten geschrieben wurden. Aber sie haben im Kern ihren Charme bewahrt, auch weil hier ein Autor ins Risiko ging und eine sentimentale Seite zeigt, die sich deutlich entfernt vom muskulös-maskulinen Stil seiner anderen Superheldenabenteuer. Man spürt, dass Lee diese Figur und diese Storys wichtig waren.

Aktuell sind die ersten fünf dieser Geschichten im Band „Silver Surfer: Wie alles begann“ als Band 103 der Hachette Marvel Collection auf Deutsch erhältlich (u.a. im Comic-Fachhandel und direkt beim Verlag, leider nicht via ISBN-Nr. im Buchhandel).

Abb.: © Marvel

Stan Lee, John Buscema: Silver Surfer - Wie alles begann • Stuttgart 2017, Panini • 140 Seiten • 12,99 €

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