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Eine Szene aus "Durango".

© Splitter

Western-Comics: Go West, young man

Klassiker, Bewährtes, erfrischend Neues und eine wenig bekannte Seite von Hugo Pratt: Western-Comics haben Konjunktur.

Auf einmal erscheinen lauter Western-Comics. Lesern (seltener wohl: Leserinnen), die mit „Comanche“ und „Blueberry“ aufgewachsen sind, dürfen sich also freuen: Es müssen ja, wenn es um Genre-Stories geht, nicht immer nur Science-Fiction, Fantasy, Horror oder Superhelden sein. Dazu ist innerhalb der Western das Angebot breit gestreut: Gesamtausgaben von Klassikern, Bewährtes und Neues, lange nicht mehr Aufgelegtes oder noch nie Übersetztes.

Durango auf den Spuren von Django

Ein besonderer Fall ist die Serie „Durango“. Sie läuft schon seit einer guten Weile, seit 1981. Nach ein paar Jahren der Unterbrechung um die Jahrtausendwende ist sie inzwischen beim 17. Band angelangt. Yves Swolfs, der Texter und Zeichner, ist ein geradezu obsessiver Italowestern-Verehrer, und der einzige Zweck, den er mit „Durango“ unermüdlich verfolgt, besteht darin, dieser Verehrung wieder und wieder Ausdruck zu geben. Die Titelfigur schaut nicht nur Django zum Verwechseln ähnlich, Swolfs zitiert und plagiiert auch hemmungslos Plotlines, Motive und Schlüsselmomente aus den Filmen von Sergio Leone und Sergio Corbucci.

Das Cover des jüngsten "Durango"-Bandes.
Das Cover des jüngsten "Durango"-Bandes.

© Splitter

In „Jessie“, dem aktuellen „Durango“ (Splitter, 48 S., 14,80 €), übernimmt er sogar eine Figur aus „Spiel mir das Lied vom Tod“, den von Henry Fonda verkörperten Bösewicht Frank. Eine Bettszene im Comic ist dann eine Wiederauflage der berühmten von Frank und der von Claudia Cardinale gespielten Jill.

Auf Originalität und Homogenität gibt Swolfs also wenig; das kann man befremdlich finden, es hat aber auch etwas Faszinierendes. Außerdem ist das Szenario sorgfältig gearbeitet; so gibt es gleich zwei interessante Frauenfiguren. Die Zeichnungen hat Swolfs diesmal an den Italiener Giuseppe Ricciardi – Pseudonym: Iko – delegiert, dessen etwas glasschnitthafter Stil den Bildern eine rustikale Anmutung verleiht.

Die Jagd nach dem sadistischen Prediger

Eher schwach ist dagegen die Serie „Lonesome“ (Splitter, 56 S., 15,80 €), bei der Swolfs auch selbst die Zeichnungen übernommen hat. Physiognomisch unterscheidet den neuen Helden kaum etwas von Durango. Allerdings hantiert er nicht mit einer Mauser-Pistole, sondern mit einem Karabiner, und vor allem: Er besitzt übernatürliche Fähigkeiten. Berührt er einen Menschen, kann er in dessen Vergangenheit und Zukunft blicken. Im ersten Band, der 1861 spielt, verfolgt Lonesome den sadistischen Prediger Markham, der, unterstützt von einem Bankier, die Bürger von Kansas mit hetzerischen Reden in Stimmung für einen Krieg mit den Südstaaten bringen will.

Das Cover des ersten "Lonesome"-Albums.
Das Cover des ersten "Lonesome"-Albums.

© Splitter

Mit „Lonesome“ wollte Swolfs offenkundig einmal etwas anderes ausprobieren. Erstmals verankert er einen Western in einem präzise benannten historischen Moment. Zudem erfährt man etwas über die Herkunft und Jugend der Hauptfigur, während Durango, wie die Clint-Eastwood-Gestalt in der „Dollar“-Trilogie, rein im Jetzt existiert. Dass der Comic dennoch nicht recht überzeugen kann, liegt daran, dass sowohl das Historische wie das Phantastische der Handlung diffus bleiben. Im Grunde bietet „Lonesome“ nicht mehr als eine dürftig verkleidete Variation des Musters „Cooler Einzelgänger reitet durch die Gegend und killt jede Menge Bad Guys“.

