2. November 2018

Nostalgische Liebesgrüße vom Planeten Mongo

„Flash Gordon“ von Alex Raymond: Der Start der deutschen Comic-Werkausgabe

Lesezeit: 6 min.

Flash Gordon ist so viel mehr als ein bunter Science-Fiction-Trashfilm aus den frühen 1980ern. Der athletische blonde Held, der als Antwort auf den allerersten Weltraum-Comicrecken Buck Rogers entstand, zählt zu den archetypischsten Science-Fiction-Heroen in den Unendlichen Weiten und prägte ab Januar 1934 speziell die Space Fantasy, die in visuellen Medien davor so gut wie nicht stattgefunden hatte. Die frühen Verfilmungen des „Flash Gordon“-Zeitungscomicstrips von Autor und Zeichner Alex Raymond (1909–1956) inspirierten dabei nicht nur George Lucas zu seinem Krieg der Sterne in „Star Wars“ – der ursprüngliche Comic beeinflusste zudem viele nachfolgende Künstler und bestimmte den Look und die Entwicklung amerikanischer Bildergeschichten. Bei Hannibal Kult startete mit „Auf dem Planten Mongo“ im Oktober eine deutschsprachige Werkausgabe des klassischen SF-Comics, die Alan Tepper mit viel Enthusiasmus übersetzt und koordiniert.


Alex Raymond

Alex Raymond, der seit seiner Kindheit nicht minder enthusiastisch zeichnete und zwischenzeitlich an der Wall Street gearbeitet hatte, brauchte ab dem 7. Januar 1934 gerade einmal zwei seiner in der Regel wöchentlich erscheinenden Panel-Episoden, um den mutigen Polospieler Flash Gordon, die schöne Dale Arden und den verschrobenen Wissenschaftler Dr. Hans Zarkov auf den exotischen Planeten Mongo zu bringen. Raymond wusste genau, wo die Action zu finden war. Auf Mongo warten immerhin Ming der Grausame als boshafter gelber Diktator und Vater einer passend egozentrischen Tochter, drachenartige Ungeheuer, geflügelte Krieger, trügerische Unterwasserwelten, stolze Löwenmenschen, gefährliche Wälder, Ritterspiele und Hightech-Kriegsgeräte im Kontrast, eine gemeine Hexenkönigin und vieles mehr. Ungeachtet des fantastischen Sandkastens, den Mongo Raymond bot, sollte man nicht zwanghaft versuchen, den wilden Weltraumabenteuern aus einer anderen Ära der SF und des Comics nachträglich zu viel zeitlosen Charme anzudichten, denn genau den besitzt der Stoff um den Überhelden nur bedingt. Besonders am Anfang kommen die Geschichten ganz schön naiv daher. Das dürfte für Leser, die sich in der Rückschau mit dem so genannten Golden Age des US-Comics beschäftigen, freilich nichts Neues sein. Gleichzeitig muss man aber auch nicht zu sehr auf der erzählerischen Einfachheit oder dem politischen, sexistischen bzw. rassistischen Subtext herumreiten – wie die geradlinigen Figuren und Storys, war dieser heute schief wirkende Kontext schlichtweg ein Produkt der Paramater seiner Zeit. So oder so ergaben Flashs häppchenweise servierte Abenteuer damals die perfekte Mischung für eine erstaunlich vielfältige Zielgruppe, die ihrer wöchentlichen Dosis Flash Gordon Science-Fiction auf den farbigen Comic-Sonntagsseiten der US-Zeitungen entgegenfieberte. Kinder lasen den Strip genauso gebannt wie Erwachsene: heroische Abenteuer, packende Seifenoper und bunten Eskapismus konnten sie damals eben alle gebrauchen. Die spannenden Cliffhanger am Ende aller mehrzeiligen Streifen der Fortsetzungsgeschichte trugen ihr übriges zur Leserbindung bei.

Mag man angesichts des rustikalen Plots und der altmodischen Charakterisierungen, die dem wilden galaktischen Ideen-Mix aus Science-Fiction und Fantasy gegenüberstehen, des Öfteren ein Augen zudrücken, kann man sich die Comics dank der beeindruckenden, erwiesenermaßen visionären Optik bis heute ohne Probleme und mit umso mehr Vergnügen und ja, aufrichtiger Bewunderung betrachten. Eigentlich wünscht man sich sogar ein riesiges Schwarz-Weiß-Artbook, um die große Kunst von Alex Raymond, der 1956 im Alter von nur 46 Jahren bei einem Autounfall starb, vollends würdigen zu können. Doch der erste querformatige Hardcover-Band der „Flash Gordon“-Edition unter dem neuen Kult-Label des Hannibal Verlags liefert auf alle Fälle genug interessante Einblicke und viele detailreiche Bilder. Darüber hinaus dokumentiert er die rasante Entwicklung von Raymonds bekanntestem und wichtigstem Comic. Die Anatomie des Strips veränderte sich schließlich schon binnen des ersten Jahres dramatisch, wie der Auftaktband „Auf dem Planten Mongo“ deutlich macht. Damit ist einerseits tatsächlich die anatomische Darstellung der anfangs recht steifen Figuren und Szenen gemeint, die noch 1934 im selben Maße wesentlich dynamischer und stilsicherer wurde, wie die Elemente und Posen kühner. Andererseits wandelte sich selbst die Seitenaufteilung, die den Raum für die Details und die Dynamik schuf, da Raymond im Verlauf des ersten Jahres auf weniger, dafür größere Panels setzte. Die Abenteuer des mutigen, makellosen Erdenhelden auf Mongo waren daher auch grafisch plötzlich von sichtbar mehr gestalterischem Mut durchzogen und weitaus kraftvoller. Obwohl man Raymond davon abriet, auf den aufwendigen Detailreichtum der klassischen Illustratoren zu setzen, blieb er seiner im ersten Jahr auf Mongo entdeckten Linie treu. Und so war der Strip bereits im Herbst 1934 ästhetisch die einflussreiche Comic-Sensation, die zusammen mit Milton Caniffs ebenfalls 1934 gestartetem Strip „Terry und die Piraten“ und dem 1937 folgendem „Prinz Eisenherz“ von Hal Foster die grafische Entwicklung des amerikanischen Comics diktierte.

