Jeder Wiesbadener sein eigener Verkehrspolizist?...

Künftig könnten die Wiesbadener zu Verkehrspolizisten werden und mit der Knöllchen-App Falschparker beim Ordnungsamt melden. Foto: René Vigneron
© René Vigneron

Im Stadtparlament befürwortet eine breite Mehrheit, die Wiesbadener Bürger zur Mitarbeit bei der Verkehrsüberwachung heranzuziehen und die Möglichkeit zu Online-Anzeigen zu...

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WIESBADEN. Jeder Wiesbadener sein eigener Verkehrspolizist? Bald könnte es soweit sein. Für die sogenannte Knöllchen-App, mit der Bürger per Smartphone Verkehrsverstöße direkt der Ordnungsbehörde melden können, zeichnet sich im Stadtparlament eine deutliche Mehrheit ab.

Sogar die Fraktion von Linken und Piraten haben in den Ausschüssen zugestimmt. Ihnen war nur wichtig, dass es in der hessischen Landeshauptstadt nicht, wie von der AfD beantragt, zu einer „Mobile App“ zum Ordnungsamt kommt, wie es sie in Berlin gibt. Die geht weit über die Beobachtung des ruhenden Verkehrs hinaus. Dort können auch andere Verstöße wie etwa Lärmbelästigungen durch Nachbarn gemeldet werden. Diese „Blockwart-App“, wie sie der Linke Ingo von Seemen bissig nennt, ist vom Tisch. „Restlos begeistert sind wir nicht. Aber der AfD-Antrag mit der Denunzianten-App ist abgeräumt. Und mit der Knöllchen-App können wir leben.“

Von Seemen ärgert sich als Westend-Bewohner täglich über Behinderungen durch Falschparker. Und der Grüne Verkehrsdezernent Andreas Kowol gesteht, dass er selbst schon zu seinem Smartphone gegriffen hat, um Fahrzeuge, die die Busspur oder Fahrradwege blockierten, zu fotografieren: „Ich habe sie nicht zur Anzeige gebracht“, sagt er. Aber er hofft, dass es eine Wirkung bei den Autofahrern hat, wenn sie sehen, dass ihre Vergehen zur Kenntnis genommen werden. Die App müsse nicht als Instrument eines Überwachungsstaats charakterisiert werden, sondern sei vielmehr so etwas wie ein modernes Mittel gesellschaftlicher Selbstheilung: „Soziale Kontrolle 2.0“.

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Kooperation mit Online-Portal

Die „Wegeheld-App“, ein Online-Portal, das sich Kommunen als Kooperationspartner zur Verfügung stellt, wurde vom früheren Greenpeace-Funktionär Heinrich Stößenröther initiiert. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker und passionierte Radfahrer, der sich bei der „Zeit“ den Titel „Verkehrsrebell im schwarzen Anzug“ verdient hat, ist auch der Geschäftsführer der Betreiberfirma. In Mönchengladbach zeigen sich die Verantwortlichen zufrieden mit „Wegeheld“. Im Schnitt 130 Anzeigen gehen in der 260.000-Einwohner-Stadt jeden Monat über die App ein, die ursprünglich den Namen „Straßensheriff“ trug.

In Wiesbaden prüft das Verkehrsdezernat, ob Datenschutzbestimmungen und Persönlichkeitsrechte tangiert werden, und holt auch Einschätzungen ein, wie es um die rechtliche Verwertbarkeit solcher Anzeigen bestellt ist. Bernd Wittkowski, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Rathaus, promovierter Jurist und Verwaltungsrichter, hat bereits Gesetzeskommentare und Urteile zum Thema studiert. Er kommt persönlich zu dem Ergebnis, dass Persönlichkeitsrechte nur dann verletzt werden könnten, wenn der Anzeigende das Foto eines Falschparkers, zumal wenn der Fahrer selbst auf dem Bild zu erkennen ist, parallel auch ins Internet stellt, etwa bei Facebook. „Ich selbst habe da keine Bedenken.“

Keine anonymen Anzeigen

So sieht es auch der Rechtsschutzversicherer Advocard: „Anzeigen per App sind grundsätzlich rechtlich zulässig“, heißt es, um aber einzuschränken, dass es sich „streng genommen nicht um eine Anzeige, sondern lediglich um eine Meldung an die zuständige Behörde handelt“. Der Deutsche Anwalt-Verein bezeichnet die „Meldung“ als „Hinweis ans Ordnungsamt“ und warnt nur Nutzer, die das Foto veröffentlichen, „Kennzeichen und Personen unkenntlich zu machen“.

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Bernd Wittkowski hält einen Passus in dem von SPD und CDU eingebrachten Antrag für besonders wichtig: „Es sollte sichergestellt sein, dass die App-Nutzer keine anonymen Anzeigen abgeben können.“ Kowol legt sich fest: „Anonym machen wir das schon mal gar nicht.“ Auch das würde die Wiesbadener App von der Berliner Version unterscheiden, die eine anonyme Meldung ausdrücklich vorsieht.

Dauernörgler sollen sich zurückhalten

Für Wittkowski ist die Angabe von Namen und Kontaktdaten auch deswegen unerlässlich, um die Sanktionen rechtssicher zu machen. „Kommt es zu einem Widerspruch, muss derjenige, der die Ordnungswidrigkeit gemeldet hat, eben auch als Zeuge zur Verfügung stehen.“ Der Stadtverordnete geht auch davon aus, dass auf diese Weise gleichzeitig die Gefahr eines reinen Denunziantentums eingedämmt wird und sich auch die bekannten Dauernörgler eher zurückhalten.

Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hat inzwischen schon geklärt, ob eine Ordnungsbehörde gezwungen ist, all diesen Hinweisen nachzugehen. In dem behandelten Fall hatte ein einziger selbst ernannter Ordnungshüter mehr als 10.000 Falschparker gemeldet. Der Frührentner, der im Harz als „Knöllchen-Horst“ bekannt ist, unterlag. Das Gericht bescheinigte ihm, dass er einer „denunziatorischen Tätigkeit nachgehe“.