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Wirtschaft Legendäres Werner-Rennen

Beinhart und steinalt – Deutschlands größte Ü50-Party

Ganz ohne Wurstblinker - Brösel gelingt Revanche

Rötger „Brösel“ Feldmann gelingt die Revanche. 30 Jahre nach seinem legendären Rennen gegen seinen Kumpel Holger Holgi Henze, konnte der Comiczeichner jetzt erstmals den Sieg davontragen.

Quelle: WELT/ Eybe Ahlers

Autoplay
1988 uferte ein Rennen zwischen Comiczeichner „Brösel“ und seinem Rivalen völlig aus. Hundertausende zerlegten ein kleines Dorf. Bei der Neuauflage des Werner-Rennens setzen die Beteiligten eher Maßstäbe für einen neuen Massenmarkt.

Rötger „Brösel“ Feldmann und Holgi Henze sitzen auf einer Holzbank und wärmen ihre Knochen in der Vormittagssonne. Feldmann, 68, Deutschlands bekanntester Comiczeichner und „Paadie“-Ikone, umklammert eine Thermoskanne, aus der er ab und zu einen Schluck warmes Leitungswasser nimmt, und klagt seinem sechs Jahre älteren Freund sein Leid.

„V. O. D. D. O.“, buchstabiert er. „Alle wollen ein Voddo. Die nehmen mich dann so in den Arm. Die Achselhöhlen sind gar nicht das Schlimmste, sondern der Biergeruch aus der Fresse...“ Henze nickt andeutungsweise und sagt weiter nichts. Irgendwann schweigen beide. Als sie sich schließlich aufraffen, um die paar Schritte zur Pressekonferenz zu gehen, sackt Henze gleich wieder zusammen und hält sein rechtes Bein. „Ich glaub‘, ich hab‘ nen Krampf.“

Die beiden etwas betulichen Herren könnte man sich gut beim Entenfüttern im Park vorstellen. Doch sie befinden sich auf einem 200 Hektar großen Festivalgelände auf dem Flugplatz Hartenholm in Schleswig-Holstein. Rings um sie herum tobt bis zum Horizont ein Mob, der nur ihretwegen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland hierher gepilgert ist. Es riecht nach Grillfleisch, Benzin und Bier.

Frisierter AOK-Shopper mit Güllefass im Schlepp

In die Rockmusik aus überdimensionalen Boxen mischt sich das Knattern, Jaulen und Kesseln hochgejazzter Motoren. Eine Handwerkertruppe aus Itzehoe steht mit Bierchen im Anschlag im Halbkreis um ein selbst zusammengeschweißtes Bölkstoff-Bike mit Bierflaschen statt Zylindern. Eine andere Reisegruppe hat sich ein paar Meter weiter eine kleine Party-Wagenburg mit aufblasbarem Pool, Stockbetten auf dem Hänger und der unvermeidlichen Sexpuppe am Fahnenmast zusammen gestellt. Wieder ein anderer hat sich als Schlafgelegenheit ein Segelboot auf den Acker gezogen. Mit sägendem Zweitakter schliddert ein Verrückter auf einem frisierten AOK-Shopper um die Kurve und schleift etwas hinter sich her, das wie ein Güllefass aussieht.

Schon an Tag eins des Rennens in Hartenholm siedet die Stimmung am Höhepunkt. Viele Werner-Fans haben ihre Kinder oder Enkel mitgebracht
Schon an Tag eins des Rennens in Hartenholm siedet die Stimmung am Höhepunkt. Viele Werner-Fans haben ihre Kinder oder Enkel mitgebracht
Quelle: imago/Eibner

Es ist erst Tag eins des viertägigen „Werner – Das Rennen“-Festivals, der „Warmlöttag“, und noch hell. Doch schon liegen die ersten Volltrunkenen mit seligem Lächeln im Schlamm. Mit anderen Worten: ein ganz normales Rockfestival. Mit dem Unterschied, dass hier wenn überhaupt graues Haar unter den Baseballkappen hervor sprießt. Abgewetzte Bikerkutten und juveniles Betragen können nicht darüber hinweg täuschen, dass hier Zehntausende von Familienvätern und Großvätern sowie eine geringere Anzahl von Muttis die Reste ihrer Midlife-Krise im Alkohol ersäufen. Kein Zweifel. Dies hier ist Deutschlands größtes Ü50-Festival.

