Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Steve Ditko: Von Horrorcomics zu Superhelden

Foto: Marvel

Zum Tod von Steve Ditko Ein scheuer Superzeichner

Steve Ditko schuf Figuren wie "Spider-Man" und "Doctor Strange" und war in der Comicbranche berühmt dafür, kompromisslos seine künstlerische Vision zu verfolgen. Jetzt ist der Künstler mit 90 Jahren gestorben.

Man muss sich den Marvel-Verlag in den Sechzigerjahren wie eine Schlangengrube vorstellen - mit dem Comicautoren Stan Lee als Königskobra, und den Figuren als Opfer, an denen gezerrt wird.

Nehmen wir "Spider-Man", erstmals erschienen 1962. Lee behauptete, diese Figur erfunden zu haben, nachdem er eine Spinne die Wand habe hochkrabbeln sehen. Daraus soll Lee den Plot eines gemobbten Schülers entwickelt haben, der von einer radioaktiven Spinne gebissen wird, darauf deren proportionale Kräfte erhält und in rotblauem Kostüm skurrile Gangster zur Strecke bringt.

So könnte es gewesen sein. So war es - vielleicht - aber doch nicht. Lees Beitrag zur Schaffung von "Spider-Man" sei "almost nihil", fast nichts, gewesen, vermerkte 1988 der Fetischkünstler Eric Stanton. Er könnte es wissen: Stanton teilte sich in den Sechzigerjahren das Atelier mit Steve Ditko, dem Zeichner der ersten "Spider-Man"-Episode. Laut Stantons Schilderung habe Ditko die Figur ganz allein entwickelt. Lee hatte nur den Namen in die Runde geworfen. Ditko habe sich Aussehen, Kostüm, Fähigkeiten und Hintergrund ausgedacht.

Aber das kann so auch nicht stimmen. Denn vor Ditko hatte bereits Jack Kirby, legendärer Miterfinder der Fantastic Four, eine "Spider-Man"-Geschichte in Lees Auftrag gezeichnet. Die vom Verlag abgelehnt wurde, weil sie "zu heroisch" gewesen sei - Kirby zeichnete in einem ausufernden, explosiven Stil, während Ditkos Seiten zu Beginn zurückgenommen, ruhig, fast gehemmt waren.

Steve Ditko, Highschool Yearbook

Steve Ditko, Highschool Yearbook

Foto: Alamy Stock Photo

Zufällig Marvel

In die Schlangengrube Marvel war Steve Ditko eher zufällig reingerutscht. 1927 in Pennsylvania geboren, hatte er zunächst nach dem Krieg in Deutschland gedient, anschließend für einen Verlag in Connecticut Horrorcomics gezeichnet, ehe eine Tuberkulose ihn fast ein Jahr lang arbeitsunfähig machte. Nach seiner Genesung ging er 1955 nach New York und fand Arbeit bei Atlas Comics. Die waren bekannt dafür, schnell und billig zu produzieren, zahlten gerade mal die Hälfte des damals üblichen Honorars. Ditko zeichnete dort erstmal weiter Horrorcomics.

1957 benannte sich der Verlag in Marvel Comics um. 1961 erschien dort das von Jack Kirby gezeichnete erste Heft der "Fantastic Four", das mit seiner Pop-Art-Anmutung eine Renaissance der Superheldencomics in den USA einläutete, die seit dem Ende des II. Weltkriegs kaum noch einer hatte lesen wollen.

Relativ zügig stellte der Verlag sein Programm auf Superhelden um. Zunächst "Ant-Man", dann "Hulk", und schließlich "Spider-Man". Der erschien erstmals in "Amazing Fantasy", einem der verbliebenen Horrorhefte des Verlags, in Ausgabe 15 im August 1962. Wohl skeptisch über den unheldischen Helden, hatte der Verlag gerade mal die Hälfte des Heftes für "Spider-Man" freigeräumt. Der Rest waren Gruselgeschichten mit Titeln wie "Der Mann im Sarkophag!". Das schien keinen zu interessieren. "Amazing Fantasy" wurde eingestellt, "Spider-Man" erhielt einen Monat später eine Comicserie unter seinem eigenen Namen, gezeichnet von Ditko.

