Ungarns letzte oppositionelle Zeitung ist am Ende

Die letzte überregionale Tageszeitung Ungarns, die nicht regierungsnahe ist, stellt ihr Erscheinen ein. Nach dem klaren Wahlsieg von Ministerpräsident Orban stellt sein Erzfeind Lajos Simicska kein Geld mehr zur Verfügung.

Meret Baumann, Wien
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Die Journalisten der Zeitung «Magyar Nemzet» werden am Mittwoch die letzte Ausgabe ihres Blattes produzieren. (Bild: Bernadett Szabo / Reuters)

Die Journalisten der Zeitung «Magyar Nemzet» werden am Mittwoch die letzte Ausgabe ihres Blattes produzieren. (Bild: Bernadett Szabo / Reuters)

«1938–2018» steht in grossen Ziffern auf schwarzem Hintergrund zuoberst auf der Website der ungarischen Traditionszeitung «Magyar Nemzet». Die Ziffern führen zur Ankündigung des Verlags, dass das Blatt am Mittwoch nach achtzig Jahren zum letzten Mal erscheinen wird. Das Onlineportal wird ebenfalls eingestellt. Der Beschluss der Eigentümer sei aufgrund von finanziellen Problemen erfolgt, heisst es in der Mitteilung. Für die ohnehin nur noch kleine Medienvielfalt ist das ein schwerer Schlag. Anderthalb Jahre nach dem auch über Nacht erfolgten Ende der grössten Zeitung des Landes, der linken «Nepszabadsag», verschwindet damit die letzte überregionale Tageszeitung, die nicht von der Regierung kontrolliert wird oder sich im Besitz von Vertrauten Viktor Orbans befindet.

Wechselvolle Geschichte

«Magyar Nemzet» wurde einst als konservative Stimme gegründet und hat eine wechselvolle Geschichte. Zur Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg konnte sie nur illegal erscheinen, während des kommunistischen Regimes wurde sie zensiert. Seit vielen Jahren gehört sie zum Imperium von Lajos Simicska, der einst ein Schulfreund Orbans war, dann dessen Zimmergenosse während des Studiums und schliesslich Financier von dessen Partei Fidesz. Bis vor drei Jahren berichtete «Magyar Nemzet» deshalb äusserst regierungstreu.

2014 kam es jedoch zum folgenschweren Bruch der beiden Vertrauten, nachdem Simicska dem Regierungschef den «totalen Krieg» erklärt hatte. Er begann die rechtsextreme Partei Jobbik zu unterstützen, und «Magyar Nemzet» wurde zum überaus kritischen Blatt. In den Wochen vor der Wahl vom Sonntag machte die Zeitung zahlreiche Affären im Regierungslager bekannt. Sie berichtete etwa über luxuriöse Rentierjagden des Vizeregierungschefs Zsolt Semjen in Schweden oder über eine dubiose Erbschaft von rund fünf Milliarden Franken, die dem Minister Lajos Kosa zur Verwaltung angeboten wurde. Vor allem war aber der Elios-Skandal ein Thema, in den Orbans Schwiegersohn verwickelt ist.

Nicht mehr länger Geld verbrennen

Solche für die Regierung unangenehmen Berichte waren der Grund für das plötzliche Aus von «Nepszabadsag», die ein Firmenkonstrukt eines Orban-Getreuen übernahm. Der Fall von «Magyar Nemzet» ist vermutlich anders gelagert. Simicska investierte viel Geld in die Kampagne von Jobbik – mit dem Ziel, Orban zu stürzen. Damit ist er gescheitert. Jobbik schnitt nicht besser ab als vor vier Jahren, und die Zukunft der Partei ist offen, nachdem ihr Chef Gabor Vona am Montag den Rückzug aus der Politik angekündigt hat. Auch die publik gemachten Skandale konnten nicht verhindern, dass Orban neuerlich eine überwältigende Mehrheit errang. Simicska scheint schlicht nicht gewillt zu sein, länger Geld zu verbrennen. Zu seinem Medienimperium gehören auch Hir TV und Lanchid Radio. Dieser letzte unabhängige landesweite Radiosender wird ebenfalls eingestellt, während Hir TV vorerst nur «rationalisiert» werden soll.

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