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Kult-Cartoonist Tetsche - der Meister des gehobenen Blödsinns verabschiedet sich vom stern

Tetsche
Zeichner Tetsche an seinem Schreibtisch in Steinkirchen.
© dpa Picture-Alliance / Olaf Malzahn/ / Picture Alliance
44 Jahre sind genug: Der Cartoonist Tetsche erscheint diese Woche letztmalig im stern. Zur Ruhe setzt er sich nicht. Ein Hausbesuch bei dem Humoristen.

Einer wie Tetsche schickt keine normale Kündigung, wenn er beschlossen hat, dass nun Schluss mit lustig ist. Nein, in der Post war eine Art Urkunde, geziert von einem traurigen Frosch. Der Text war unmissverständlich: "Letzte Nacht ist mir ein Wesen von einem anderen Stern erschienen und hat mich unter Androhung härtester Strafen, wie Beschlagnahme meines Kreativität-Boards und Blitzverkalkung meines hochtalentierten Zeichenstiftes, sowie Zwangsräumung meines Dienst-Porsches aufgefordert, die allseits beliebte Tetsche-Seite im stern einzustellen." 

Ein Paukenschlag. Tetsche fand, dass man aufhören solle, wenn es noch schön ist. Er zeichnet ja weiter. Nur eben nicht mehr jede Woche bei uns im stern. Insgesamt 44 Jahre hat er das bei uns gemacht. Sein erster stern-Cartoon erschien am 7. November 1974. Es ging um ein Krokodil und einen Igel. Beworben hat sich Tetsche damals nicht selber. Das hat seine Frau Madeleine für ihn übernommen. Er war zu schüchtern.

Tetsche fristete damals eine nicht sonderlich lukrative Existenz als freier Künstler. Gelernt hat er Schriftsetzer. Auf Druck seiner Eltern, die Angst hatten, dass der feinsinnige Sohn sonst in der Gosse landet. Doch schon während der Lehre studierte er Kunst an einer holländischen Fern-Uni. Die Studenten bekamen Aufgaben und schickten ihre Werke dann zur Begutachtung nach Holland. Und der Lehrer habe dann "gut" oder "ist Scheiße" neben die Werke geschrieben und sie dann zurückgeschickt, erzählt der Künstler.

Freier Künstler

Nach der Lehre hat Tetsche dann in einer Hamburger Werbeagentur als Grafiker gearbeitet und wurde dort sogar Creative Director. Aber Festanstellung war nicht so sein Ding. Nach ein paar Jahren kündigte er. Freier Künstler klang da schon besser. Ging schon irgendwie. Aber als der erste von zwei Söhnen geboren wurde, war es vorbei mit dem Leben von der Hand in den Mund.

Anfangs kriegte die junge Familie noch Babynahrung und Kartoffeln per Postpaket von den Eltern geschickt. Aber dann war klar: eigenes Geld musste her. Madeleine, bis heute der größte Fan ihres Mannes, rannte also los und bot Tetsches Cartoons bei Hamburgs großen Magazinen an. Der stern hat sofort einen gedruckt. Und Tetsche blieb uns treu. Nach und nach wurde er zu einer festen Größe im Blatt.

Erst kamen die legendären Elefanten, dann die Eierköpfe, die Igel, Neues aus Kalau mit Kuhno van Oyten & seiner Sippe, die abgeschlossenen Romane, Bauernweisheiten, Rebusse und Vieles mehr. Der Name Tetsche wurde zum Markenzeichen. So wurde er schon als Kind genannt. Tetsche ist eine norddeutsche Koseform, so wie Butsche. Der Name steht heute sogar in seinem Pass. Sein bürgerlicher Name soll auf Wunsch des Künstlers im Dunkel der Geschichte verschwinden

Ortsbesuch bei Tetsche

Heute leben Tetsche und Madeleine in Steinkirchen, einem kleinen Dorf im Alten Land, rund 30 Kilometer von Hamburg entfernt. Ein Ortsbesuch: Ihr Haus, eine umgebaute alte Dorfschule, ist nicht zu übersehen. Auf dem Dach thront ein überdimensionaler Pümpel. Madeleine bittet herein in die gemütliche Küche des Hauses. Ein, laut Tetsche, "begehbarer" Kamin brennt.