Ditko brachte einen Feinsinn in die Geschichten, der Superheldencomics bis dahin abging. Sein "Spider-Man" war im Wortsinn antiheroisch, ein Geplagter, der seine Kräfte als Held nur anwendet, weil er sich dazu verantwortet fühlt. Schon grafisch ohne sein Kostüm ein Niemand, spillerig, mittelgroß, die Hilflosigkeit im Blick, nur im Kostüm ein Jemand. Immer wieder kreierte Ditko Situationen, die den Druck, der auf der Figur lastete, grafisch ausdrückten. Legendär die Szene, in der" Spider-Man" ein ganzes Haus hielt, das auf ihn gestürzt war.

Bruch mit Stan Lee

Dass er auch anders konnte, bewies Ditko ab 1963. "Doctor Strange" war der Versuch, die Horrorcomics von Atlas mit den Superheldencomics von Marvel zu kombinieren. Strange war ein Meistermagier ohne Selbstzweifel und Bescheidenheit. Formal klassische Pulp-Comics, in denen ein Magier mit Mantel und Amulett gegen Dämonen kämpft, war es Ditkos ausufernde Grafik, die das Heft zu einem der Lieblingscomics der Gegenkultur machte. Strange agierte in zunehmend surrealeren Landschaften, sich permanent wandelnden Räumen. Höhepunkt war seine Begegnung mit der formlosen Figur Eternity, Verkörperung sämtlichen Lebens im Universum.

Obwohl hocherfolgreich, kam es 1966 zum Bruch mit Lee, mit Marvel. Ditko, notorisch interviewscheu, hat sich nie dazu geäußert, warum. Kommerziell war der Bruch für Ditko ein Niedergang. Keiner seiner Titel danach konnte ein Massenpublikum erreichen. Figuren wie "The Question", "Shade the Shanging Man" oder "Mr. A" führten nicht nur im Namen die Seltsamkeit von Doctor Strange fort: Titel, die stets mehr Fragen als Antworten gaben, mit Figuren, die sich ihrer selbst kaum bewußt waren. Ein Publikum fand Ditko damit kaum. Um Geld zu verdienen, zeichnete er gelegentlich weiter Superheldencomics, in den Achtzigerjahren sogar kurzzeitig erneut für Marvel.

Künstlerische Integrität war ihm wichtiger als Ruhm oder ein fester Job. Als der Independent-Verlag Fantagraphics in den Neunzigerjahren eine Serie von Ditko veröffentlichen wollte, stellte der Zeichner nach nur einem Heft die Zusammenarbeit ein - dem Verlag war beim Druck ein Farbfehler auf dem Cover durchgerutscht. Selbst eine korrigierte Neuauflage konnte Ditko nicht beruhigen. Als Bestsellerautor Frank Miller ("Batman", "Sin City") ihm anbot, mit ihm zusammen einen "Mr. A"-Comic zu machen, lehnte Ditko ab: keine Kooperationen, keine Kollaborationen mit seinem Werk. Als seine Schöpfungen ab 2002 erfolgreich zu Filmen verarbeitet wurden, zeigte er kein Interesse, an den Einnahmen beteiligt zu werden.

Als Mensch verschwand er ganz hinter diesem Werk. Ab 1968 hörte er auf, Interviews zu geben. Als die BBC ihn 2007 für eine Dokumentation interviewen wollte, machte er nicht mal die Tür auf. Obwohl er am Ende seines Lebens kaum über Einnahmen verfügte, benutzte er seine Original-Spider-Man-Seiten, unter Sammlern hunderttausende Dollar wert, als Zeichenunterlagen für neue Comics, statt sie zu verkaufen. Seine Vergangenheit war ihm egal: "Ich bin nicht an der Geschichte von Steve Ditko interessiert", verkündete er einst selbst. "Wenn ich einen Comic zeichne, dann biete ich den Lesern nicht meine Persönlichkeit an; sondern meine Zeichnungen."

Am 29. Juni fand die Polizei Ditko tot in seinem New Yorker Apartment. Da war er bereits mehrere Tage tot.


Stefan Pannor, *1975, arbeitet in Leipzig als freier Publizist und Übersetzer für Marvel- und DC-Comics.

Mehr lesen über

Verwandte Artikel