„Welt, jetzt kannst du etwas erleben“

Meilenweit entfernt von dem bleiernen Ernst, den „Lonesome“ verbreitet, ist „Lincoln“ (Schreiber & Leser, 48 S., 14,95 €). In Frankreich sind von dieser Serie schon neun Bände erschienen; der vorliegende, erste Band stammt aus dem Jahr 2002. Eine späte Entdeckung für den deutschen Markt also – aber eine sehr lohnende. Lincoln, Sohn einer Hure und eines Freiers, wird als 19-Jähriger aus der kleinen Grenzstadt, in der er eine trostlose Kindheit verbracht hat, vertrieben. „Welt, jetzt kannst du etwas erleben“, erklärt er trotzig. Und so geschieht es auch: Lincoln macht allerlei illegalen Unfug; dann jedoch begegnet ihm, als er an einem Fluss mit Dynamit Fische fängt, Gott höchstselbst. Dieser versucht den jungen Mann zum Guten zu bekehren, aber dies erweist sich als recht schwierig.

Das Cover des ersten "Lincoln"-Albums.
Das Cover des ersten "Lincoln"-Albums.

© Schreiber & Leser

Der Comic ist eine Comedy-Version des Billy-the-Kid-Mythos und ein Gegenentwurf zu „Lucky Luke“. Lincoln ist stets schlecht gelaunt, zu jeder Schandtat bereit und dazu noch in der Lage, seine aggressive Stinkstiefeligkeit mit ein paar philosophischen Worten prägnant zu begründen. Was die Qualität betrifft, ist dieser Band den besten Abenteuern des poor lonesome cowboy allerdings sehr ähnlich. Die Dialoge, die Olivier Jouvray schreibt, sind überaus witzig, und in den Zeichnungen seines Bruders Jérôme zeigt sich ein perfekter Sinn für Timing.

Neue Seiten von Hugo Pratt

Mit „La Macumba del Gringo“ und „Jesuit Joe“ finden sich zwei ursprünglich 1977 und 1984 veröffentlichte Alben von Hugo Pratt in dem Buch „Ein Mann, ein Abenteuer“ vereint (Schreiber & Leser, 184 S., 29,80 €). In „Jesuit Joe“ driftet ein weiß-roter „Mischling“, der zufällig an die Uniform eines Mitglieds der Mounted Police gelangt, durch die verschneiten Weiten Kanadas. „La Macumba del Gringo“ führt dagegen in das Sertão, eine karge, wüstenähnliche Gegend im Norden Brasilien, in der vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs Banditen, die man Cangaceiros nannte, ihr Unwesen trieben.

Das Cover von "Ein Mann - ein Abenteuer".
Das Cover von "Ein Mann - ein Abenteuer".

© Schreiber & Leser

Wer bislang nur „Corto Maltese“ gelesen hat, kann in diesen Comics eine neue Seite von Pratt kennenlernen. Schon der Matrose ohne Schiff ist ja ein Anti-Held, aber die Figuren, denen man in diesen Geschichten begegnet, sind noch erheblich gebrochener. Sie sind verlorene, umherirrende Seelen. Zur Gewalt greifen sie keineswegs nur, um sich zu verteidigen. Versöhnung und Erlösung gibt es für sie allenfalls im Tod. Die blaue Western-Blume ist hier tiefschwarz eingefärbt. „Jesuit Joe“ und „La Macumba del Gringo“ sind Werke von essentieller Bedeutung; sie führen nachdrücklich vor, welch einzigartiger Comic-Künstler Hugo Pratt war.

Christoph Haas

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