Zu Besuch im idyllischen Nazidorf

Der Kuchen schmeckt nicht

Unsere Autorin war bei Kaffee und Kuchen zu Besuch in einem deutschen Dorf. Allmählich wurde klar, dass die Nachbarn völkische Nazis sind.

ungebackener Apfelkuchen in einer Springform

Deutscher Kuchen, deutsche Äpfel  Foto: Imago/Westend61

Auf dem Land, so weiß man, haben es sich die Rechten gemütlich gemacht. Echte Rechte. Nicht irrende und wirrende AfD-Wähler, denen wie mir die Welt sich zu schnell wandelt, sondern die, die man „stramme Rechte“ nennt. Nazis.

In der Idylle von Baum und Borke leben sie, betreiben Ackerbau und Viehzucht, einige verdienen als Biobauern gut an uns Städtern. Man weiß, dass ganze Dörfer entstanden sind, mit Sattelmacher und Hufschmied, Korbflechter und Stiefelnäher und dass die Touristenverbände in blinder Naivität die Reisenden in diese Dörfer schicken, wo die „alten Gewerke“ zu bestaunen sind.

Ich lebe in den linksalternativen Vierteln meiner Stadt, schon immer. Nazis sind da, wo ich nicht bin. Es sind die Anderen. Und die sind weit weg.

Ein Bürokollege meiner Freundin war letzten Herbst aufs Land gezogen, „in ein Nazi-Dorf“, wie meine Freundin erzählte. Kurz nach ihrem Einzug hatten sie mitbekommen, dass dort Familien lebten, die der nationalsozialistischen Ideologie anhingen. Das fanden wir gruselig, fragten uns, wie es dort wohl sein möge, ob man im Dorf die Gesinnung erkennen würde, durch Bilder arischer Familien am Ortseingang wie in Jamel oder Hakenkreuze über der Scheune.

Neugierig nahmen wir eine Einladung zum Kaffee an. Der kleine Ort schien an diesem Frühsommertag wie ein Bilderbuchdorf. Wie ausgeschnitten wirkte die alte Kirche, das Gemeindehaus, hübsch und adrett waren die Büsche und Bäume arrangiert, die den Dorfplatz säumen.

Der Kollege wohnt in der oberen Etage eines alten Hauses, unten ist ein Büro. Wir parken den Wagen auf dem Hof, an den ein Wohnhaus mit Garten grenzt. Eine Frau sitzt auf den Stufen der Veranda, Kinder kurven mit ihren Rädern herum, ein Mann ist im Garten zugange. Das Haus sieht aus, als sei es in den neunziger Jahren erbaut, solider Backstein und der Versuch, viel Licht ins Innere zu lassen – die Familienidylle bürgerlicher Grünen-Wähler.

Hilmar und Dietlinde

Unsere Gastgeber haben den Tisch gedeckt, sie haben Apfel- und Sandkuchen gebacken. Vorher aber bewundern wir noch die neue Wohnung. Hell ist sie, mit schönen großzügigen Räumen. „Ja, man merkt, unsere Vermieter haben sich viel Mühe gegeben, dass es schön ist“, sagt der Kollege. „Die sind auch wahnsinnig nett und hilfsbereit“, ergänzt seine Freundin. „Ich glaube, ihr habt sie eben gesehen. Es sind die Leute im Nachbarhaus.“

Zwei Bekannte sind noch gekommen, der Kaffee riecht gut, der gedeckte Apfelkuchen sieht lecker aus, und die schwere handgearbeitete Bunzlauer Keramik in Ocker und Blau ergänzt die ländliche Idylle. Wir sitzen nicht lang, da muss die Frage raus: „Und, wo sind jetzt die Nazis?“ – „Na ja“, antwortet der Bürokollege, „wahrscheinlich da unten.“ Pause. „Wie, da unten?“, fragt jemand. „Na, wir gehen davon aus, dass unsere Vermieter dazugehören“, sagt seine Freundin. „Wie jetzt?“, frage ich.

