Verhasste Tageszeitung: Kampf gegen „Gazeta Wyborcza“

Leader of Law and Justice party Kaczynski speaks during an interview with Reuters in party headquarters in Warsaw
Leader of Law and Justice party Kaczynski speaks during an interview with Reuters in party headquarters in WarsawREUTERS
  • Drucken

Ministerien dürfen sie nicht abonnieren, Werbeaufträge schwinden: Wie PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński die ihm verhasste Tageszeitung aushungert.

Adas Miauczynski ist außer sich vor Wut: Er versucht, die „Gazeta Wyborcza“ zu lesen, doch vor lauter Beilagen findet er den Hauptteil nicht. Buch um Buch, Werbebeilage um Werbebeilage knallt er in Marek Kotorskis Film „Dzien Zwira“ („Ein Tag eines Spinners“) auf den Boden . . .

Diese Filmszene aus dem Jahr 2002 wäre heute kaum noch möglich. Die „Gazeta Wyborcza“, als Polens führende Tageszeitung bekannt, ist zu einem dünnen Blatt geschrumpft. Und musste man sich noch vor einem Jahr am Freitag zum Zeitschriftenstand sputen, um eine Ausgabe zu ergattern, liegt heute auch spätabends noch ein ganzes Bündel zum Kauf bereit. Das Kaufverhalten entspricht den spärlichen offiziellen Zahlen des Medienhauses Agora, das die „Gazeta Wyborcza“ herausgibt: Anfang 2000 wurde noch über eine halbe Million Zeitungen täglich verkauft, Anfang 2016 waren es nur noch rund 190.000. Ganz anders verhält es sich mit den betont regierungsfreundlichen Tageszeitungen: Sie sind seit dem Wahlsieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Ende Oktober 2015 aufgeblüht – und am Kiosk nun oft vergriffen.

Kaczyńskis Feindbild Nummer eins

Vielen der „Gazeta Wyborcza“ vergleichbaren Printprodukten Ostmitteleuropas geht es ebenfalls schlecht: Auch in Tschechien und der Slowakei halbierten sich in den letzten 15 Jahren die Auflagen der großen Tageszeitungen, schuld daran ist – wie auch in Westeuropa – vor allem das Internet. Im Fall der „Gazeta Wyborcza“ kommt allerdings noch ein mächtiger, finanzstarker Feind hinzu: die PiS. Jahrelang hatte deren Führung die vom Ex-Dissidenten Adam Michnik als Chefredakteur geführte Zeitung für ihre Misserfolge bei Wahlen verantwortlich gemacht. Heute ist die Zeitung vor allem für Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Polens starken Mann, Feindbild Nummer eins. Dabei spielen bei Kaczynskis Anhängern auch unterschwellige antisemitische Weltverschwörungstheorien eine Rolle.

Der „Gazeta Wyborcza“ hat es auch nicht geholfen, dass der Zeitung Beitrittserklärungen zur oppositionellen Bürgerbewegung Komitee zur Erhaltung der Demokratie (KOD) beigelegt waren, oder dass man sich im Streit um die angebliche Geheimdienstmitarbeit Lech Wałęsas offen auf dessen Seite stellte. Für Kaczyński ist das Blatt zu einem gefährlichen Apologeten des westlichen Liberalismus und der Kritik an Tradition, Nationalstaat und katholischer Kirche geworden. Den Ministerien der PiS-Regierung sowie den Gerichten wurde sogar explizit verboten, die „Gazeta Wyborcza“ zu abonnieren. Auch bemüht man sich offenbar erfolgreich, Werbeaufträge zu verhindern. Allein im ersten Halbjahr der PiS-Regierung sanken die Werbeeinnahmen der Zeitung um 21,5 Prozent. Der Verlag will diesen Verlust mit einer Paywall kompensieren – und hofft auf 90.000 zahlende Abonnenten.

PiS-nahe Medien blühen mit Staatsgeld

Klar ist, dass der Werbeeinbruch eng mit dem PiS-Wahlsieg zusammenhängt: Während die großen Staatsfirmen ihre Werbeaufträge bei den verhältnismäßig starken regierungskritischen Zeitungen und Nachrichtenmagazinen („Polityka“, „Newsweek Polska“) zurückgezogen haben, sind die Werbeeinnahmen von Nischenblättern wie der Jaroslaw Kaczyński auch familiär nahestehenden Wochenzeitung „Gazeta Polska“ bis Oktober 2016 um über 300 Prozent gewachsen. Laut einem Bericht der „Gazeta Wyborcza“ wird so jede Ausgabe indirekt mit umgerechnet rund 40.000 Euro aus der Staatskasse finanziert. Eine ähnlich privilegierte Behandlung genießen die rechten Nachrichtenmagazine „wSieci“ und „Do Rzeczy“ sowie die rechtsnationalen Tageszeitungen „Gazeta Polska Codzienna“ und „Nasz Dziennik“.

Laut Reporter ohne Grenzen ist Polen im Index der Pressefreiheit seit dem Wahlsieg der PiS vom 29. auf den 47. Platz abgerutscht. Mittlerweile plant die Partei die Wiederverstaatlichung einiger privater Medien, darunter v. a. von Medienhäusern mit hohem deutschen Kapitalanteil (Bauer, Springer-Ringier). Agora zählt derzeit nicht dazu. Doch das könnte sich rasch ändern . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.