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"Spirou in Berlin": Klebchen und Kleinwitz

Foto: Flix/ Carlsen

"Spirou" von Flix Wie eine Comic-Legende nach Ost-Berlin kam

"Spirou in Berlin" ist der erste Band des Comic-Klassikers, den ein Künstler aus Deutschland verantworten durfte. Eine Ehre für den Berliner Cartoonisten Flix, aber auch eine große Herausforderung.

"Komm, die machen wir mal auf!" Im kleinen Flur seines Ateliers im Berliner Stadtteil Pankow schlitzt Felix Görmann einen großen Karton auf. Es sind noch nicht die fertigen Musterexemplare seiner bisher größten und schwierigsten Arbeit, aber es sind schon mal die Pappaufsteller für den Buchhandel. "Wahnsinn", trötet es aus aufgedruckten Sprechblasen, "Die Sensation!" Plakative Sprache ist im Geschäft mit Cartoons die Norm, aber hier ist die Atemlosigkeit gerechtfertigt: Görmann, bekannt unter dem Namen Flix, ist der erste Deutsche, dem es erlaubt wurde, eine Geschichte für einen frankobelgischen Comic-Klassiker zu schreiben und zu zeichnen. Soeben ist sein Sonderband "Spirou in Berlin" erschienen.

Der detektivische Hotelpage Spirou, sein draufgängerischer Reporterfreund Fantasio, das Eichhörnchen Pips und der pilzverrückte Graf von Rummelsdorf - das sind Comic-Figuren, die nicht nur jedes Kind, sondern wohl auch jeder Erwachsene kennt. Populärer als "Spirou" sind höchstens "Asterix", "Tim & Struppi" und "Lucky Luke". Sie alle repräsentieren den Heiligen Gral der europäischen Comic-Kunst - und werden in ihrer Heimat entsprechend behütet wie ein Schatz.

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"Spirou in Berlin": Klebchen und Kleinwitz

Foto: Flix/ Carlsen

Trotzdem gelang es dem Carlsen Verlag, der die inzwischen mehr als 50 Spirou-Bände in Deutschland herausbringt, den belgischen Gralshütern von Dupuis die Idee einer in Berlin spielenden Story schmackhaft zu machen - gezeichnet von einem heimischen Talent. Das war vor drei Jahren, erzählt Görmann, neben dessen Schreibtisch sich ein sehr hoher Stapel von "Spirou"-Alben türmt. Die Comic-Szene in Deutschland ist sehr überschaubar. Wer kann eine gute Geschichte erzählen, wer hat den richtigen Humor?

Carlsens Wahl fiel schnell auf den 41-jährigen Flix, der seit seinem 2003 veröffentlichten Debüt "Held" zu einem der beliebtesten, vielseitigsten und lustigsten Comic-Künstler des Landes geworden ist. Zu seinen bekanntesten Werken gehört der ehemals im "Tagesspiegel" veröffentlichte Strip "Schöne Töchter" sowie seine Neuinterpretation von Goethes "Faust". Aktuell veröffentlicht er die Cartoons "Glückskind" in der "FAZ" und den Kinder-Comic "Ferdinand" in Dein SPIEGEL.

Schön und gut. Aber Spirou? "Zeichnerisch habe ich gedacht: Das kann ich nicht", sagt Flix, der sich zunächst nur als Autor für die Klassiker-Lizenzierung sah. Dann aber stellte er fest, dass zu der Geschichte, die er sich ausgedacht hatte, auch Bilder im Kopf entstanden. Angesichts seiner, wie er meint, immer etwas chaotischen Work-in-Progress-Arbeitsweise war klar: "Das konnte ich keinem Zeichner zumuten, das konnte ich nur mir selber zumuten."

Pfeffi-Bonbons und Kartoffelstampf

Ob man das aber auch Dupuis zumuten konnte, wo das Magazin "Spirou" seit 1938 erscheint, war nicht ganz so klar. Erste Entwürfe kamen in der belgischen Zentrale nicht gut an. Jeder einzelne Arbeitsschritt wurde bis zum Ende der einjährigen Arbeit an dem Band von Dupuis akribisch überprüft und abgenommen. "Das ist deren Job", sagt Flix, "sobald da etwas passiert, was ihrer Marke schaden könnte, müssen sie die Notbremse ziehen". Beruhigt sei er dennoch gewesen, als ihm der aktuelle Spirou-Zeichner Yoann, ein Franzose, erzählt habe, dass auch bei ihm alles streng kontrolliert werde.

Flix glaubt, ganz bescheiden, er habe die Belgier vor allem mit Hartnäckigkeit überzeugt. Tatsächlich erzählt er in "Spirou in Berlin" aber eine hinreißende und rasante Geschichte über die Zeit vor dem Mauerfall in Berlin, die nicht nur toll aussieht, sondern auch den oft überbordenden Fantasy-Spaß des Originals mit historischer Akkuratesse und einer humanistischen Botschaft verknüpft.

