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Literatur Atelierbesuch bei Flix

Der Deutsche, der Comic-Klassiker kann

Feuilletonredakteur
Achtung, auch die Mauer spielt mit: Szene aus "Spirou in Berlin" Achtung, auch die Mauer spielt mit: Szene aus "Spirou in Berlin"
Achtung, auch die Mauer spielt mit: Szene aus "Spirou in Berlin"
Quelle: Flix/Carlsen Verlag
Der Verlag verkauft es als Sensation, und das ist es auch: Ein deutscher Zeichner darf einen frankobelgischen Comic-Klassiker fortsetzen. Zu Besuch bei Flix, der „Spirou in Berlin“ gezeichnet hat.

An Flix’ Tür kleben zwei Witze, und beide sind keine. „Diese Klingel spinnt!“, steht auf der Klingel, was offenkundig den Tatsachen entspricht, und links davon pappt ein großes weißes Blatt hinter der Glastür. „FLiX GmbH“, steht darauf, schön gelettert von Flix himself, und wer das für romantische Ironie hält, liegt voll daneben. Denn Flix hat, um die Romantik des Comiczeichnens zu leben, den üblichen romantischen Nebenwirkungen (Armut, Krise, Nervenkrieg) entgesagt und wirklich eine FLiX GmbH gegründet – „mit Einlage, Gesellschafterstruktur, doppelter Buchführung und allem Drum und Dran.“

Vater, Mutter, Bruder sind Mitgesellschafter, alle Flix-Gelder wandern in einen Topf, aus dem Flix, dem Flix-Hauptgesellschafter, dann ein monatliches Gehalt ausgezahlt wird. Kunst kommt von Können, einerseits. Andererseits kommt Kunst aber auch von Kontrolle.

„Meine Mutter hat lange als Bildhauerin gearbeitet. Finanziell war das immer schwierig“, erzählt Flix. Also hat er auf seinen Vater gehört, der zusammen mit Flix’ Bruder bei Darmstadt ein mittelständisches IT-Unternehmen aufgebaut hat. „Mein Vadder“, sagt Flix. Wenn er ein bisschen in Fahrt ist, hört man noch den Sohn der schönen Stadt Münster in Westfalen heraus.

Der Zeichner Flix in seinem Atelier. Dessen Ausstattung reicht von der Staffelei bis zum modernen Zeichen-Tablet
Der Zeichner Flix in seinem Atelier. Dessen Ausstattung reicht von der Staffelei bis zum modernen Zeichen-Tablet
Quelle: Mari Boman

Davon abgesehen ist Flix sehr Berlin. Sein Studio liegt, wo Berlin so aussieht, wie es immer in den Zeitungen steht. Auf dem Weg von der Bahn kommt man an einer Kita, einem Fahrradgeschäft, einer Kita, einem Secondhandladen, einer Kita, einem Bioladen und einer „Bücherdisco“ vorbei. Rechts von Flix’ Haus strahlt grellweiß einer dieser typischen Townhouse-Riegel. Geradeaus, hinter dem typischen Zaun, rostet eine Kleingartenanlage vor sich hin.

Der Hauptgesellschafter öffnet selbst, er trägt T-Shirt, Jeans und Socken und empfängt auf den gefühlt 50 Zentimetern zwischen Spüle und Tür. Nach hinten raus geht es in sein Studio, nach vorne raus in das von Marv, der eigentlich Marvin Clifford heißt, unter anderem Flix’ neuen „Spirou“-Band koloriert hat und wenig später auch erscheint, um kurz Hallo zu sagen und dann den Kaffeeautomaten losspotzen zu lassen. Es ist noch ziemlich früh am Morgen, für Flix sichtlich eine gute Zeit. Er ist gern schon um acht hier. Bestimmt ist er sein bester Mann.