Die altersmäßige Homogenität hat ihren Grund: Dies ist ein Revival. Viele waren schon vor dreißig Jahren hier und langweilen ihre Familien seither mit den Stories, was das für eine denkwürdige Paadie war. Damals, als Brösel auf seinem viermotorigen Red-Porsche-Killer gegen Holgi in seinem 911er antrat.

Motorrad gegen Porsche – dieses Rennen war nur eine Wette aus einem Werner-Comic. Bis Feldmann und Henze 1988 auf die Idee kamen, das ganze im echten Leben auszutragen. 200.000 Werner-Fans überfluteten damals das beschauliche „Haatenholm“. BAP und Roger Chapman spielten, ein Bierlaster der Flensburger-Brauerei sprang über 27 Motorräder.

Wacken-Gründer investieren Millionen ins Werner-Festival

In Ermangelung einer geregelten Infrastruktur campierten die Besucher überall im Dorf, erleichterten sich in den Gärten, versorgten sich an der Tankstelle mit Fusel und entzündeten auf der Bundesstraße ein Lagerfeuer, das sie mit den Jägerzäunen der braven Hartenholmer nährten. Eher ungeplant uferte eine erfundene Comic-Szene aus zu einem der größten Rockfestivals der deutschen Nachkriegsgeschichte. An diesem Wochenende kam es an Ort und Stelle zur Neuauflage.

„Wir haben das Thema Werner neu aufgebaut. Wir lieben diesen Typen und wollen ihm einfach ein Denkmal setzen“, sagt Holger Hübner. Schon in diesen beiden Sätzen wird deutlich, wie sehr bei dem 52-Jährigen mit der schütter werdenden Langhaarfrisur das professionelle Kalkül des Veranstalters immer wieder mit der Begeisterungsfähigkeit des Fans zusammen prallt.

Werner Rennen, die Kontrahenten, Broesel, Red Porsche Killer und Holgi
"Brösel" tritt mit seinem "Red Porsche Killer" gegen Holgi und seinen 911er an
Quelle: Kai Swillus
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Vor 30 Jahren hatte er sich unter einem Vorwand („Umzug“) den Firmentransporter geborgt und war damit nach Hartenholm gekachelt. Die Party, der Ausnahmezustand, das Freiheitsgefühl – das alles elektrisierte ihn damals so sehr, dass er und seine Freunde beschlossen, auch so etwas zu veranstalten, nur mit Heavy-Metal. Heute steht der Name ihres Heimatdorfes für eines der größten und erfolgreichsten Metalfestivals der Welt, zu dem alljährlich 85.000 Besucher in die norddeutsche Tiefebene einfallen: Wacken.

Wenn Hübner und sein Geschäftspartner Thomas Jensen nicht sehr viel falsch gemacht hat, dürften sie längst Millionäre sein. Ihre Firma, die ICS Festival Service, betreibt heute ein halbes Dutzend großer Rockveranstaltungen. Nun verbuddelten sie zum hellen Entsetzen ihrer Wirtschaftsprüfer einen (vermutlich zweistelligen) Millionenbetrag auf einem in die Jahre gekommenen Provinzflugplatz, um hier das größte Musik- und Motorsportfestival Europas aufzuziehen.

