„Ichwolltekeine Ostalgie“

Als erster deutscher Zeichner überhaupt durfte Flix einen Band der „Spirou“-Reihe gestalten. Er lässt ihn in Ostberlin spielen, kurz vorm Mauerfall. Ein Gespräch

Friedens­tauben über dem Alexander­platz. Die DDR sollte, sagt Flix, für Spirou und Fantasio auch durchaus bedrohlich wirken Foto: Abbildung: Flix/Carlsen Verlag

Interview Christoph Haas

taz am wochenende: Flix, als man Ihnen angeboten hat, ein „Spirou“-Album zu zeichnen, wie war da Ihre erste Reaktion? Haben Sie sich gefreut, oder waren Sie eher etwas verblüfft angesichts der ungeheuren Bedeutung, die diese Figur, diese Serie für die europäischen Comics besitzt?

Flix: Ich konnte das zunächst überhaupt nicht glauben. Es gab ja noch nie einen nichtbelgischen oder nichtfranzösischen Künstler, der sich mit „Spirou“ beschäftigen durfte. Aber ich habe natürlich sofort zugesagt. Ich liebe „Spirou“ und kenne die Serie sehr gut, schon seit meiner Kindheit, in der ich mir alle damals existierenden Alben in der Stadtbibliothek ausgeliehen habe. Dass es dann tatsächlich klappen würde, erschien mir allerdings eine Weile recht unwahrscheinlich, da ich in einem sehr frühen Stadium in das Projekt involviert worden bin.

Wer hat Sie denn als „Spirou“-Künstler ins Gespräch gebracht?

Der Ausgangspunkt war ein Treffen auf dem Comic-Salon in Angoulême vor dreieinhalb Jahren. Da saßen ein Repräsentant von Dupuis, dem Mutterverlag von „Spirou“, und ein Redakteur des Carlsen Verlags, der einer der größten Lizenznehmer von Dupuis ist, zusammen und überlegten sich: Wohin sind Spirou und Fantasio, die schon fast überall waren, eigentlich noch nicht gereist? Da wurde klar: Die beiden waren noch nie in Deutschland. Zumindest nicht im realen Deutschland; das Album „QRN ruft Bretzelburg“ spielt ja in einem Fantasiedeutschland. Und dann kam der Gedanke: Für ein Abenteuer in Deutschland sollte man einen deutschen Künstler verpflichten, weil so jemand eine andere Perspektive hat als jemand, der in Paris oder Brüssel sitzt.

Dass die Handlung des Albums weitgehend in der DDR, kurz vor dem Mauerfall, stattfinden sollte, war da noch nicht klar?

Nein. Das war erst meine Idee, ausgehend von mehreren Überlegungen. Wir brauchten einen zwingenden Grund, warum eine „Spirou“-Geschichte in Deutschland angesiedelt sein sollte. Ein Vorteil war, dass das Album nicht in der regulären „Spirou“-, sondern in der „Spirou Spezial“-Reihe erscheint, deren Bände in verschiedenen Epochen zu Hause sind. Und welche historischen Ereignisse verbindet man weltweit mit Deutschland? Die NS-Zeit und den 9. November 1989! Auf eine „Spirou gegen die Nazis“-Geschichte hatte ich keine Lust, daher die DDR. Ich wollte jedoch auf keinen Fall, dass Spirou für den Mauerfall verantwortlich sein würde. Er sollte, als der klassische Held, der er ist, nur jemanden dabei unterstützen, sich gegen das DDR-Regime aufzulehnen.

Der „Spirou“-Kosmos ist inzwischen 80 Jahre alt. Es ist nahezu unmöglich, in ihm ein neues Abenteuer zu erfinden, ohne sich in irgendeiner Weise auf frühere „Spirou“-Künstler zu beziehen, speziell auf André Franquin. In der Tat ist Ihr Album voller Anspielungen, aber nicht nur auf die „Spirou“-Historie, sondern auch auf die deutsch-deutsche Geschichte. Zugleich merkt man, dass Sie unbedingt eine spannende Story, die für sich stehen kann, erzählen wollen. Wie haben Sie diese beiden Tendenzen ausbalanciert?

Mir war es ganz wichtig, nicht nur Zitate paradieren zu lassen. Meine Geschichte soll Leuten gefallen, die schon ewig „Spirou“ lesen, aber auch solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Ich habe Spaß daran gehabt, diese ganzen Referenzen hineinzupacken, aber für die Geschichte sind sie letztlich ohne Bedeutung. Wer sie nicht versteht, kann der Geschichte dennoch folgen, von ihr gefesselt sein.

Ihr Blick auf die DDR ist sehr kritisch.

Ich wollte keinen witzig-ostalgischen Retrostaat zeigen. Ich wollte die Ambivalenz zwischen dem deutlich machen, was die DDR sein wollte, und dem, was sie wirklich war. Da sollte es für Spirou und Fantasio auch wirklich bedrohlich werden. Man sollte beim Lesen die Sorge haben: Kommen die da wieder heil heraus? Denn das war in Bezug auf die DDR ja ein großes Thema: das Hinein- und das Hinauskommen. Beim Schreiben und Zeichnen habe ich gedacht: James Bond trifft „Das Leben der Anderen“ – das ist die Mischung, die ich bei diesem Comic schaffen will.

