vonMario Zehe 07.08.2018

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Mitte der siebziger Jahre erschien in der Marvel-Reihe CAPTAIN AMERICA AND THE FALCON eine sich über acht Hefte erstreckende Geschichte, in welcher das wohl bekannteste Mitglied der AVENGERS einer verschwörerischen Geheimorganisation auf die Schliche kommt. Diese trägt den klingenden Namen ›Secret Empire‹, welcher denn auch zugleich Programm ist: Die engsten Mitarbeiter des Präsidenten der Vereinigten Staaten planen nämlich einen Staatsstreich, und ziemlich wahrscheinlich ist der Präsident selbst in das Komplott involviert. Jedoch entzieht dieser nach der Aufdeckung der Umsturzpläne durch seinen Suizid einer weiteren Aufklärung den Boden und sich selbst der Verantwortung. Völlig konsterniert hängt Steve Rogers alias Captain America daraufhin sein Superheldenkostüm, das immerhin die Farben der US-amerikanischen Flagge trägt, für einige Zeit an den Nagel und kämpft anstatt als oberster Patriot nun als Outlaw für die gute Sache.

Dieses zeitweilige Ende des Captain America sorgte damals für einiges Aufsehen, enthielt doch das Sujet einen mehr oder weniger kryptischen Verweis auf jenes politische Beben, welches die Vereinigten Staaten zu dieser Zeit tatsächlich heimsuchte und das Vertrauen der amerikanischen Bürger in die politischen Institutionen der Republik nachhaltig erschütterte. Zweifellos verarbeitete und interpretierte Comicautor Steve Englehart mit dem von ihm entworfenen Szenario die Abgründe des Politischen, wie sie sich im Zuge der sogenannten ›Watergate-Affäre‹ im Jahre 1974 für alle sichtbar aufgetan haben. Niemals war bis dato die innenpolitische Bezugnahme in einem Superheldencomic so pointiert und parteiisch ausgefallen.

Etwa vierzig Jahre später tritt nun Comicautor Nick Spencer in die Fußstapfen Engleharts. Schon der Name des von ihm entwickelten Mega-Crossovers, in dem sich wiederum alles um Captain America dreht, erweist sich offensichtlich als Reminiszenz: SECRET EMPIRE heißt die Serie, in der sich alte und neue Held*innen des Verlagshauses Marvel versammeln, um sich gemeinsam einer ultimativen Bedrohung entgegenzustellen. Die hierbei zugedachte Rollenverteilung, insbesondere die Frage der Verkörperung des Bösen, macht die in sechs Heften abgeschlossene Miniserie (erschienen von Februar bis Juni 2018) jedenfalls interessant. Darüber hinaus erweist sie sich als bissiger und kämpferischer Kommentar zu den aktuellen politischen Entwicklungen und Kapriolen in den Vereinigten Staaten, wie gleich noch zu sehen sein wird.

Gleich zu Beginn der Geschichte wartet der Autor mit einer Explosion auf, wie sie selbst im Metier der Superheldencomics wohl unvergleichlich ist: Captain America, der einst als oberster Nazi-Jäger in den Comickosmos eingeführt wurde und seinen ersten Auftritt im Jahre 1941 damit krönte, niemanden geringeren als Adolf Hitler persönlich mit einem fulminanten Kinnhaken niederzustrecken, arbeitet seit längerer Zeit als Doppelagent daran, die faschistische Geheimorganisation Hydra den Weg zur Macht zu bahnen. Wer sich mit der Problematik dieser radikalen Umschreibung einer Superheldenidentität auseinandersetzen möchte, kann sich die ebenfalls von Nick Spencer verantwortete Reihe CAPTAIN AMERICA: STEVE ROGERS (2017/18) vornehmen und einer schonungslosen Plausibilitätsprüfung unterziehen. Oder aber man lässt es bleiben und nimmt den ›Fakt‹ einfach zur Kenntnis, dass Steve Rogers ein übler Fascho geworden ist oder eben schon immer war. (Kritiker der Serie haben das angesichts dessen Hyper-Patriotismus übrigens schon längst vermutet.)

© 2018 Marvel

Der geeignete Moment der Machtergreifung ist bekanntlich immer der, in welchem sich die Welt sowieso schon in völliger Unordnung befindet. Rogers nutzt den (provozierten) Angriff einer Invasionsflotte außerirdischer Cyborgs (›Chitauri‹), um sich den Oberbefehl der Armee sowie aller Sicherheitsbehörden des Landes übergeben zu lassen. Und nun schlägt er erbarmungslos zu: Mit einem undurchdringlichen Kraftschild sichert er nicht nur den Planeten Erde vor den kriegerischen Chitauri, sondern sperrt damit auch die zahlreichen Superheld*innen aus, die gerade noch einen epischen Kampf gegen die außerirdischen Invasoren kämpften und natürlich der Verwirklichung seiner geheimen Absichten so einiges entgegenzusetzen hätten. In New York – im Marvel-Universum so etwas wie die heimliche Hauptstadt der Superheld*innen – werden weitere auf der Erde verbliebene ›Übermenschen‹ mittels eines weiteren Kraftfeldes in Schach gehalten.

Die Übernahme der Regierungsgewalt durch Hydra gerät angesichts dieses totalen Sieges gegen den äußeren Feind und der Ausschaltung potentieller innere Gegenspieler zur reinen Formsache. Die Antagonisten des alten Captain America – Helmut Zemo, Arnim Zola, Dr. Faustus und Madame Hydra – sind nun wiederum Teil des engsten Führungsgremiums um Steve Rogers und setzen Schritt für Schritt die Hydra-Ideologie in die Tat um. Homogenität und Stärke sind von nun an die absoluten Maßstäbe politischen Handelns, und daher gelten nun Inhumans als Illegale und werden in riesige Lager gesperrt, Mutanten ziehen sich mehr oder weniger freiwillig in ein Quasi-Reservat zurück, das sie Republik New Tian nennen, Andersdenkende und Oppositionelle werden verfolgt, eingesperrt und nicht selten auch exekutiert.

