Neuer Marvel-Film im Kino:Mit Ant-Man gewinnt das Heldenabenteuer seine Unschuld zurück

  • Superheldenfilme widmen sich regelmäßig Themen von gesellschaftlicher Relevanz, sie beeinflussen Debatten.
  • "Ant Man and the Wasp" vermeidet jedoch den allzugroßen Ernst der Wirklichkeit.
  • Stattdessen hat das Heldenabenteuer wieder eine kindliche Naivität, wie sie die Filme eigentlich ablegen wollten.

Rezension von Nicolas Freund

Superhelden sind eine ernste Angelegenheit. Captain America und Iron Man verhandelten zuletzt sehr vehement die Frage, wie viel staatliche Regulierung für ihre Superkräfte geboten sei. In dem Film mit dem Titel "Civil War" wurde noch immer viel geschossen und in die Luft gesprengt, im Zentrum stand aber eine grundsätzlich amerikanisch-demokratisch Diskussion über die Grenzen des Liberalismus, die über die Welt der Marvel-Comicverfilmungen hinauswies. Was auch am Erfolg dieser Filme liegt. Bei Millionen Kinobesuchern ist der reale Einfluss politischer Debatten nicht zu unterschätzen, auch wenn sie von kostümierten Bodybuildern geführt werden.

Erst im Frühjahr kam "Black Panther" in die Kinos, der erste Marvel-Film mit einem schwarzen Titelhelden und überhaupt der erste Film des Studios, in dem nicht ein weißer, muskelbepackter Mann im Mittelpunkt steht. Der Film gilt als Epochenwende, ganz einfach, weil die Helden und Feinde fast alle schwarz sind, ohne dass es ständig darum geht, dass jemand schwarze Haut hat. Superheldenfilme, das zeigt sich am Beispiel von "Black Panther", haben eine gesellschaftliche Relevanz erreicht, indem sie Debatten nicht nur spiegeln, sondern auch beeinflussen.

Zuviel Ernst ist allerdings auch ermüdend, das wissen sie bei Marvel: Wie soll man sich da noch auf Autoverfolgungsjagden und Kämpfe mit Weltraummonstern konzentrieren? So folgt im Masterplan des Studios nun wieder ein "Ant-Man"-Film. Denn dieser ist keine menschliche Drohne wie Iron Man und kein bizarres Weltkriegsexperiment wie Captain America, er kann sich einfach nur in Sekundenschnelle verkleinern und vergrößern. Und er ist wieder ein weißer Mann. Sicher ist sicher.

"Ant-Man and the Wasp", das zweite Kino-Abenteuer des Ameisenmanns, vermeidet den allzugroßen Ernst der Wirklichkeit, mit dem sich die Superhelden immer mehr konfrontiert sehen, und verzichtet - noch wichtiger - auf den Ballast, den andere Marvel-Helden inzwischen mit sich herumschleppen. In den Comicvorlagen ist Ant-Man ein durchgeknallter Wissenschaftler, der sich schon als Kind mithilfe von Brausepulver und einer Badewanne selbst blau gefärbt hat. Später entwarf er den Killerroboter Ultron, für den in den Filmen Tony Stark, besser bekannt als Iron Man, verantwortlich ist.

Zwischen Ant-Man und Wasp schwirren die Punchlines wie in einer Screwball-Komödie

Das war den Marvel-Strategen um Kevin Feige scheinbar alles zu schwer, ihre Version des Ameisenmanns ist ein etwas trotteliger Jedermann, völlig unpolitisch und unkompliziert, der Typ, dem ein Barbecue und ein kaltes Bier zum Glücklichsein reicht. Paul Rudd spielt diesen Normalo mit der hipsterhaften Ironie, die vor jeder noch so brenzligen Situation immunisiert. Seine Freundin Wasp (Evangeline Lilly) sieht die Dinge meist etwas enger, das lässt diesen Ant-Man aber nur noch quatschiger erscheinen. Zwischen den beiden schwirren die Punchlines wie in einer Screwball-Komödie.

Mit seiner kumpelhaften Art soll das Paar aber noch ein weiteres Problem lösen, das die Marvel-Filme seit einiger Zeit umtreibt: Sie sollen das Unbehagen gegenüber solchen Gestalten wie dem Supernationalisten Captain America, dem ehemaligen Waffenhändler Iron Man und dem Feudalherrscher Thor entschärfen. Die werden zwar von Millionen Fans nach wie vor heiß geliebt, aber nicht nur ihre zweifelhaften Hintergrundgeschichten, auch das Weltbild, für das sie stehen, erscheint in der aktuellen politischen Weltlage zunehmend unangenehm.