Feldmann (r.) und Henze während des Festivals 1988
Feldmann (r.) und Henze während des Festivals 1988
Quelle: dpa/Wulf Pfeiffer

Sie verlegten Glasfaserleitungen, um das Nest mit schnellem Internet zu versorgen, ließen einen Brunnen graben, karrten 1500 Lkw-Ladungen Material auf die Fläche. „Die Anlaufkosten für die Infrastruktur waren immens“, sagt Hübner und schaut etwas sorgenvoll, obwohl schon am ersten Tag 35.000 zahlende Besucher auf dem Gelände eingecheckt haben, zum Ticketpreis von 150 Euro.

„Wir probieren erstmal aus, was geht und was nicht. Wir werden mit diesem Festival auf keinen Fall Gewinn machen“ sagt Hübner und behauptet, dass sie alles nicht für den Profit machen, sondern weil sie einfach Bock darauf haben. Doch natürlich ist die unausgesprochene Idee dahinter, das Werner-Rennen als regelmäßige Kultveranstaltung zu etablieren. Ein zweites Wacken, für die Freunde des Verbrennungsmotors.

Zerlegen Kuttenträger „Haatenholm“ erneut?

Statt wie in Wacken erstmal klein mit ein paar Konzerten vor 800 Besuchern anzufangen, gehen sie in Hartenholm gleich in die Vollen. Von vier Bühnen dröhnt Livemusik, während auf ebenso vielen Rennstrecken parallel Motocross-Wettbewerbe, Stock-Car-Rennen, Drag Races und Stunt-Shows dagegen an lärmen. Neben Musik- und Motorspektakel steht eine kleine Stadt aus 100 Fressständen und Getränketheken sowie Dutzenden von Merchandisingbuden. Sogar ein Riesenrad haben sie hergeschleppt, und der Ministerpräsident (Daniel Günther, CDU) kommt am Rennsonntag persönlich vorbei. Eine gigantische Inszenierung, durch die Abertausende von Besuchern wanken, vornehmlich in kleineren Männergrüppchen in nicht altersgemäßer Kleidung. Und sich wie blöd darüber freuen, dass aus einer blöden Thekenwette so etwas Großes entstehen konnte.

Zehntausende Besucher strömen zu Beginn des Festivals auf den Flugplatz Hartenholm in Schleswig-Holstein
Zehntausende Besucher strömen zu Beginn des Festivals auf den Flugplatz Hartenholm in Schleswig-Holstein
Quelle: imago/Eibner

Wird „Haatenholm“ nun endgültig Kult? Das neue Mekka der Motoristen und Werneristen? Klaus-Wilhelm Schümann neigt bedächtig den Kopf. „Jetzt bringen wir erstmal diese Veranstaltung über die Bühne und dann sehen wir mal“, sagt der Bürgermeister der Gemeinde Hasenmoor, auf deren Gelände der Flugplatz Hartenholm liegt.

Vor 30 Jahren war der Landwirt aufgewacht und fand seinen Hof voller Zelte von Festivalbesuchern. Er nahm es sportlich und stellte den Werner-Fans fließend Wasser und eine Toilette zur Verfügung. Dann schnappte er sich Frau und Kinder und schaute sich das Spektakel an. „Ich fand das damals schon geil!“ sagt der 64-Jährige. Auch sein Gemeinderat stimmte nun einstimmig für die Neuauflage des längst in die Dorfchronik eingegangenen Kultrennens.

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Doch nicht alle freuen sich, dass in Hartenholm nach 30 Jahren endlich mal wieder was los ist. Das Dorf wirkt gespalten. Die einen versuchen, auf das Ereignis aufzuspringen und laden mit „Paadie“- und „Bölkstoff“-Schildern zum Hoffest. Auch das spärliche Gastgewerbe ist zufrieden. „Ich hätte meine Zimmer zwanzig Mal vermieten können“, sagt etwa Anett Sarkander, Chefin der Pension Holmer Moorhof. Normalerweise steigen in ihren sechs Apartments und Zimmern vor allem Dauergäste ab, die am Ort arbeiten. Leben tut die 55-Jährige von ihrem Hauptberuf als Informatikerin. Aber an diesem Wochenende hat sie volle Hütte und wie alle in der Gegend ein Freiticket für das Festival. Ihre Mutter, 77, werde „auch mitgeschleppt.“ Die Feuerwehr-Kapelle Hartenholm hat sogar einen Auftritt auf der großen Festivalbühne.