© 2018 Marvel

Diese Mischung aus Rassismus, Gewalt, Aus- wie Einsperrung von Andersdenkenden und weiteren Formen der Verabschiedung rechtsstaatlicher Prinzipien und liberaler Grundwerte legt den Gedanken mehr als nahe, SECRET EMPIRE als erzählerischen Kommentar auf den Aufstieg des Rechtspopulismus in den Vereinigten Staaten zu lesen, der im Amtsantritt Donald Trumps im Jahre 2017 seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Kritisch wäre dann zu fragen, wie zulässig die Gleichsetzung von Faschismus und rechtspopulistischem ›Trumpismus‹ eigentlich ist. Lässt sich Donald Trump wirklich als Faschist bezeichnen? Comicautor Nick Spencer zieht – das zeigen die zahlreichen Anspielungen innerhalb der Serie – sehr wohl Parallelen und liegt damit auf einer Linie mit dem in New York lehrenden Historiker Federico Finchelstein. Dieser argumentiert, dass zumindest die rechtsautoritären Spielarten des Populismus in in Amerika wie auch in Europa sich zunehmend »faschistischen und rassistischen Ansichten der Vergangenheit« zuwenden und liberal-demokratische Prinzipien wie Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit massiv angreifen. Selbst dort, wo Rechtspopulisten mehr Populisten als Faschisten sind, bereiten sie einer längst beerdigt geglaubten Ideologie durch Agenda-Setting und Verrohung des politischen Diskurses zunehmend den Boden. Das ist auch als Mahnung zu verstehen, den Faschismusbegriff in der aktuellen Populismusdiskussion nicht vorschnell aufzugeben.

Mit den in Superheld*innencomics üblichen Mitteln der Hypertrophierung werden uns in SECRET EMPIRE diese Parallelen also mehr als deutlich nahegelegt. Einmal mehr erweisen sich Comics so als Vergrößerungsgläser für politische und soziale Konflikte unserer Zeit. Als der Schriftsteller Philip Roth bereits vor einigen Jahren das Szenario einer faschistischen Machtübernahme literarisch umsetzte, sprach die Literaturrezensentin der NEW YORK TIMES interessanterweise von einer ›comicartigen‹ Überzeichnung im Gesellschaftsbild Roths, was sie eher negativ aufzufassen schien. Ich finde hingegen, man sollte das comictypische Changieren zwischen Fakt und Fiktion, zwischen geerdetem Wirklichkeitssinn und fantastischer Überhöhung zu schätzen wissen. Denn darin liegt einiges Potential, auf Dinge hinzuweisen, die zwar schwer durch Zeit und Raum wabern, aber kaum (be-)greifbar erscheinen und/oder man kaum auszusprechen wagt. In der hier besprochenen Miniserie tragen neben der narrativen Konstruktion insbesondere die stark atmosphärisch, (alb-)traumhaft gehaltenen Zeichnungen Andrea Sorrentinos dazu bei, dieses reflexive Potential des Comic abzurufen. Die übrigen Zeichner der Serie – Daniel Acuna, Steve McNiven, Rod Reis u.a. –  liefern zwar auch ganz ordentlich ab, aber die Expressivität und Kreativität Sorrentinos erreichen sie keinesfalls. Am ehesten gefällt noch die von Rod Reis malerisch ausgestaltete Handlungslinie, in welcher das verdrängte (gute) Unbewusste Steve Rogers langsam an die Oberfläche strebt.

© 2018 Marvel (Andrea Sorrentino)

Natürlich gilt auch in SECRET EMPIRE die altbekannte Weisheit aus dem Kosmos der Superheld*innen, dass wo Gefahr droht, stets bereits das Rettende wächst. Eine hervorgehobene Rolle im Widerstand gegen das Hydra-Regime spielt dabei Sam Wilson, der einst als THE FALCON an der Seite Steve Rogers agierte und sich nun gegen seinen alten Freund stellen muss. Bevor er sich aber dem Drängen der verbliebenen Avangers ergibt, sich am gewaltsamen Widerstand zu beteiligen, engagiert er sich übrigens als Fluchthelfer an der kanadischen Grenze für die Verfolgten und Ausgegrenzten des Regimes. Die Konfrontation zwischen Sam Wilson, dem man of colour, und Steve Rogers, dem – wenn man so will – angry white man spitzt sogleich die Frage zu, ob und (wenn ja) welche Vigilant*innen wir heute eigentlich brauchen. Im Verlagshause Marvel, wo die Serie erschienen ist, wird derzeit kräftig umstrukturiert. Alte Held*innen werden durch neue ersetzt, nichtzuletzt um dem gesellschaftlichen Wandel sowohl in puncto Mentalität als auch (ethnischer, geschlechtlicher, sexueller) Identität ausreichend Rechnung zu tragen. Captain America bleibt davon nicht unberührt, auch wenn sich diesmal Steve Rogers nicht freiwillig von Schild und Kostüm trennen wird.

 

Nick Spencer (Autor), Andrea Sorrentino, Rod Reis, Steve McNiven, Daniel Acuna, Leinil Francis YU (Zeichner): SECRET EMPIRE # 1-6, Marvel/Panini Comics 2018. Übersetzung aus dem Englischen: Michael Strittmatter. 5,99 € (je Heft). Ein Sammelband ist für das Frühjahr 2019 geplant.

 

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