Rechte und Linke in trauriger Einfalt

Die Parolen der AfD sind kein Fall für einen nutzlosen "Verfassungsschutz", der einst die Linke unter Verdacht hatte. Vielmehr sollten sie zu einer politischen Debatte führen.
Jetzt ist es amtlich: Das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz hat die gesamte AfD zum „Prüffall“ und Teile wie den Höcke-„Flügel“ und die Jugendorganisation zum „Verdachtsfall“ erklärt. Damit werden die „verfassungsfeindlichen“ Parolen der Partei an der Elle der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ gemessen – jener seltsamen Zivilreligion der Bundesrepublik, die stets dann beschworen wird, wenn die herrschende Mehrheit in Ausgrenzungsrituale flüchtet, statt die politische Debatte zu führen.
In der Geschichte der Bonner Republik stand die Linke unter Dauerverdacht, zuletzt hat sich das Augenmerk auf Rechtsaußen verlegt – als machte das die Methoden besser oder die etablierte Extremismus-Doktrin überzeugender. Auch wer einst den ganzen Laden zum Teufel wünschte wie der linke Verfassungsschutzkritiker Christoph Butterwegge, argumentierte zuletzt, die AfD müsste wegen ihres erstarkenden völkisch-nationalistischen Flügels „längst ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sein“ (FR-Interview v. 24. Oktober 2018).
Demokraten sollte jedoch zu denken geben, dass im Zentrum des Verdachts anstößige Meinungsäußerungen stehen und „Bestrebungen“ wider den Geist der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ inkriminiert werden. Das hat schon beim in Karlsruhe fehlgeschlagenen Unternehmen NPD-Verbot zu nichts geführt.
Die AfD steht unter Beobachtung
Leider lieferte auch der Thüringer Verfassungsschutz einschlägige Zitate nach Köln. Dabei war der neue Chef des Amtes, Stephan Kramer, mit dem Vorsatz angetreten, es dürfe keine „Gedankenpolizei“ geben. Auf die Frage nach einer Beobachtung der AfD erklärte er uns im Interview: „Was sollen wir denn noch ans Licht bringen bei dieser Partei? Ihre Methoden und Ziele sind doch nun wirklich für jeden, der es sehen will, durchschaubar.“ (FR v. 18. Juni 2016).
Die inkriminierten Meinungsdelikte heißen Stimmungsmache und Provokation und hören sich so an: rechtsradikale „Rhetorik“, anstößige „Wortwahl“, verdächtige „Thesen“, „zunehmender rechtsextremistischer Sprachgebrauch“, „zweideutige Äußerungen“ zur Vergangenheitsbewältigung, „Infragestellen“ von Teilen des Grundgesetzes, „Parolen“ gegen das „Establishment“ und Halluzinationen wie „neue friedliche Revolution“ oder „Systemsturz“ – in einem Wort: „Gedankengut“. Der Rest erschöpft sich im Vorwurf der Kontaktschuld (ein bewährtes Institut der Kommunistenverfolgung aus den fünfziger Jahren); es kann ja nicht ausbleiben, dass gewisse verdächtige Rechte mit noch verdächtigeren Rechten irgendwie in Verbindung treten.
Druck von rechts wird erhöht
Die beste Lebensversicherung für diesen Inlandsgeheimdienst ist das hierzulande grassierende instrumentelle Verhältnis zur „Freiheit der Andersdenkenden“. Kaum jemand kann es lassen, sich an dem landesüblichen Ausgrenzungssport zu beteiligen: nämlich den innenpolitischen Gegner, sobald er die Zone der gemäßigten Kritik verlässt, zum dringenden Fall für den Verfassungsschutz zu erklären. So arbeiten Rechte und Linke in trauriger Einfalt an der innerstaatlichen Feinderklärung – gute Aussichten für den Verfassungsschutz! Doch im demokratischen Verfassungsstaat ist es nicht angemessen, einen Geheimdienst gegen politisch anstößige Parteiziele in Stellung zu bringen.
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Wir wissen auch: Der Druck wächst, „etwas zu tun“ – soll man etwa tatenlos zusehen, wie die AfD Wahl um Wahl gewinnt und den Druck von rechts erhöht? Im Mai stehen Europa-, im Herbst ostdeutsche Landtagswahlen an – ein Schelm, wer da Böses glaubt. Doch wer heute den Verfassungsschutz gegen die AfD instrumentalisieren will, möge einen Augenblick innehalten und über die Erfahrung nachdenken, die Ende der achtziger Jahre mit Schönhubers Republikanern gemacht wurde. Es war nicht etwa die „Aufklärung“ der Ämter, es waren die Wählerinnen und Wähler, die dieser Partei das verdiente Ende bescherten.
Wem das nicht genügt, der entsinne sich an die jahrelange, fruchtlose Debatte um die Beobachtung von Teilen der PDS/Linkspartei. Nicht zu vergessen die bizarren Verbotsforderungen gegen die Grün-Alternativen, da diese noch als „junge Wilde“ auftraten. Beide Parteien haben sich in Sachen bürgerliche Demokratie – erfreulich! – moderiert und normalisiert. So geht das mit dem „Marsch durch die Institutionen“, er verändert eben auch die Marschierer. Auch manche AfDler mögen sich im Laufe der Zeit durch die Teilnahme am parlamentarischen Prozess verbürgerlichen; der „harte Kern“ aber wird kaum abgeschreckt, wenn nun der Verfassungsschutz prüft, beobachtet und am Ende überwacht. Im Gegenteil, man wird sich gern zum Opfer stilisieren und noch stärker radikalisieren.
Die Demokratie ist gefährdet
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir teilen die Sorge, dass der „Rechtspopulismus“ (das ist: der völkisch-autoritäre Nationalismus) für die Demokratie politisch sehr gefährlich werden kann (erst recht an der Regierungsmacht). Doch die Delegation einer inhaltlichen Kontroverse an einen Geheimdienst ist Gift für die politische Freiheit aller und bleibt ein deutsches Kuriosum. Demokraten müssen strikt unterscheiden zwischen anstößigen, schädlichen, kurz: zu bekämpfenden Ansichten einerseits und dem unverbrüchlichen Recht des politischen Gegners andererseits, diese Ansichten frei äußern zu dürfen.
Der Marktplatz der Ideen, der „free flow of discussion“, darf nicht unter geheimdienstliche Aufsicht gestellt werden. Wer die Meinungsfreiheit einzelner zur Disposition stellt, verletzt die Freiheit aller. Anstatt legale „Extremisten“ von einer Behörde prüfen zu lassen, sollte man die eigene Urteilskraft schärfen und den politischen Kampf mit ihnen führen, also energisch und kreativ dagegenhalten. Ob es einem gefällt oder nicht: Eine Gesellschaft ohne „Extremisten“ und Radikale, Dissidenten und sonstige Querköpfe ist ebenso wenig denkbar wie eine Gesellschaft ohne Kriminalität. Es gibt viele Arten, die Verfassung zu schützen; keine davon braucht Ämter für Verfassungsschutz.
Claus Leggewie, Jahrgang 1950, ist Politikwissenschaftler an der Universität Gießen.
Horst Meier, Jahrgang 1954, lebt als Autor und Jurist in Kassel.
Ihr gemeinsames Buch „Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik“, 2012 herausgekommen, erscheint Mitte März in 2. Auflage im Berliner Hirnkost Verlag, 182 S., 12 Euro.