Und dann beginnen sie Dinge aufzuzählen, die jedes für sich harmlos, allenfalls eigenartig sind, aber zu einem Bild führen, mit dem sich das Sitzen in der Wohnung auf einmal eigentümlich anfühlt. Etwa, dass ihr Vermieter seine Frau mit den Worten vorgestellt hat: „Das ist meine Frau, Mutter von fünf Kindern“. Dass die Kinder ihre Eltern mit „Mutter“ und „Vater“ anreden und Namen tragen wie Hilmar und Dietlinde. Dass Frau und Tochter immer wadenlange Röcken tragen.

Dass einer der Jungs die neue Mieterin fragte, warum sie arbeite. Ob ihr Mann sie nicht versorgen könne. Dass manchmal Besuch käme, von dem die Frauen und Mädchen an Quäker erinnern, so altmodisch sehen sie in ihren langen Röcken und den weißen hochgeschlossenen Blusen aus. „Am Anfang, als ich bei denen im Haus war, dachte ich, das seien Anthroposophen“, sagt die Gastgeberin. „Ich war auf einer Waldorfschule, und eigentlich sieht es bei denen so aus wie bei Anthros. Inklusive Webrahmen. Erst als uns all die anderen Dinge aufgefallen sind, ist klar geworden, das ist Deutschtum.“

Die Äpfel sind schuldig

Die Angst kann sie jederzeit einholen. In der U-Bahn, am Schreibtisch, im Café. Wie unsere Autorin lernte, ihre Angst zu lieben, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14. August 2016. Außerdem: Um Bio-Eier möglichst günstig zu produzieren, nutzen einige HalterInnen alle Grauzonen der EU-Richtlinien. Wie viel bio steckt im Öko-Ei? Und: Die Türkei zwischen "Säuberung" und Märtyrerverehrung. Pınar Öğünç über eine Gesellschaft, in der sich eine Hexenjagd-Atmosphäre einzurichten scheint. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die Sonne scheint in den großen Wohnraum, hellgrün leuchten die Bäume vor dem Fenster, und was eben noch gut war, wird jetzt unangenehm. Ich blicke auf den Apfelkuchen auf meinem Teller, gebacken aus Obst aus dem Nachbargarten, und es ist, als verliere der Kuchen seine Unschuld. So deutsch mutet er plötzlich an, dieser typisch deutsche Kuchen mit seinen deutschen Äpfeln. Alles verliert auf einmal seine Unschuld. Die Äpfel, die Sahne, das hübsche Bunzlauer Geschirr, dessen niederschlesische Geschichte mit einem Mal für die Ästhetik der Vorkriegszeit steht.

Ich blicke auf unsere Gastgeber – ein junges, hübsches Paar, und auch sie verlieren in diesem Moment so etwas wie eine Unschuld, so nordisch blond sind sie, so passend hat die Frau ihre geflochtenen Zöpfe hinten zusammengesteckt.

Es hat etwas Unglaubliches, was wir hören, es scheint unfassbar. Immer wieder fragen wir nach und sagen Wörter wie „echt?“ und „wirklich?“– als hörten wir Geschichten von einem anderen Planeten. Wir können nicht glauben, was wir hören, und die Erzählenden scheinen auch erst nach und nach die Wucht dessen zu begreifen, was sie zu erzählen haben. Das Bild, das sich ergibt, ist eines, das man nur aus dem Fernsehen kennt, aus der Zeitungsreportage. Von den anderen.

Und so ungläubig, wie wir sind, fragen wir, ob es nicht auch alles ganz anders sein könne. Ultra-Anthros oder so was.

Die Frage hätten sie sich auch gestellt, sagen die Gastgeber. „Aber guckt doch mal auf die Nummernschilder.“ Ich gehe zum Fenster. Zwei Wagen parken im Hof, deutsches Fabrikat. Einer hat die Ziffer „3333“ im Kennzeichen, der andere „8888“. Die 33 steht für die Machtergreifung, die 88 für den achten Buchstaben im Alphabet, H. Heil Hitler.