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Kleiner Exkurs, während der Reporter auf einem rodeosattelartigen Hocker am Zeichentisch die nötige Balance zu finden sucht: Flix ist, so ähnlich steht es in der Comicfeschichte seines Lektors Klaus Schikowski, einer der prominentesten Vertreter des deutschen „Hochschulcomics“, einer Generation von Zeichnern, die, schreibt Schikowski, in den Nullerjahren „von Hochschulen kamen, ihre Diplomarbeiten in Comicform vorlegten und sich nicht länger am Mainstream der deutschen Comickulturen orientierten, sondern vor allem am alternativen und unabhängigen Comic“.

Tatsächlich ist Felix Görmann vor mittlerweile 16 Jahren der erste Kommunikationsdesigner an der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken gewesen, der sein Studium mit einem Comic abschloss. Es hieß „Held“, ist später bei Carlsen erschienen und hat sich tatsächlich am „unabhängigen Comic“ orientiert.

Seitdem ist allerdings viel Tusche aufs Aquarellpapier geflossen und Flix, mittlerweile Anfang 40, ist mittlerweile Traditionalist. Sicher, er hat eine Menge Bücher gemacht, sein „Faust“ etwa ist das meistverkaufte deutsche Comic bei Carlsen, vor allem aber ist er an den Urort des Comicstrips zurückgekehrt, der Zeitung. Auf dem Zeichentisch liegt die neue Folge von „Glückskind“, das Flix wöchentlich für die „FAZ“ zeichnet, und die Vergleichsgröße von „Glückskind“ ist nicht Art Spiegelman („Maus“) oder Chris Ware („Building Stories“), sondern Bill Watterson, der Mann hinter „Calvin und Hobbes“. (Anders als der Waschbär in „Glückskind“ hat der Waschbär in Flix’ Regal übrigens vier Beine. Außerdem ist er ausgestopft und von Ebay.)

Vorstudien von Flix zu "Spirou in Berlin"
Vorstudien von Flix zu "Spirou in Berlin"
Quelle: Wieland Freund

Der Reporter hat mittlerweile sein Gleichgewicht gefunden. Er hat sich auf dem rodeosattelartigen Stuhl festgeklemmt, sein Notizbuch zur Hälfte unter das auf dem Tisch festgeschraubte Wacom-Zeichentablet geschoben und lässt den Blick schweifen. Halblinks unter dem Hirschgeweih hängt ein Blatt mit „Spirou“-Vorstudien, zwischen dem Wacom-Tablet und Flix breitet sich ein See aus schwarzen Feinlinern aus, auf dem halbhohen „Zeichnungsschrank“ (so heißen diese Möbel) stapeln sich Bleistiftskizzen und große Bögen Aquarellpapier. Flix, sagt Flix, mag seine raue Oberfläche. Sein Strich soll nämlich rauer werden, er will nicht mehr im Unterarm verkrampfen, sondern locker im Handgelenk werden. Er sagt den schönen Satz: „Ich tu mich schwer damit, zu krakeln.“

Am Skizzenboard
Am Skizzenboard
Quelle: Wieland Freund
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Frage: Gibt es irgendwas, das Sie nicht zeichnen können? Flix antwortet mit einem langgezogenen „Jaaa“. Dann macht er eine kleine Pause: „Ich bin nicht gut in Action. Actionszenen sind nicht meins.“ Der Reporterblick wandert zu den alten „Spirou“-Heften, die sich auf einem Hocker stapeln, der ungleich bequemer als der Rodeosattel aussieht, auf dem er sitzt. Allmählich dämmert ihm, was für ein Wagnis Flix da eingegangen ist. Einer, der glaubt, das er in Action nicht gut ist, hat als Gastautor ein Album übernommen, das vor allem Action ist: Verfolgungsjagd und Kletterei, rennen, retten, flüchten, Slapstick. „Genau“, sagt Flix in seiner ruhigen Art. „Da muss man dann andere Lösungen finden.“

„Spirou“, das Magazin, ist natürlich der Gipfelpunkt der Tradition, einer der Achttausender der Comickunst und neben „Tintin“, dem Reich Hergés und Tim und Struppis, das Allerheiligste der frankobelgischen Schule. 80 Jahre wird der abenteuerlustige Page Spirou in diesem Jahr alt, und anders als Hergés Tintin war er immer ein Freigeist und gewissermaßen ein kollektives Produkt.