Der Meister komme gleich, sagt Madeleine. Er habe gerade eine Eingebung gehabt und sitze noch am Schreibtisch. Irgendwas mit einem Handmassage-Gerät, das aussehe wie ein versteinerter Igel. Man muss wissen, dass Tetsche Dinge sieht, die andere nicht sehen. Einmal hat er im Schattenwurf einer Brötchentüte einen Schreiadler erkannt.

Dann erscheint er: Tetsche, 70, wie immer mit Hut. Er redet nicht viel. Sein Freund Til Mette sagt, Tetsche könne sehr lustig schweigen. Das stimmt. Auf dem Tisch liegen ausgedruckte Cartoons, Bücher, Postkarten. Wir blicken zusammen auf die lange Zeit beim stern zurück. Die Leser haben von Anfang an sehr stark auf Tetsche reagiert. Wehe, wenn in einem Cartoon der Pümpel, der Zahn, die Säge, das Kondom oder das Spiegelei fehlte. Dann gab es Leserbriefe.

Tetsche war der Liebling der Leser

Legendär ist bis heute auch das ungeheure Echo auf ein ganz besonderes Puzzle, das sich Tetsche einst ausdachte. Man musste fünf kleine Gutscheine aus fünf Heften ausschneiden und an den Künstler schicken. Dann bekam man per Post in einer kleinen Plastiktüte ein zerdeppertes Ei - also natürlich nur die Schale - und dazu eine Urkunde, dass es sich hier um ein Original-Tetsche-Eierkopf-Puzzle handele. Tetsche und Madeleine mussten dann Tausende von Tüten und Urkunden verschicken. Die Eierschalen hat dann irgendwann die Gruner+Jahr-Kantine geliefert. Es gab zu der Zeit dort wochenlang fast nur Eierspeisen. Manche Leser haben die kaputten Eier sogar tatsächlich wieder zusammengesetzt und den beiden dann Fotos des fertigen Puzzles geschickt.

Aber nicht nur "normale" Leser haben auf Tetsche reagiert. Auch Kollegen meldeten sich. Manchmal rief sogar Loriot bei ihm an, um ihm zu sagen, welcher Cartoon ihm besonders gut gefallen hat. Ärger gab es allerdings auch gelegentlich. Tetsche hat mal einen Elch gezeichnet, der gemütlich ein Schwein rammelte. Und das Schwein sagte: "Oh, Herr, lass diesen Elch an mir vorübergehen." Darüber hat sich ein Bischof so aufgeregt, dass er vom stern Tetsches Rauswurf forderte. Zu dem es dann aber bekanntlich nicht kam. 

Man tritt Tetsche nicht zu nahe, wenn man seine Kunst als gehobenen Blödsinn bezeichnet. Das findet er völlig in Ordnung. Wenn es sein muss, zeigt der Meister aber auch klar Haltung. Seit vielen Jahren ist er Pate bei der europäischen Initiative "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Dafür haben ihn Jugendliche vorgeschlagen und gewählt, worauf er besonders stolz ist. Er hat auch Cartoons und Postkarten gegen rechte Gewalt angefertigt und unterstützt etliche Bürgerinitiativen, indem er kostenlos ihre Seiten im Netz oder Aufkleber und Logos gestaltet.

Tetsche hat noch viel vor

So etwas will er auf jeden Fall weitermachen. Und nicht nur das. Mag die Arbeit für den stern auch beendet sein: Tetsche hat viel vor. Gerade hat er eine verschollen geglaubte Skizze eines Flugapparates von Leonardo da Vinci entdeckt. Den Apparat will er auf seine Art bauen und auf seiner nächsten Ausstellung zusammen mit Cartoons und Objekten zeigen.

Und vor kurzem hat man ihn gefragt, ob er Lust hätte, für eine Stadt einen dreidimensionalen Cartoon-Parcours zu entwerfen. Hat er. Der "begehbare" Kamin brennt immer noch. Draußen ist es bereits dunkel. An der Wand hängen übergroße Tetsche-Cartoons. Meilensteine der komischen Kunst. Wir alle sollen ihm, sagt Tetsche, keine Träne nachweinen. Er tue es auch nicht.

Er schweigt und sagt dann: "Viel Spaß mit ohne Tetsche." Das wird nicht so leicht, Mann! 

Mehr über den Künstler unter www.tetsche.de.

Im neuen stern lesen Sie ein Interview mit dem Cartoonisten.

Kult-Cartoonist: Tetsche - der Meister des gehobenen Blödsinns verabschiedet sich vom stern

STERN Nr. 51/18

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