TUI Cruises wittert Geschäft mit Geronto-Rockern

Derweil befürchteten andere, dass sich bei einer Neuauflage auch die Kollateralschäden von 1988 wiederholen könnten. Einige Dorfbewohner versuchten die Veranstaltung bis zuletzt zu verhindern und zogen bis vors Oberlandesgericht. In letzter Minute wurden noch penible Lärmschutzauflagen durchgesetzt. Die Polizei zieht schon Kilometer vor dem Ortseingang Anreisende aus dem Verkehr und filzt die Autos nach was auch immer. Im Dorf werden Einfamilienhäuser mit meterhohen Metallzäunen vor den vermeintlich wilden Horden geschützt. Geschäfte bleiben geschlossen, das Dorf bunkert sich ein. Ein Uniformierter patrouilliert gar mit vorgehaltenem Sturmgewehr auf der gesperrten Bundesstraße auf und ab.

Ein beachtlicher Sicherheitsaufwand, der nicht ohne Komik ist angesichts der TÜV-geprüften Familienkutschen, penibel polierten Oberklasse-SUV‘s und liebevoll gepflegten Caravans, die dann an diesem Wochenende diszipliniert und im Schritttempo auf die abgesteckten Campingareale rollen. Bei der 2018er-Ausgabe des Werner-Rennens schläft der Besucher nicht im Graben, sondern im klimatisierten 200.000-Euro-Wohnmobil mit Motorrad-Garage. Der Kofferraum voll Bier, das Eigenheim abbezahlt – so lässt es sich unbeschwert feiern.

Auf der Bühne spielten unter anderem Roger Chapman, Fischer-Z und BAP
Auf der Bühne spielten unter anderem Roger Chapman, Fischer-Z und BAP
Quelle: dpa/Frank Molter

Das Musikprogramm ist auf die betagte Zielgruppe abgestimmt. Eine Band namens Torfrock covert Jimi Hendricks mit plattdeutschen Texten. Vergessen geglaubte Stars wie Roger Chapman, Fischer-Z, BAP oder Otto werden wieder auf die Bühne hinaus gejagt. Die Neue-Deutsche-Welle-Gruppe „Extrabreit“ stimmt ihre Gitarren, als Holger Hübner im Pressezelt die altersmäßige Durchmischung des Publikums lobt. „Viele bringen ihre Kinder und Enkelkinder mit“, freut er sich. Was ist nur aus dem Rock‘n‘Roll geworden?

Wohin die Reise geht, lässt ein Werbebanner erahnen, das an einem Absperrgitter hängt und ein stilisiertes Kreuzfahrtschiff zeigt. „Full Metal Cruise“ steht darauf. Eine Kreuzfahrt für Kuttenträger, gemeinsam veranstaltet von TUI Cruises und den Wacken-Leuten. Was auf den Blick als eine überraschende Kombination erscheint, ist nur die logische Konsequenz einer zusammenwachsenden Zielgruppe.

Zukunftsmarkt Geronto-Rocker. Ein Geschäft, bei dem alle gewinnen. Mit Ausnahme der Renn-Protagonisten selbst, bei denen es immer auch einen Verlierer gibt. Vor 30 Jahren sah Rötger Brösel Feldmann auf der Achtelmeile von Haatenholm von Holgis Porsche nur die Rücklichter. In diesem Jahr knatterte er vor der johlenden Menge als Erster ins Ziel. Vielleicht war’s ja ein Krampf.

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