Die Geschichte beginnt, als der Graf von Rummelsdorf Ende der Achtzigerjahre eine Einladung zu einem Pilz-Kongress in Ost-Berlin erhält und kurz darauf verschwindet. Spirou und Fantasio machen sich also auf in die Hauptstadt der DDR und bekommen es alsbald mit dem Stasi-Major Kleinwitz zu tun, aber auch mit der taffen Hippie-Aktivistin Momo, die die beiden Belgier auf die Spuren einer grotesken Verschwörung - und eines alten Bekannten lenkt. Das Palast-Hotel erstrahlt in neuem Comic-Glanz, Pfeffi-Bonbons und Kartoffelstampf spielen tragende Rollen. Nur das Marsupilami fehlt, aber dafür gibt es eine hilfreiche Affenbande, deren Schlachtruf "A-huga-haga-hu" ist. Fast so gut wie "Huba!" Das Marsupilami spielt nämlich bei Flix leider nicht mit.

Bloß keine Zeitgeist-Geschichte!

Die größte Herausforderung sei gar nicht so sehr der Respekt vor den Figuren oder Zeichner-Legenden wie Jije, Franquin und Fournier, sagt der aus Münster stammende Görmann, der seinem Spirou eine typische Flix-Nase verpasste, sondern vielmehr den Ost-Berliner Look sowie die Lebenswirklichkeit und den Sound der DDR hinzukriegen. Die meisten Schwierigkeiten bereitete ihm das Treppenhaus des Fernsehturms am Alexanderplatz, das sich auf dem Papier so gar nicht in eine Verfolgungsjagd fügen wollte.

Trotz solcher Kniffligkeiten wollte Flix keine Geschichte erzählen, die im heutigen Berlin spielt. "Da gibt es zu wenig Charakteristisches, man wäre dann irgendwann beim BER gelandet oder bei Gentrifizierung und Leihfahrrädern - all das ist in fünf Jahren entweder vergessen oder nicht mehr lustig", sagt er. Was nicht bedeutet, dass es keine gegenwärtige Dimension in seinem "Spirou"-Band gibt. "Der Mauerfall ist ein europäisches Thema. Das hat Europa verändert, und nicht zum Schlechteren, das dürfen wir nicht vergessen."

"Ich brauche Hoffnung"

Wenn sich in seinem Comic die ortsfremden Belgier mit der Ost-Berliner Dissidentin Momo zusammentun, die gerne mit "Klebchen"-Bomben hantiert - und sie letztlich dazu motivieren, eine weniger militante Lösung zu finden, zieht Flix aus seiner historischen Story eine Verbindung zur aktuellen politischen Debatte über Spaltung und Verrohung: "Dass es gut ist, Dinge miteinander zu machen, den Horizont zu öffnen. Dass hat etwas mit Menschlichkeit und Friedlichkeit zu tun." Zynismus, sagt er, sei für ihn keine Lebenshaltung: "Ich brauche Hoffnung und das Gefühl, dass das, was wir tun, einen Sinn hat."

Für diese "Möglichkeit einer guten Zukunft", die so gar nicht dem aktuellen Zeitgeist entspricht, bietet die stets nach dem Guten strebende Heldenfigur Spirou eine ideale Projektionsfläche. "Wir sind ein Volk" steht dann auch am Ende seines Comics, historisch korrekt, auf einem Demonstrations-Plakat. Das sei der Wunsch gewesen, der sich im Protest der DDR-Bürger ausgedrückt habe zu jener Zeit, meint Görmann: "Wir sind ein Europa, wie gehören zusammen. Wir sitzen zusammen auf diesem Kontinent, und verdammt, wir müssen es zusammen hinkriegen!"

Flix selbst nimmt mit seinem "Spirou"-Abenteuer den ersten, großen Schritt in eine internationale Karriere, die ihm auch künstlerisch neue Regionen eröffnen kann. Die Belgier seien am Ende begeistert gewesen von seinem Comic, ob und wann er auch in Frankreich erscheinen wird, steht jedoch noch nicht fest. Aber wenn, sieht Görmann darin auch die Chance für andere deutsche Zeichner und Autoren, im Ausland wahrgenommen zu werden. Was sich wiederum positiv auf den kleinen und unterentwickelten Comic-Markt in Deutschland auswirken könnte.

Fantasieren darf man ja, nachdem ein Riesentraum gerade in Erfüllung ging. Was macht Flix als nächstes? "Asterix in Berlin natürlich! Oder müsste es Berlinium heißen? Naja, damals war es einfach nur ein Sumpf. Asterix im Sumpf…... da ginge schon was!"