Krebskranke Frau zeichnet Comic Das Buch, in dem Mama überlebt

Düsseldorf · Bevor sie das Comicbuch für ihre Tochter vollenden konnte, starb die kanadische Künstlerin Geneviève Castrée an Krebs. Nun erscheint „A Bubble“ trotzdem.

 Geneviève Castrée erschien das Leben mit dem Krebs wie eine Blase, die sie daran hinderte, mehr mit ihrer Familie zu unternehmen. Doch immerhin hatte ihre Tochter Zugang.

Geneviève Castrée erschien das Leben mit dem Krebs wie eine Blase, die sie daran hinderte, mehr mit ihrer Familie zu unternehmen. Doch immerhin hatte ihre Tochter Zugang.

Foto: Geneviève Castrée/Phil Elverum

Am Tag, als seine Frau gestorben war, veröffentlichte der amerikanische Musiker Phil Elverum eine Nachricht im Internet: „So vieles hat sie nicht vollenden können. Sie war eine Quelle großartiger Ideen, die niemals versiegte.“ Doch was die Künstlerin Geneviève Castrée im Juli 2016 nicht zu Ende bringen konnte, taten andere für sie. In diesen Tagen erscheint „A Bubble“, ein Comicbuch für ihre Tochter, das sie zu einer Zeit begann, als sie sich mit dem Tod noch nicht abgefunden hatte. Das Buch für ihre Zukunft, in der all das Schlimme verschwunden sein würde, sagt Elverum. „Sie dachte zu hundert Prozent positiv, aber als der Tod näherkam, muss sie ihn auf irgendeine Art anerkannt haben, vielleicht erst in den letzten Momenten.“

Geneviève und Phil, das waren zwei, die sofort zusammenpassten. Sie, die verschrobene kanadische Comiczeichnerin, er, der introvertierte Singer/Songwriter aus der Provinz des Bundestaates Washington, der mit seinen Projekten The Microphones und Mount Eerie zu einigem Ruhm in der Szene kam. Die Kunst stand für beide über dem Erfolg. Sie heirateten 2004, auf Facebook postete Elverum einige Fotos aus dieser Zeit. Sie müssen sehr glücklich gewesen sein.

Vor drei Jahren bringt Geneviève ein Mädchen zur Welt, Agathe. Ein paar Monate danach geht sie zu einer Routineuntersuchung, sie hat ein paar Bauchschmerzen. Ein Arzt diagnostiziert Bauchspeicheldrüsenkrebs, nicht operabel. Castrée beginnt eine Chemotherapie. Die verändert sie, nicht nur äußerlich. Sie hat das Gefühl, dass sich der Krebs zwischen sie und ihre Familie geschoben hat, so sehr ist sie damit beschäftigt, ihn zu besiegen. In ihren letzten Monaten kann sie nicht mal mehr das Haus verlassen, ja manchmal nicht mal nach unten kommen und mit ihrer Tochter spielen, weil sie an einem Sauerstoffgerät hängt.

Diesen Zustand verarbeitet sie in einem Comicbuch, das ihrer Tochter in ein paar Jahren klar machen soll, dass sie Agathe auch in dieser Zeit geliebt hat, dass sie bloß sehr mit der Krankheit zu tun hatte. Sie erzählt ihre eigene Geschichte, eine Mutter, die in einer Blase lebt, die den Krebs symbolisiert, die vorübergehende Distanz zu ihren Liebsten. Sie hält sie davon ab, mit ihrer Tochter und ihrem Mann nach draußen zu gehen, Dinge zu unternehmen. „Geneviève sah die Blase als nötig, aber nur vorübergehend“, sagt Elverum, „sie ging davon aus, dass diese eines Tages platzen und sie zu uns zurückkehren würde.“ Mit diesem Happy End schließt auch das Buch. Doch schon vorher kann die Tochter zu ihr in die Blase, ist den Zeichnungen zu entnehmen. Sie essen zusammen und zeichnen zusammen. Obwohl sie schwer krank ist, zeichnet Castrée sehr detailreich, gerade die Muster der Kleidung, die ihre Tochter trägt. Nichts soll fehlen. Sie spricht mit ihrem Verlag, der die Geschichte veröffentlichen möchte.

Doch sie stirbt, bevor sie das Buch beenden kann. Einige Stellen sind noch nicht ausgemalt, vor allem aber fehlt die Blase, in der sie lebt. Das, was sie von ihrer Familie abhielt, hat sie bis zum Schluss nicht gezeichnet, bloß ein paar Skizzen. Elverum überlegt, ob es nicht einfach unvollendet erscheinen soll, aber er möchte, dass man es als Buch sieht, nicht als Hinterlassenschaft einer zu früh verstorbenen Künstlerin. Er will, dass die Arbeit seiner Frau noch viel mehr Leute erreicht. Ein Freund der beiden ist Comiczeichner. Sie haben Anders Nilsen kennengelernt, als der einen Comic veröffentlichte, mit dem er den Krebstod seiner eigenen Frau verarbeitet.

Nun vollendet er das Buch einer Frau, die ebenfalls an Krebs gestorben ist. Er macht noch einige Striche am Computer, er schreibt die Sätze auf die Seiten, die Castrée bereits anderswo notiert hatte, und vor allem zeichnet er die Blase. Das bringt Erinnerungen zurück, „aber wirklich hart an der Arbeit war, dass ich sah, wie unfair ihr Leben endete. Zugleich konnte ich aber noch ein wenig mehr Zeit mit ihr und ihrem großen Talent verbringen“, sagt Nilsen. Ehemann Elverum verarbeitet Trauer und Schmerz auch mit seiner eigenen Kunst, er veröffentlicht zwei Alben, die sich mit dem Tod seiner Frau beschäftigen.

Geneviève Castrées Tochter Agathe ist mittlerweile drei Jahre alt. Sie hat das Buch, das sie noch nicht lesen kann, sehr häufig gesehen. Sie hat mitbekommen, wie ihr Vater und Nilsen daran arbeiteten. Elverum hat mit ihr über das Buch gesprochen. Sie mag es, sich und ihre Mama auf den Bildern zu sehen, erzählt ihr Vater. Aber sie ist eben auch noch ein Kind. „Eine große Sache ist es nicht für sie.“

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