Aus den Feuilletons

Wie Tim zum Struppi kam

Tintin – bekannt auch als Tim und Struppi – als Illustration auf einem Flugzeug von Brussels Airlines
Hergé zeichnete schon als Jugendlicher "den klassischen 'hässlichen Juden' mit Hut und langem Bart", berichtet die "Weltwoche". © picture-alliance / dpa / dpa-Film AFM
Von Burkhard Müller-Ullrich · 31.10.2018
Gar nicht bunt und auch nicht lustig: Dass "Tim und Struppi"-Schöpfer Hergé während der Nazizeit keine gute Figur machte, ist schon länger bekannt. Die Schweizer "Weltwoche" hat nun eine Menge bestürzender Details über den Comiczeichner recherchiert.
Zunächst ein Blick in die Schweizer WELTWOCHE, die sich mit einem auch bei uns bekannten Comic-Autor beschäftigt, dem Belgier Hergé, Schöpfer der legendären Tim-und-Struppi-Serie.
Dass dieser Hergé während der Nazizeit keine gute Figur machte, ist lange bekannt. Aber der Schweizer Schriftsteller Claude Cueni hat auf den Spuren des großen französischen Literaturkritikers und Literaturbetriebsagenten Pierre Assouline eine Menge bestürzender Details recherchiert. So zeichnete Hergé schon als Jugendlicher "den klassischen 'hässlichen Juden' mit Hut und langem Bart, gekrümmt vor einer Wand, der Schatten erinnert an einen Verbrecher, der Übles im Schilde führt".

Hergé als junger Mann

Wir erfahren, dass Hergé als junger Mann in der Redaktion der katholischen Tageszeitung "Le Vingtième Siècle" mit einem ein Jahr älteren Pfadfinderkollegen namens Léon Degrelle befreundet war. Der hatte eine blonde Haartolle und trug Knickerbocker-Hosen – wie der gerade entstehende Comic-Held.
Das Vorbild Degrelle erlangte als belgischer Faschistenführer später internationale Berühmtheit und berichtete in seiner eigenen Autobiografie, wie Tim zu Struppi kam. Im Fotoarchiv von "Le Vingtième Siècle" stießen die beiden Zeitungsleute auf eine Fotografie aus dem Jahr 1918, die ihnen gefiel.
"Das Bild", schreibt Cueni, "zeigt einen deutschen Gefreiten mit seinem Foxterrier. Und dieser Gefreite mit Schnauz ist kein Geringerer als der junge Adolf Hitler."

Zehntausende Zwangarbeiter schufteten im Kongo

Nichts davon findet sich in zahlreichen Hergé-Biografien, die in Belgien seither geschrieben wurden. Auch nichts über die grässlichen Hintergründe des 1930 gezeichneten Bands "Tim und Struppi im Kongo", jener belgischen Kolonie, wo Zehntausende Zwangarbeiter auf den Kautschukplantagen Königs Leopold II. schuften mussten, und wenn sie das Tages-Soll nicht erfüllten, wurde ihnen eine Hand abgehackt.
"Bilder von Körben mit amputierten Gliedmaßen gingen damals um die Welt", schreibt Claude Cueni in der WELTWOCHE. Und weiter: "Zwischen acht und zehn Millionen Kongolesen (…) fanden den Tod. Hergé wird später sagen, er habe davon nichts gewusst. Ist das möglich? – Als Hergé 1930 die ersten Seiten zeichnete, war der Völkermord seit 22 Jahren beendet. Aus heutiger Sicht liegt der Holocaust 73 Jahre zurück. Können wir uns noch daran erinnern, dass es einen Holocaust gab? Hergé arbeitete auf einer Zeitungsredaktion und wusste von all dem nichts?"

Schmerzhafte Geschichtserinnerung

Von schmerzhafter Geschichtserinnerung und Aufarbeitung handelt auch ein Artikel von Paul Ingendaay in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Der spanische Diktator Francisco Franco soll umgebettet werden. Bislang ruhen seine sterblichen Überreste "im sogenannten 'Tal der Gefallenen', einem nationalkatholischen Weiheort sechzig Kilometer nordwestlich von Madrid, zusammen mit mehr als dreißigtausend Toten des Bürgerkriegs. Doch seit der neue spanische Premier am 25. August mutig die Verlegung ankündigte, ist das Gespenst wieder lebendig: Wohin denn mit dem Diktator?".
Ingendaay hat die dort in den Fels gehauene Basilika, in die von überall Sickerwasser eindringt, besucht. Er hat einem Gottesdienst beigewohnt und an einer Fachkonferenz teilgenommen, deren Teilnehmer über eine spätere Nutzung der Anlage diskutierten, wenn der Caudillo neben seiner Tochter und seinem Schwiegersohn in einer Kathedrale der Madrider Altstadt beigesetzt worden sein könnte. Wird man im "Tal der Gefallenen" eine Forschungsstätte eröffnen, einen Eventschauplatz, ein globales Friedenszentrum? Und was soll aus der Basilika werden, dem Bauwerk, das der katholischen Kirche gehört?

Die Kirche hat an diesem Ort keinen Platz mehr

In einem sind alle derselben Meinung: dass die Kirche, als Handlangerin der Diktatur desavouiert, an diesem Ort keinen Platz mehr hat. Da meldet sich eine Teilnehmerin und bemerkt, gegen die Kirche lasse sich ganz sicher keine Veränderung durchsetzen, ob man es nicht mit ihr probieren solle? Etwa, indem man die Gläubigen selbst gewinnt?
Ein Soziologe, der die Gruppe und den FAZ-Berichterstatter herumführt, will den Niedergang des Monuments durch die Schaffung digitaler Gegenbilder begleiten.
"Die Pixel", sagt er, "könnten den Stein zersetzen."
Da staunt selbst der hartgesottenste Presseschauer: Was Pixel alles können.
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