Die Lust auf Bilder: Wenn Männerphantasien die Comics inspirieren

Das 46. Comicfestival von Angoulême zeigte, wie die Comic-Kultur einst von «dirty old men» geprägt war. Doch in der Gegenwart sorgen längst auch Autorinnen und Zeichnerinnen für wichtige Impulse.

Christian Gasser
Drucken
Richard Corben hat zahlreiche Fantasy-Autoren inspiriert – mit Monstern und halbnackten Frauen. (Bild: PD)

Richard Corben hat zahlreiche Fantasy-Autoren inspiriert – mit Monstern und halbnackten Frauen. (Bild: PD)

Viele nackte Tatsachen. Aber für Empörung sorgt das nicht. Dabei provozierte die Untervertretung von Comicautorinnen und -zeichnerinnen am Comicfestival von Angoulême vor drei Jahren noch eine heftige Polemik. Die Autorinnen selber demonstrierten, organisierten Diskussionen und Gesprächsrunden und stiessen eine Debatte über Frauen in der Comicwelt an. Und nun das: Gleich zwei Hauptausstellungen geizten heuer nicht mit weiblichen Kurven, kraftstrotzenden Männern und imposanten primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen.

Gefeiert wurden zwei alte Zeichner: Der 78-jährige Amerikaner Richard Corben und der 73-jährige Italiener Milo Manara. Und einem dritten, Frank Miller, wurde als Ehrengast im Rahmen einer «Batman»-Ausstellung der rote Teppich ausgerollt – auch er zeichnet sich, etwa in seinem Bestseller «Sin City», nicht gerade durch differenzierte Frauenfiguren, bisweilen sogar durch krude Misogynie aus.

Monster und Mutanten

Der zurückgezogen in einem Kaff in Kansas hausende Corben entwirft seit über fünfzig Jahren phantastische, von Dinosauriern, Monstern und Mutanten bevölkerte Universen, durch die halbnackte und nackte Heroen und ihre ebenfalls halbnackten oder ganz nackten Gespielinnen und Gegenspielerinnen streifen und dabei Abenteuer erleben, die sich ein Zwölfjähriger ausgedacht haben könnte. Die menschliche Anatomie steht im Mittelpunkt. Corbens Körper wirken dreidimensional, scheinen sich aus dem Papier geradezu emporzuwölben, als seien sie zum Anfassen. Sie haben nicht nur Legionen von Jungs, sondern auch zahlreiche Fantasy-Zeichner inspiriert.

Manara wiederum, ein virtuoser realistischer Zeichner, begann als linksintellektueller Autor raffinierter und selbstreflexiver Abenteuercomics, mutierte in den achtziger Jahren aber zum Edelpornografen. In Bestsellern wie «Ausser Kontrolle» gehorchen Frauen wie auf Knopfdruck den simpelsten Männerphantasien. Auffällig bei Manara ist, dass alle seine Frauen bis zum Gesichtsausdruck – halb offener, sinnlicher Mund unter einer Lockenpracht – identisch aussehen, wie geklont. Es handelt sich nicht um Individuen, sondern um Objekte. Vor Viagra gab es schon Manara.

Der weibliche Blick

Die Bedeutung von Manara, Corben und Miller ist so unbestritten wie die Qualität der Ausstellungen von Angoulême 2019. Und doch irritierte hier in Zeiten von #MeToo das Ausbleiben jeglicher Reflexion oder Diskussion über sexistische Stereotype. Fehlt es der künstlerischen Leitung an Feingefühl? Offenbar hielt man das einstige Vorurteil von den Comics als reiner Männerdomäne für gänzlich überholt und widerlegt durch die wachsende Zahl von Autorinnen und Zeichnerinnen.

Alle wissen, die Comicszene hat sich verändert. Ein Streifzug durch die Verlagszelte und ein Blick auf die Nominierungen für die diversen in Angoulême verliehenen Preise reichten aus, um aufzuzeigen, wie stark Frauen den modernen Comic prägen, wie wichtig der weibliche Blick geworden ist, wie sehr alte Stereotype wanken und nur noch als das weiterhin existieren, was sie sind: Stereotype eben. Deshalb wahrscheinlich nahmen Besucherinnen und Autorinnen die Testosteron-Ausdünstungen über Angoulême mit Nonchalance und einem ironischen Lächeln zur Kenntnis: In jedem Mann steckt offenbar ein Bub, der Corben liebt.

Rumiko Takahashi hat den Comics den Mädchen nähergebracht. (Bild: PD)

Rumiko Takahashi hat den Comics den Mädchen nähergebracht. (Bild: PD)

Trotzdem wäre es sinnvoll gewesen, dem Männerblick eine weibliche Perspektive gegenüberzustellen und eine Diskussion über zeitgenössische Positionen anzuregen. Begnügen aber musste man sich einerseits mit einer Ausstellung der grossen israelischen Autorin Rutu Modan, deren letzte Graphic Novel, «Das Erbe», indes schon vor sechs Jahren erschien. Andrerseits setzte die französische Comiczunft ein Zeichen für den Wandel mit dem Preis für ein Lebenswerk. Hatten die rund 1700 wahlberechtigten Comic-Schaffenden letztes Jahr Richard Corben damit bedacht, ehrten sie heuer die Japanerin Rumiko Takahashi, was man als ein Bekenntnis zur Diversity im Comic verstehen kann.

Mit ihrer Erfolgsserie «Ranma 1/2» gehörte Takahashi in den frühen neunziger Jahren zu den ersten im Westen veröffentlichten Mangaka und hat damit nicht zuletzt viele Mädchen für Comics begeistert, die damals in der von Männern beherrschten westlichen Comicwelt keine Stoffe nach ihrem Geschmack fanden.

Mehr von Christian Gasser (cg)