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130 km/h auf Autobahnen Tempolimit senkt Unfallzahlen drastisch

Die Bundesregierung lehnt eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung ab - dabei zeigen Beispiele in Brandenburg und NRW: Mit Tempo 130 reduziert sich die Zahl der Unfälle, der Verletzten und der Toten erheblich.

130 km/h auf allen Autobahnen, dem Klima zuliebe. Diesen Vorschlag machte eine Regierungskommission für mehr Klimaschutz im Verkehr - den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), aber auch der ADAC sofort zurückwiesen. Denn kaum eine Forderung polarisiert so sehr wie die nach einem generellen Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen - dabei würde es den Verkehr deutlich sicherer machen.

Bislang darf auf rund 70 Prozent der deutschen Autobahnkilometer jeder fahren, was Auto und Verkehrslage hergeben. Welche Auswirkungen die Einführung eines allgemeinen Tempolimits hätte, dazu gibt es bis dato kaum Studien. Die wenigen wissenschaftlichen Betrachtungen der Frage allerdings kommen zu einem eindeutigen Ergebnis - zum Beispiel in Brandenburg.

Dort war ein 62 Kilometer langer Abschnitt der A24 zwischen den beiden Autobahndreiecken Wittstock/Dosse und Havelland bis Dezember 2002 noch ohne Tempolimit. Danach wurde eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h eingeführt, und die Auswirkungen wurden analysiert.

Im Video: Die wichtigsten Zahlen und Fakten zum Tempolimit

SPIEGEL ONLINE

Die Zahl der Unfälle halbierte sich anschließend, von 654 Unfällen in drei Jahren ohne Tempolimit auf 337 Unfälle in drei Jahren mit 130 km/h. Das geht aus einer Studie  über die Auswirkungen eines generellen Tempolimits im Land Brandenburg hervor. Zwar ging der Verkehr auf diesem Autobahnabschnitt im beobachteten Zeitraum ebenfalls leicht zurück, von 47.200 Autos in 24 Stunden in den Jahren 2000 bis 2002 auf 45.400 Fahrzeuge pro 24 Stunden im Zeitraum von 2004 bis 2006. Den Anteil des Tempolimits an den sinkenden Unfallzahlen bezifferten die Autoren unter Berücksichtigung des verminderten Verkehrsaufkommens trotzdem mit 26,5 Prozent.

Bemerkenswert ist vor allem die Entwicklung der Verletztenzahlen: So wurden von 1996 bis 2002 bei Unfällen auf diesem Autobahnabschnitt 1850 Menschen verletzt - im gleichen Zeitraum nach der Einführung der 130 km/h sank die Zahl um mehr als die Hälfte, auf 799 Verletzte.

Die Zahlen aus Brandenburg widerlegen auch die These des Verkehrsforschers Michael Schreckenberg, der sich gegen Tempolimits ausgesprochen hat. Auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar hatte er noch erklärt: "Ob ich mit Tempo 100 oder 160 vor den Baum fahre - ich bin in beiden Fällen tot." Tatsächlich starben auf dem untersuchten Abschnitt der A24 in Brandenburg in den Jahren 1996 bis 2002 ohne Tempolimit 38 Menschen. Seit der Beschränkung auf 130 km/h im Jahr 2003 halbierte sich diese Zahl auf 19 Tote. "Ein besseres Beispiel für die Auswirkung von Tempo 130 auf die Verkehrssicherheit gibt es in Deutschland wohl nicht", erklärte deshalb ein Sprecher des Ministeriums für Infrastruktur des Landes Brandenburg.

Mehrheit der Fahrer hält sich an Tempolimits

Ein ähnliches Beispiel gibt es auch in Nordrhein-Westfalen, auf einem Autobahnabschnitt der A4 zwischen den Gemeinden Elsdorf und Merzenich. Dort wurde 2017 nach mehreren schweren Unfällen mit zahlreichen Verletzten und insgesamt neun Getöteten in den vorangegangenen drei Jahren ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde eingeführt. Nach Informationen des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) ereignete sich dort bis heute kein tödlicher Unfall mehr. Außerdem wurde das Tempolimit von 85 Prozent aller Fahrer befolgt und die durchschnittliche Geschwindigkeit sank auf dem rund zehn Kilometer langen Abschnitt von mehr als 140 auf 120 km/h.

Eine weitere Erhebung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) aus dem Jahr 2016 hat unter anderem explizit Geschwindigkeitsunfälle auf Autobahnen untersucht, also Unfälle, bei denen mindestens ein Beteiligter eine nicht angepasste Geschwindigkeit aufwies. Das Ergebnis: Von deutschlandweit 185 Todesopfern bei Geschwindigkeitsunfällen kamen 122 Menschen (66 Prozent) in Abschnitten ohne Tempolimit ums Leben. 63 Unfallopfer (34 Prozent) starben in tempolimitierten Zonen.

Durchschnittstempo sinkt bei 130 km/h nur geringfügig

Auch die Autoren der Studie aus Brandenburg  kamen zu einem eindeutigen Fazit: Durch ein Tempolimit würden die Autobahnen für jeden Verkehrsteilnehmer sicherer. Denn unabhängig vom technischen Fortschritt führen hohe Geschwindigkeiten auch zu deutlich längeren Anhaltewegen. Bei einer Geschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde betragen Reaktions- und Bremsweg zusammen rund 250 Meter, rechnen Verkehrsexperten vor. Bei Tempo 130 kommt das Auto bereits nach etwa 118 Metern zum Stehen.

Die Studie im Auftrag des Landes Brandenburg befasste sich auch mit einem Argument vieler Gegner eines generellen Tempolimits: der geringeren Reisezeit durch ein höheres Durchschnittstempo. Der Unterschied der gefahrenen Geschwindigkeit zwischen unbeschränkten und beschränkten Autobahnschnitten ist laut der Studie erstaunlich gering: So wurden auf unbegrenzten Streckenabschnitten mittlere Pkw-Geschwindigkeiten von 137 km/h auf Autobahnen mit vier Fahrstreifen beziehungsweise 142 km/h auf Autobahnen mit sechs Fahrstreifen berechnet - mit sehr hohen Schwankungen zwischen den gefahrenen Geschwindigkeiten.

Bei einer Begrenzung auf 130 km/h sank die mittlere Geschwindigkeit der Autos auf 127 beziehungsweise 132 km/h, mit deutlich geringeren Schwankungen. Die Studie kam deshalb zu dem Schluss, ein Tempolimit für Pkw könne den Verkehrsfluss harmonisieren und die Kapazität eines Fahrstreifens um 100 Fahrzeuge pro Stunde erhöhen - und der Gesellschaft sogar Kosten sparen: Den zusätzlichen Kosten durch eine längere Fahrzeit von 17,2 Millionen Euro stünden 22,5 Millionen Euro geringere Unfallkosten auf den ehemals unbegrenzten Abschnitten gegenüber.