So real, dass es nicht witzig ist

Ich bleibe am Fenster stehen. Mit meiner Kaffeetasse stehe ich da und starre raus. Immer wieder zieht es mich zum Fenster. Ich blicke und blicke auf diese Bilderbuchidylle und der Kollege sagt: „Manchmal kommt ein Freund, sie wollen einen Schuppen bauen. Der kommt mit dem Kübelwagen, und die Männer reden sich mit Dienstgraden an.“

Wir fragen uns, was das für Dienstgrade sein mögen. Witzeln über Fantasiearmeen, bis jemand sagt: „Wehrsportarmee. Die haben bestimmt eine Wehrsportgruppe, mit der sie hier durch den Wald robben.“ Blitzschnell ist der Witz weg vom Tisch, so real ist die Überlegung.

„Und was wollt ihr jetzt machen?“, fragen wir die beiden. „Wir wissen es nicht. Wir sind ja erst ein paar Monate hier. Und jetzt gleich wieder ausziehen …“ Das Unbequeme des Gedankens liegt auf der Hand. „Das Perfide ist“, sagt die junge Frau, „die sind unglaublich nett. Wahnsinnig nett und hilfsbereit. Das passt so wenig zu dem Rest.“

Zwei Wagen parken im Hof, deutsches Fabrikat. Einer hat

die Ziffer „3333“ im Kennzeichen, der andere „8888“

Wir brechen auf, um uns die Ziegen anzugucken. Nicht nur das blonde Paar müsste umziehen, auch zwei Ziegen, die sie angeschafft haben. Der Weg zum Gehege führt durch den Garten der Vermieter. Ein großes, halb wildes Areal mit dichten Laubbäumen, unter denen die Kinder ihre Hütten gebaut haben. Ich stolpere über einen großen Plastikpanzer. Aber die Nazifamilie hat nicht nur Spielzeug, sie hat auch Tiere. Hühner und Bienen. Und „Deutsche Edelziegen“.

Auf dem Rückweg spähe ich durch die Terrassentüren, um zu sehen, wie Nazis wohnen. Sie wohnen wie die Wähler von Adolf. Dreißiger-Jahre-Polstermöbel und Stühle mit braunem Geflecht. Der Vermieter spricht uns an. Er sagt „Hallo“ und etwas über den Sommer. Oder das Wetter. Ich höre nicht hin. Ich will nicht hören, was er sagt.

Schlimm genug, „Hallo“ aus Gründen der Höflichkeit über die Lippen zu bringen – schließlich latsche ich über sein Grundstück. Ein „Hallo“, das ein schlechtes Gefühl macht. Überhaupt: das schlechte Gefühl. Alles hier, an diesem schönen Ort, macht ein schlechtes Gefühl. Die Leute, die hier wohnen, verehren Hitler. Ich will weg.

Nebenan der Ort „Deutsch Bork“

Hinter dem Ort sind es nur wenige Kilometer, dann zeigt ein Straßenschild den Ort „Deutsch Bork“ an. Schon immer fand ich diesen Namen befremdlich und unangenehm. Jetzt klingt er noch mehr nach Kübelwagen und weißer Bluse.

Meine Freundin und ich sitzen im Auto und haben nur ein Thema – das, was wir eben erlebt haben. Ihre Irritation rührt aus der Grünwähleridylle, die so braun ist. Meine ist das totale Unverständnis. Ich verstehe es nicht. Ich sehe Menschen, die wie 1934 leben und die einen Kopf, zwei Beine und zwei Arme haben und ein freundliches Gesicht. Menschen, die nett aussehen. Nicht böse. Ich frage mich, was die wohl wollen.

Klar, die sind gegen Ausländer. Und gegen Flüchtlinge sowieso. Aber sonst? Was werden die wollen, für sich, für ihre Kinder? Gasöfen am Ende der Straße für die, die nicht gesund und „arisch“ sind? Was soll das heutzutage sein und bedeuten – außer dass man tut, als sei man Statist einer Fernseh-Zeitreise-Show, und träumte von einer Realität, die keinen Einlass ins eigene Haus hat? Der Mann, die Kinder sind ja noch nicht einmal blond.

Mir ist bewusst, dass die Thematik bekannt ist. Und doch bin ich in Anbetracht dieser realgesellschaftlichen Begegnung durcheinander – komplett. Am liebsten würde ich umkehren und sie fragen. Diese normalen, nett rüberkommenden Menschen fragen, was sie wollen, außer altmodisch in der Moderne leben. Menschen, die als Statement die 88 und die 33 mit ihrem Auto durch die Gegend fahren.

 

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