Selbst in den betagten Panel-Serien „Nick der Raumfahrer“ und „Sigurd“ des deutschen Künstlers Hansrudi Wäscher steckt jede Menge „Flash Gordon“ (und nicht immer genügt es, nur von Inspiration zu reden). Der King of Comics und Marvel-Gott Jack Kirby wurde ebenso von Flashs geistigem Vater angeregt wie Tarzans Hofzeichner Russ Manning, der Meister des Makabren Bernie Wrightson, Mark „Xenozoic Tales“ Schultz oder Entenhausen-Architekt Carl Barks. Dazu kommen Raymonds unmittelbare Erben Mac Raboy und Al Williamson, die Flashs Abenteuer später fortsetzen, da Alex Raymond sich nach dem Zweiten Weltkrieg anderen Helden widmete (Raymond ersann im Verlauf seiner kurzen Karriere noch den Comic-Detektiv Rip Kirby und den Großwildjäger Jungle Jim, obendrein arbeitete er mit Hardboiled-Legende Dashiell Hammett am Strip „Secret Agent X-9“ zusammen). Neuerer Neal Adams kehrte in den 70ern für eine weitere visuelle Revolution des Superheldencomics auf den Seiten von „X-Men“ und „Batman“ zu Raymonds Versessenheit auf anatomische Korrektheit und zeichnerischen Realismus zurück. Und während Frank „Dark Knight Returns“ Miller im Flash Gordon-Schöpfer einen der Großen sieht und ihn schlicht und ergreifend zum Pantheon zählt, stellt der preisgekrönte Comic-Realist Alex Marvels“ Ross in seiner Einführung zum ersten Band der „Flash Gordon“-Werkausgabe sogar die These auf, dass es ohne Alex Raymond niemals die Evolution des Superhelden-Genres gegeben hätte, wie wir sie bis heute erlebt haben.

Die zweite Einleitung im Band, der vom britischen Experten Peter Maresca digital retuschiert und ursprünglich beim Londoner Verlag Titan veröffentlicht wurde, stammt von Doug Murray. Der Amerikaner, der für Marvel Ende der 80er die Vietnamkriegscomic-Reihe „The ’Nam“ verfasste und einst ein kurzlebiges Flash Gordon-Fanzine herausgab, ordnet die Eckpunkte von Raymonds Biografie und dem multimedialen Phänomen Flash Gordon in die amerikanische Geschichte und die Landschaft der Popkultur zwischen Pulps, Comics und Kino-Serials ein. Der Erfolg von „Flash Gordon“ beschränkte sich nämlich keineswegs auf die Comic-Seiten der Wochenendzeitungen. 1936, zwei Jahre nach seinem Entstehen, folgten eine einzige Ausgabe des „Flash Gordon Strange Adventures“-Pulp-Magazins und vor allem ein erstes Filmserial durch Universal. Bis heute wurde Flash Gordon auf vielerlei Art und Weise interpretiert, und es entstehen noch immer neue Comics, wenngleich wir weiterhin auf die Neuverfilmung durch Regisseur Matthew Vaughn warten müssen.

Bis dahin flasht man mit den guten, alten „Flash Gordon“-Comics trotz der imponierenden Bilder sowie ihrer aufwendigen Aufbereitung und Darreichung vermutlich keine jungen Leser mehr, gewinnt man keinen Nachwuchs für die Science-Fiction oder die grafische Literatur. Dafür ist dieser Band aber auch gar nicht gedacht und gemacht. Er ist viel mehr etwas Feines für Nostalgiker, für Sammler, für Liebhaber, für Schöngeister, für Kreative und für Hobby-Historiker der Neunten Kunst und der SF, die den Auftakt dieser Edition zu schätzen wissen und gerne noch einmal zum Planeten Mongo reisen, um den tiefen Fußabdruck von Alex Raymond und Flash Gordon im Multimedia-Kosmos der Science-Fiction zu untersuchen.

Alle Abb.: Hannibal/© 2018 King Features Syndicate/Distr. Bulls

Alex Raymond: Flash Gordon Bd. 1: Auf dem Planten Mongo • Hannibal Kult, Innsbruck 2018 • 208 Seiten • querformatiges XL-Hardcover: 35 Euro


aus „Alex Raymond: Flash Gordon Bd. 1: Auf dem Planten Mongo“; Einleitung.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.