Die Welt der Marvel-Filme ist, wie sie populistische Politiker gerne zeichnen

Der Historiker Daniel Immerwahr schrieb kürzlich in einem Essay, die als "Avengers" vereinigten Marvel-Helden wirkten, "als hätten sich Elon Musk, Mohammed bin Salman und Oliver North zu einem Superheldenteam zusammengetan". Ein eigenwilliger Tüftler, ein Kronprinz und ein etwas zu engagierter Weltkriegsveteran sind dann doch nicht die selbsternannte Heldentruppe, der man allzu viel Verantwortung in die Hände legen möchte. Dazu kommt, dass die Welt der Marvel-Filme, wie Immerwahr weiter schreibt, fast immer so ist, wie sie populistischen Politiker gerne zeichnen: Überall lauern Bedrohungen, die Feindbilder sind eindeutig. Helfen können nur eine Handvoll Helden, die außerhalb des Gesetzes agieren. Es gilt das Recht des Stärkeren, deshalb muss aufgerüstet werden.

Dass sich mit Ant-Man nun der Kumpel von nebenan zum Rächer aufschwingt, ist eigentlich auch nicht viel beruhigender. Aber Ant-Man unterscheidet sich von den Avengers (bei denen er allerdings auch schon mitgemischt hat) vor allem dadurch, dass es bei ihm nicht um die Rettung der Welt, des Universums oder wenigstens Amerikas geht, sondern um die Familie, die kleine Welt, für die er als Held in Insektengröße ja prädestiniert ist.

Gesucht wird nämlich Wasps Mutter Janet. Die Familie soll wieder zusammengeführt werden, das ist das Hauptproblem. Mit demselben Schrumpfanzug wie die neue Generation ausgestattet, hat sich Janet so klein gemacht, dass sie jetzt auf der sogenannten Quantenebene festsitzt. Einen Feind gibt es auch, und der ist, wie so oft, ein Spiegelbild des Helden. Bei Ant-Man ist es Ava, genannt Ghost, eine Art Geheimagentin, die auch unangenehme Bekanntschaft mit der Quantenebene gemacht hat und nun durch Wände gehen kann. Sie hat nicht die typische Superschurkenagenda, sondern ebenfalls ein Familienproblem zu lösen. Die Konflikte sind hier rein privater Natur.

Die kindliche Unschuld Ant-Mans ist auch Ausdruck des "White Privilege"

Die ganze Welt wird dabei zum Abenteuerspielplatz, Häuser schrumpfen auf Puppengröße, Miniaturautos flitzen durch die Straßen, Ameisen mutieren zum treuen Reittier. Waffen sind unter anderem Bonbonspender oder Salzstreuer, zu den fiesesten Feinden zählen die Möwen. Bei "Ant-Man" gewinnt das Heldenabenteuer seine Unschuld zurück und bekommt eine kindliche Naivität, wie sie die Filme eigentlich ablegen wollten.

Das funktioniert in der Mischung aus Screwball-Witz und bewährtem Marvel-Action-Zirkus, den sich Regisseur Peyton Reed ausgedacht hat, als Superhelden-Eskapismus ziemlich gut, es darf sogar eine schwarze Frau der Feind sein, ohne dass es darum ginge, dass sie eine schwarze Frau ist - "Black Panther" ist an diesem Film nicht spurlos vorübergegangen. Nur erinnert gerade diese Nemesis auch daran, dass die kindliche Unschuld Ant-Mans eine Ausnahme ist, Ausdruck jenes "White Privilege", das Amerika zunehmend umtreibt. Ant-Mans Feindin heißt nicht zufällig Ghost. Geister erscheinen immer dort, wo Dinge verdrängt werden, etwa die kontroversen Themen der Wirklichkeit. Aber die werden sicherlich in den nächsten Marvel-Filmen weiterverfolgt.

Ant-Man and the Wasp, USA 2018 - Regie: Peyton Reed. Buch: Chris McKenna, Erik Sommers u.a. Kamera: Dante Spinotti. Mit: Paul Rudd, Evangeline Lilly, Michelle Pfeiffer, Michael Douglas. Verleih: Disney. 118 Minuten.

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