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Problemgewehr G36 Geheimdienst MAD sollte kritische Journalisten ausspähen

Geheime Akten über das G36 beschreiben eine brisante Kumpanei: Verteidigungsministerium und Hersteller wollten den Geheimdienst MAD dazu bringen, negative Berichte über das Bundeswehrgewehr zu verhindern. Im Visier waren auch Journalisten von SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE.
Soldaten mit G36-Gewehr (Archivbild): Neue Vorwürfe gegen Ministerium

Soldaten mit G36-Gewehr (Archivbild): Neue Vorwürfe gegen Ministerium

Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS

In der Affäre um die Probleme beim Sturmgewehr G36 gerät Ministerin Ursula von der Leyen erneut in Erklärungsnot. Geheimen Akten zufolge versuchten führende Beamte des Verteidigungsministeriums Ende 2013 in enger Absprache mit dem Hersteller Heckler & Koch, die kritische Berichterstattung über das Gewehr mit allen Mitteln abzuwürgen. So sollte der Militärische Abschirmdienst (MAD) gegen kritische Journalisten und deren "unwahre Medienkampagne" tätig werden.

Für die Ministerin ist der Vorgang unangenehm. Obwohl ihr Büro schon im März 2014, rund drei Monate nach ihrem Amtsantritt, detailliert über den heiklen Versuch informiert wurde, zog von der Leyen keine Konsequenzen aus der offenkundigen Kumpanei von Beamten aus ihrem Ressort und deren Versuch, kritische Journalisten mit Geheimdienst-Methoden mundtot zu machen.

Zwar sind einige der Beteiligten mittlerweile im Ruhestand. Der maßgebliche Abteilungsleiter und einer seiner Top-Beamten wurden aber lediglich versetzt, ihr Vorgehen blieb bisher folgenlos.

Im Verteidigungsausschuss sorgten die Details aus den erst kürzlich vorgelegten Akten für turbulente Auseinandersetzungen. Die Opposition beschuldigte Ministerin von der Leyen, den skandalösen Versuch ihres Hauses entgegen ihrer generellen Ankündigungen nicht aufzuklären, sondern zu verschleiern. Mehrmals wurde die Sitzung auf "vertraulich" geschaltet, da man über die geheimen Akten sprechen wollte, viele Fragen konnte das Ministerium nicht beantworten.

MAD sollte "unwahre Medienkampagne" stoppen

Die Vorwürfe gehen aus einer Vorlage mit dem nüchternen Titel "Gewehr G36 - Genese" hervor, sie wurde am 18. März durch von der Leyens Büro abgezeichnet ("lag vor"). Detailliert schildert Ministerialrat M. darin, wie die Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (AIN) gemeinsam mit dem Hersteller Heckler & Koch versuchte, die kritische Berichterstattung über das G36 zu stoppen. Dazu sollte der MAD die Quellen für die Berichte finden und auch die Journalisten ausspähen.

Die Ziele für die Operation werden in der Vorlage genannt: Als Anlage sind mehrere SPIEGEL-Beiträge abgeheftet, in mehreren Geschichten hatten das Magazin und SPIEGEL ONLINE seit März 2012 die Probleme des G36 enthüllt, das heiß geschossen an Treffgenauigkeit verliert. In der Vorlage werden diese und andere Beiträge aus der "taz" und "Die Zeit" als "unwahre Medienkampagne" bezeichnet, die nur der MAD stoppen könne.

Die Abläufe illustrieren eine enge Absprache zwischen dem Hersteller und der Abteilung AIN. Zunächst wurde die Geschäftsführung von Heckler & Koch am 20. November 2013 beim MAD-Präsidenten Ulrich Birkenheier vorstellig, nur sechs Tage später drängte der Vize-Chef der Abteilung AIN auf geheimdienstliche Ermittlungen. Kurz darauf, am 6. Dezember, schrieb AIN-Chef Detlef Selhausen persönlich an den MAD-Präsidenten und warb noch einmal für eine verdeckte Operation der Geheimen gegen die Presse.

Der Versuch der G36-Fans allerdings schlug fehl. Obwohl die Clique der G36-Fans laut der Vorlage "die systemische Bedeutung von Heckler & Koch" als wichtiger Waffenhersteller für Deutschland ins Feld führten und den kritischen Journalisten gar eine Verschwörung mit einem Konkurrenzhersteller unterstellten, sah sich der Geheimdienst nicht zuständig. Am 23. Dezember schon bekam die Abteilung AIN eine Absage vom MAD-Präsidenten.

Verantwortliche teilweise weiter im aktiven Dienst

Obwohl der Versuch scheiterte und auch nur teilweise in ihre Amtszeit fällt, bringt er Ministerin von der Leyen in eine neue Klemme. So wurde der Leiter der Abteilung AIN zwar unter von der Leyen von seinem Posten entfernt, er ist allerdings immer noch als Leiter des riesigen Bundeswehr-Fuhrparks im Ministerium aktiv. Vor allem aber ist der Projektleiter für das G36, der den saftigen Vermerk über die angeblich "gesteuerte Kampagne" gegen den Hersteller verfasste, immer noch in der Abteilung AIN tätig.

In den Stunden nach der turbulenten Sitzung im Ausschuss richtete der Linken-Abgeordnete Jan van Aken in einer Pressemitteilung schwere Vorwürfe gegen die Ministerin. Die Dokumente zeigten, dass Mitarbeiter des Ressorts "jahrelang schützend die Hand über Heckler & Koch gehalten" hätten und sprach von einer "Seilschaft". Von der Leyen warf er vor, sie habe bisher nichts getan, um "diesen Sumpf endlich trocken zu legen".

Das Ministerium betonte am Abend auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE, dass die Ministerin die entsprechende Vorlage im März 2014 nicht selbst gesehen habe, sie sei von einem Referenten bearbeitet worden. Zudem habe es bereits im ersten Halbjahr 2014 "Konsequenzen wegen mangelndem Vertrauen der Ministerin in das Rüstungsmanagement" gegeben, sagte der Sprecher der Ministerin. So seien der verantwortliche Staatssekretär und der AIN-Chef schon nicht mehr im Amt gewesen.