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90 Jahre "Tim und Struppi"
Politisch-ideologisch kritikwürdig

Heute vor 90 Jahren erschien das erste "Tim und Struppi"-Abenteuer in einer Jugendbeilage der katholischen Tageszeitung "Le Vingtième Siècle". Bis zum Tod ihres Erfinders Georges Remi alias Hergé sind 23 Comic-Alben aus einer Feder erschienen - politisch sind sie nicht unumstritten.

Von Holger Romann | 10.01.2019
    Tintin - bekannt auch als Tim und Struppi - als Illustration auf einem Flugzeug von Brussels Airlines
    Tintin - bekannt auch als Tim und Struppi - als Illustration auf einem Flugzeug von Brussels Airlines (imago/Belga)
    Belgien, das Mutterland der Comics, feiert zwei seiner beliebtesten Helden: Am 10. Januar 1929 erschien in einem konservativen belgischen Wochenblatt die erste Zeichnung von "Tintin und Milou" alias "Tim und Struppi". Bis zum Tod ihres Erfinders Hergé im Jahr 1983 erlebten der sympathische Reporter und sein pfiffiger Terrier zahlreiche Abenteuer. Die bunten Bildergeschichten wurden in alle Weltsprachen übersetzt. Inzwischen ist Tintin-Schöpfer Hergé wegen seiner fragwürdigen politischen Ansichten durchaus umstritten. Der Beliebtheit seiner Figuren tut das keinen Abbruch. Sogar Star-Regisseur Steven Spielberg hat den Comic-Klassikern mit einem Kinofilm schon vor Jahren ein Denkmal gesetzt.
    Tintin-Stadt Brüssel
    In Europas Comic-Hauptstadt Brüssel begegnen sie einem auf Schritt und Tritt. Nicht nur in Buchläden oder Souvenir-Shops - auch an Häuserwänden, als meterhohe Graffiti oder in U-Bahn-Stationen: Tintin oder Tim, wie er bei seinen deutschsprachigen Fans heißt. Der rasende Reporter in Knickerbocker-Hosen, blauem Pulli und Trenchcoat, mit den unschuldigen Knopfaugen und der frechen blonden Haartolle über der Stirn. Und der Foxterrier Struppi, französisch: Milou, sein treuer Begleiter.
    Auszug: "Sieh mal, da ist ein neuer Stern im großen Bären, der ist mir noch nie aufgefallen! Wir sollten das Observatorium benachrichtigen. Komm', Struppi."
    "Das Geheimnis der ‚Einhorn‘", "König Ottokars Zepter" oder "Der Blaue Lotos" – eine Geschichte spannender als die andere. Vor allem, weil Jungjournalist Tim eigentlich nie eine Zeile zu Papier bringt, sondern meist als Hobby-Detektiv knifflige Fälle löst. Unterwegs in fremden, exotischen Ländern, dunklen Geheimnissen auf der Spur, ständig in Lebensgefahr – aber am Ende immer siegreich im Kampf gegen das Böse.
    Auszug: "Verzeihen Sie bitte, aber ich muss sehr vorsichtig sein. Ich habe die Aufgabe, Ihnen mitzuteilen, dass Sie dringend gebraucht werden."
    Volkshelden Belgiens
    Auch wenn es manchmal brenzlig wird - Tim und Struppi sind furchtlos und schlau und lassen sich nicht unterkriegen. In ihrer Heimat Belgien sind sie deshalb Volkshelden. Sie gehören sozusagen zur DNA des kleinen Landes, wie Pralinen oder Fritten. Jeder kennt sie, jeder liebt sie, erklärt Willem De Graeve vom Brüsseler Comic-Museum:
    Tim hat Struppi auf dem Arm, im Hintergrund Mauerwerk.
    Tim und Struppi. (picture-alliance / dpa / dpa-Film AFM)
    "Alle Belgier kennnen Comics, sie haben zu Hause eine Sammlung. Sie sind alle sehr stolz auf Comics. Das ist für uns Patrimonium, Erbe."
    Die Ursprünge des legendären Duos reichen zurück bis in die Zwischenkriegszeit: 1929 brachte sein Schöpfer Hergé, mit bürgerlichem Namen Georges Remi, sein erstes Tim-und-Struppi-Abenteuer heraus. Damals noch schwarz-weiß, inspiriert von den Comicstrips mit Sprechblasen aus den USA.
    Krimi, Fantasy und Science Fiction
    Eine Beilage für Kinder in der katholischen Zeitung "Le Vingtième Siècle". Es folgten bis zu Hergés Tod, 1983, 23 weitere Bände, übersetzt in 70 Sprachen und 30 Dialekte. Die rasant erzählten Geschichten – eine Mischung aus Krimi, Fantasy und Science Fiction – entführen den Leser in die entferntesten Winkel des Globus: nach Afrika, Amerika oder Fernost. Eine sogar auf den Mond, den Tim in einer futuristischen rot-weißen Rakete erobert.
    Auszug: "Drei - zwei - eins - zero!"
    Fast immer mit von der Partie, Tims Freunde und Helfer: der vierschrötige, aber gutmütige Kapitän Haddock, der zerstreute, schwerhörige Professor Bienlein und Schulze und Schultze, die beiden unzertrennlichen, leicht beschränkten Zivilermittler, die mit ihren Slapstick-Einlagen regelmäßig für Lacher sorgen.
    Latent rassistisch
    Auszug: "Keine Angst, Herr Tim, das Beweisstück ist bei uns sicher. Boing!"
    Weniger komisch: der aus heutiger Sicht durchaus kritikwürdige politisch-ideologische Hintergrund, der vor allem die frühen "Tintin"-Folgen prägt und bis heute für Debatten sorgt. So outet sich der Autor schon in seinem Erstling "Im Lande der Sowjets" als strammer Antikommunist. Und die Episode "Tim im Kongo", erschienen 1930, spiegelt bei aller Naivität der Darstellung den latent rassistischen Ungeist der Zeit. Doch sogar Hergés Flirt mit dem Faschismus, den er selbst stets von sich wies, tat dem Kultstatus keinen Abbruch, den "Tim und Struppi" bis heute in Belgien genießen.