Auf das Marsupilami, das im jüngsten Band der regulären „Spirou“-Reihe wieder mit dabei war, haben Sie aus rechtlichen Gründen verzichten müssen.

Ich hätte es sehr, sehr gerne gezeichnet. Die Aussicht, das tun zu dürfen, war einer der Gründe, warum ich bei der Sache sofort zugesagt habe. Das Marsupilami ist einfach eine hammergeile Figur. Da hätte ich eine ganz andere Geschichte erzählen können, vielleicht mit einem geklonten Marsupilami, das als sozialistische Wunderwaffe dienen soll. Aber die rechtliche Situation ist nun einmal so, dass Dupuis das Marsupilami nur in seiner eigenen Serie auftreten lassen will, nicht in „Spirou“.

Yoann, der aktuelle „Spirou“-Zeichner, orientiert sich stilistisch deutlich am Vorbild von André Franquin. Das ist bei Ihnen nicht der Fall. Sie bleiben Ihrem eigenen Stil weitgehend treu – da gab es keine Vorgaben von Dupuis?

Man hat mich nur gebeten, auf die für meine Figuren typischen, quaderförmigen Nasen zu verzichten. Das hat mir anfangs nicht gefallen, aber ich habe bemerkt, dass ich den Charakter von Figuren vielfältiger darstellen kann, wenn sie nicht dieses Flix-Markenzeichen im Gesicht tragen. Früher habe ich Wert darauf gelegt, dass meine Zeichnungen ein Merkmal besitzen, an dem man sie sofort identifizieren kann. Inzwischen überlege ich, ob ich die Quadernasen nicht ganz weglassen sollte.

"Spirou in Berlin"

Foto: Mari Boman

Flix, bürgerlich Felix Görmann, wurde 1976 geboren und lebt in Berlin. Bekannt wurde er vor allem mit dem autobiografischen Comic „Held“ (2003) und mit seinen freien, humoristischen Adaptionen von Klassikern wie „Faust I“ (2010) und „Don Quijote“ (2012).

„Spirou“ erscheint seit 80 Jahren und zählt zusammen mit „Tim und Struppi“ sowie „Blake und Mortimer“ zu den berühmtesten klassischen frankobelgischen Comictiteln. Der wichtigste „Spirou“-Zeichner war André Franquin, der auch das Marsupilami erfand.

Eine kleine Sensation ist „Spirou in Berlin“: das erste Album der Serie, das von einem nichtfrankophonen Künstler gestaltet wurde. Er erscheint im Carlsen Verlag, Hamburg 2018. 64 Seiten, 16 Euro.

Ihre Zeichnungen in „Spirou in Berlin“ sind detaillierter, als man es sonst von Ihnen kennt.

Da habe ich schon einige Versuche gebraucht, um die gewünschte grafische Opulenz zu erreichen. Hintergründe sind in den Geschichten, die ich normalerweise erzähle, einfach nicht besonders wichtig, und ich verzichte gerne auf den Aufwand, sie zu zeichnen. In diesem Band spielt Berlin als Stadt aber eine große Rolle; daher habe ich zur Vorbereitung alle Orte der Handlung aufgesucht, soweit sie noch existieren. Diese realen Orte zu zeichnen, das hat mir dann auch viel Spaß gemacht. Freiheiten habe ich mir nur in Bezug auf das Innere des Ostberliner Palasthotels genommen.

Ein Zeichner, der Sie sehr beeinflusst hat, ist Bill Watterson, der Schöpfer von „Calvin und Hobbes“. Die Sonntagsseiten dieser Serie hat Watterson gerne für spektakuläre, ganzseitige Kompositionen genutzt. In Ihrer Serie „Schöne Töchter“ haben Sie dem nachgeeifert, aber auch in „Spirou in Berlin“ brechen Sie die übliche Panelreihung ein paar Mal auf.

Ich habe gar nichts gegen das traditionelle Erzählen Panel für Panel. Aber mit einem Zeitungscomic wie „Schöne Töchter“ oder mit einem „Spirou“-Band kann ich vielleicht auch Leute ansprechen, die wenig oder keine Comics lesen. Denen will ich etwas bieten, die sollen mitunter über die ungewöhnliche und zugleich elegante Weise staunen, auf die sie gerade über eine Seite geleitet worden sind.

Gesetzt den Fall, die Erben von Hergé würden bei Ihnen anrufen und sagen: Herr Flix, zeichnen Sie uns ein neues „Tim und Struppi“-Album! Wie würden Sie sich verhalten?

Na, dann würde ich „Tim und Struppi in Berlin“ machen, klar. Nein, im Ernst, die Arbeit an „Spirou“ war auch eine schöne Erfahrung, weil ich gemerkt habe: Ich kann diesem großartigen Kosmos etwas Neues hinzufügen. Das, was ich da gemacht habe, ist gar nicht so ver­schieden von dem, was ich bei meiner „Faust“-Version gemacht habe: Ich habe ein vorhandenes Werk als Steinbruch genutzt und daraus ein eigenes Haus gebaut. So etwas könnte ich mir auch bei „Lucky Luke“ vorstellen, mal sehen.