Populistische Leserbriefschreiber

Lesedauer
Ein Polizeibeamter in Berlin an einem Tatort. Leser Thomas Schmitt fürchtet eine Kostenexplosion im öffentlichen Dienst, wenn Beamte ihre Vorteile verlieren würden. Er will in diesem Fall „keine Entrüstung, weil wichtige Behörden vom Personal bestreikt werden, kein Entsetzen, weil die Polizei oder die Feuerwehr nicht kommt“, hören. © dpa

Zum Leserbrief „Leserbriefschreiber hat Vorteile von Beamten einfach ’vergessen’“ vom 21. August:

Wann hört sie endlich einmal auf, diese populistische Leserbriefschreiberei über die Bevorteilung des Beamtentums? Ich kenne zwar nicht das Alter und die berufliche Tätigkeit des Herrn Schäfer. Jedoch stellt sich mir die Frage, warum er beispielsweise nicht den Polizeiberuf ergriffen hat und die von ihm so gepriesenen Vorteile genießen kann. Vermutlich aus Bescheidenheit.

Ich erinnere mich an das Jahr 1973, als ich mich mit einem gleichaltrigen Werkzeugmacher einer bekannten Mannheimer Firma über sein Gehalt und meine Besoldung als Polizeibeamter unterhalten habe. Zum Schluss fragte er mich wörtlich: „Für so ein paar Kröten schlägst Du Dir jede vierte Nacht um die Ohren?“ Es würde Herrn Schäfer aus „Bad Viernheim“ gut zu Gesicht stehen, wenn er sich – anstelle der Wahl eines vermutlich bürgerlichen Berufs – in Mannheims Neckarstadt und Klein Istanbul als Polizeibeamter mit orientalischen Familienclans, Junkies, Betrunkenen, Fußballhooligans und so weiter herumschlagen würde und die Fehler der auch von ihm gewählten Volksvertreter als Kanonenfutter abfangen müsste.

Mich würden auch seine Gedanken interessieren, wenn er beim G-20-Gipfel in vorderster Polizeireihe gestanden und über seine überhöhte Besoldung und die Vorteile des Beamtentums Schuldgefühle bekommen hätte. Selbst eine Weltfirma der freien Wirtschaft könnte nicht so mit ihren Ressourcen umgehen und sich so einen Luxus dieser Dimension leisten. Und dafür soll jetzt an denjenigen, die ihren Kopf noch hinhalten, an den Pensionären gespart werden.

Und nun zu den finanziellen Dingen: Es ist doch wohl nur interessant, was als Überweisungsbetrag auf der monatlichen Gehaltsmitteilung steht und unter dem Strich zur Verfügung ist. Dass der Staat, der die Interessen auch im Namen von Herrn Schäfer vertritt, seit Jahrzehnten keine Rücklagen gebildet, sondern nach dem Motto gelebt hat: „Heute die Leistung in Anspruch nehmen, in ein paar Jahrzehnten bezahlen“, kann doch wohl nicht die Schuld der Staatsdiener sein. So geht Generationenvertrag!

Wie im richtigen Leben: „Auf Pump leben“. Dies betrifft nicht nur die niederen Besoldungsgruppen. Selbst ein Polizeipräsident, der für zweieinhalbtausend Bedienstete die Verantwortung trägt, kann dem Vorstandsvorsitzenden einer gleich großen Firma gehaltsmäßig nicht das Wasser reichen. Und dann gibt es noch die Jubiläumsgaben für langjährige Treue, die in der freien Wirtschaft zum Teil fast an fünfstellige Summen heranreichen. Fragen sie mich besser nicht, was ich zum 40-jährigen Dienstjubiläum bekommen habe. Da bekäme selbst ein Herr Schäfer Tränen. (Norbert Leidig, Mannheim)

Ich möchte nur einen besonderen Teilaspekt der sogenannten Vorteile herausgreifen. Als pensionierter Beamter, und das betrifft auch die aktiven Beamten, muss man im Krankheitsfall liquide sein und gute Nerven haben. Alle Arztrechnungen, Rezepte, Hilfsmittel und so weiter müssen zuerst einmal bezahlt werden. Das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (LBVBW) in Fellbach braucht für die Rückerstattung nach Antragstellung seit dem Cyberangriff im Dezember 2017 sechs bis acht Wochen Bearbeitungszeit.

Da muss man schon an die finanziellen Reserven gehen, so man welche hat. Als Pensionär sind das 70 Prozent der Kosten. Die private Krankenversicherung ist zwar schneller, aber der Beitrag ist im Verhältnis zur gesetzlichen Krankenversicherung sehr hoch. Rein rechnerisch müsste ich bei hundertprozentiger Abdeckung der Kosten im mittleren Dienst 600 Euro im Monat bezahlen. Nicht zu vergessen ist der monatliche Beihilfebeitrag und die jährliche Kostendämpfungspauschale, die vom Landesamt für Besoldung und Versorgung einbehalten wird.

Das jetzige Beihilfesystem kann auf Dauer nicht weiterbestehen, wenn die Landesregierung immer weiter Personal abbaut oder nicht dem Bedarf anpasst. Der Arbeitsaufwand des LBVBW steigt, der Anteil der Kranken und Pflegebedürftigen erhöht sich in der gesamten Bevölkerung – die Beamten natürlich eingeschlossen.

Nachdem das jahrzehntelange Lamentieren über die Vorteile der Beamten nicht aufhört, bin ich selbst für die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung, Sozialbeiträge und als Endkonsequenz Grundrente und eigenverantwortliche Altersversorgung. Sollte dies tatsächlich irgendwann in mittelbarer Zukunft von der Bundesregierung beschlossen werden, möchte ich in Ihrer Zeitung kein Gejammer über die Kostenexplosion im öffentlichen Dienst lesen, keine Entrüstung, weil wichtige Behörden vom Personal bestreikt werden, kein Entsetzen, weil die Polizei oder die Feuerwehr nicht kommt. (Thomas Schmitt, Mannheim)

Info: Originalartikel unter http://bit.ly/2olfDEE 

Mehr zum Thema

Leserbrief Kritik unangemessen

Veröffentlicht
Kommentar von
Dr. Bettina Heimberger
Mehr erfahren

Ausbildung Rund 7000 Besucher auf der Sprungbrettmesse

Veröffentlicht
Mehr erfahren