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Literatur On the Road

Ulla Lenze fliegt mit Außenminister Steinmeier

Nizamuddin ist ein altes Stadtviertel von Delhi, verwinkelt und schwer zugänglich. Wir steigen kurz vorher aus, bewegen uns dicht am vorbeidonnernden Verkehr entlang, es gibt keinen Bürgersteig. In meinem Haar hängt noch die Kälte aus dem Minibus, graue Abgase in hartem Sonnenlicht umnebeln die dunklen Anzüge. Der Präsident des Goethe-Instituts weist auf ein tiefes Loch im Asphalt.

Seit ich 16 bin, reise ich nach Indien. Oft mit dem Gefühl, in ein inneres Trödeln zu geraten, auch Freiheitsräusche, schon weil die gewohnten kulturellen Codes ausgehebelt sind.

Diese Reise ist anders. Am Abend klopfte es an meiner Zimmertür im „The Leela Palace“. Der Gepäckmeister überreichte mir zügig ein weißes Büchlein, es stellt sich als das faszinierendste Buch seit langem heraus. Auf 165 Seiten werden drei Delegationen (Wirtschaft, offizielle Delegation, Gäste aus der Kultur) zwei Tage lang durch Delhi gelotst. Orte, Uhrzeiten, Fahrzeugbelegung. Namen mit Dienstgraden wie Oberstabsfeldwebel, Kommandant, Kriminalkommissar. Bei mir steht: Autorin. Dass mein Name dort immer wieder auftaucht, lässt mich an die ungewöhnlichen Nachbarschaften in der chinesischen Enzyklopädie denken, an denen Foucault die Kontingenz aller Ordnungssysteme aufzeigte.

Wir betreten eine Gasse mit offenen Garküchen, in großen Woks brutzeln Samosas. Dann einen Platz mit Kameraleuten und sonnenbebrillter und verdrahteter Security. Manchmal blitzt ein weißer Haarschopf auf. Steinmeier ist im Grunde viel schlechter zu sehen als zuhause am TV. Zugleich bildet er das geheime Zentrum, nach dem wir uns diskret ausrichten: Stets in der Nähe bleiben, aber nicht würdelos hinterherdackeln. Nicht glotzen, aber auch nicht ignorant wegschauen. Es gibt Codes, die sich auch wortlos mitteilen, die sich wie ein weiteres fremdes Land vor einem ausbreiten.

Eine leichte Enttäuschung nagt an mir, obschon ich in meinem bisherigen Leben nicht darunter gelitten habe, nicht mit dem deutschen Außenminister reden zu können. Was für eine Art von Begegnung könnte das überhaupt sein? Er trifft in zwei Tagen etwa 80 Personen, unter anderen den Premierminister Indiens. Ich habe dennoch diffuse Visionen, wie ich ihm in aller Kürze erstaunliche, geniale Hinweise zu aktuellen politischen Konflikten liefere.

„Ich bring Sie jetzt mal zum Minister!“ Jemand zieht den indischen Autor, der neben mir geht, fort. Ich schlendere durch eine schöne Säulenhalle aus weißem Marmor, das „Chausath Khamba“, dessen Sanierung das Auswärtige Amt bezuschusst hat. Ein paar Minuten später löst Steinmeier sich aus seiner Entourage und kommt mit Handschlag auf mich zu.

Es folgen noch weitere Begegnungen, bei denen ich allesamt für die Weltpolitik nicht von Nutzen bin. Auf dem Rückflug mit der Luftwaffe, in einer Art James-Bond-Lounge sitzend, wo Steinmeier uns Weißwein einschenkt, denke ich an den Roman, den ich gerade fertiggestellt habe. Auf Seite Eins begleitet eine Künstlerin den Außenminister durch Istanbul. Das beschäftigt mich, seit ich die Einladung bekam. Ich könnte davon erzählen. Es könnte bedeuten, dass die Literatur dem Leben immer ein bisschen voraus ist. Nun, ich erzähle es nicht.

Ulla Lenze wurde 1973 in Mönchengladbach geboren. Im Februar erscheint ihr Roman „Die endlose Stadt“ (FVA).

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