Der große André Franquin hat das „Spirou“-Universum ausformuliert und ihm seine klassische Gestalt gegeben (mit dem cholerischen Reporter Fantasio, dem langschwänzigen, knallgelben Marsipulami und dem Gewirr aus Speedlines), im Grunde aber hat sich die Hälfte der frankobelgischen Meister auf die ein oder andere Art an Spirou versucht: Rob-Vel hat den Pagen erfunden, Jijé hat ihn vor Franquin fortgeführt, Greg hat Szenarien geschrieben, Jidéhem hat geholfen. Dass der Verlag Dupuis, der Rechteinhaber, jetzt zum ersten Mal einen deutschen Comickünstler einen „Spirou“ hat zeichnen lassen, ist, so gesehen, eine Sensation und der Ritterschlag für die „Hochschulcomics“, die damit natürlich ein für alle Mal aufhören, „Hochschulcomics“ zu sein. Genau genommen trägt Flix, der Mann im roten T-Shirt gegenüber, von nun an einen Heiligenschein.

Wird für den Reporter extra aus dem Müllsack geholt: Verworfenes
Wird für den Reporter extra aus dem Müllsack geholt: Verworfenes
Quelle: Wieland Freund

Aber natürlich ist „Spirou“ vor allem harte Arbeit gewesen – „sieben Monate wie auf einem anderen Planeten“, sagt Flix und holt aus der winzigen Küche eine Mülltüte voller zerknüllter Entwürfe. „Bei Franquin hat jede Geste, jeder Schritt eine unglaubliche Dynamik“, sagt er. „Als ob die Körper aus Gummi wären. Ich habe lange versucht, das nachzumachen – bis mir klar geworden ist, dass das bei Franquin aus dem Pinselstrich kommt. Was ich mit Finelinern versucht habe, macht er mit dem Pinsel.“ Pinsel liegen in Flix’ Studio nicht. Er sei, sagt er, „gnadenlos daran gescheitert“. Ein Pinsel verzeihe nämlich nichts. „Keine Ungenauigkeit! Kein Zögern! Man sieht alles!“ Es ist einer der seltenen Momente an diesem Morgen, an denen Flix mit Ausrufezeichen spricht.

Er hat trotzdem einen fabelhaften „Spirou“ gezeichnet – er ist an Franquin gewachsen und Flix geblieben, auch wenn er auf Wunsch des Verlags auf seine charakteristischen „Quadernasen“ verzichtet hat. Die Actionszenen – fliegende Trabis und Kletterpartien auf dem Alexanderturm – sind so dynamisch, wie es das Gesetz befiehlt; die Geschichte aber reicht, wie es Flix gefällt, ungleich tiefer.

Spirou und Fantasio fahren diesmal Trabi
Spirou und Fantasio fahren diesmal Trabi
Quelle: Flix/Carlsen Verlag

Die Legende will, dass bereits eines von Franquins klassischen „Spirou“-Alben, „QRN ruft Bretzelburg“, in einer fantastisch angestrichenen DDR spielte – Mangelwirtschaft, Diktatur und Geheimpolizei inklusive. Flix’ „Spirou in Berlin“ (erscheint am 31. Juli bei Carlsen. 64 S., 16 €) ist historisch ungleich akkurater; es entpuppt sich als quicklebendige Geschichte über die letzten Tage der DDR – mit Happy End, versteht sich, so wie es in den Geschichtsbüchern steht. Denn eigentlich, sagt Flix, als das Gespräch am Zeichentisch fast schon zu Ende ist, sei es ja etwas Schönes, wenn Grenzen fallen.

Für den Reporter ist es Zeit, aus dem Rodeosattel zu steigen und sich auf den Weg zu machen – an Bücherdisco, Bioladen, Kita, Fahrradgeschäft, Kita und der Berliner Mauer vorbei, die bloß noch eine Markierung im Straßenverlauf ist. Kaum in der Redaktion angekommen, erreicht ihn allerdings eine E-Mail von Flix, die fast wie eine Sprechblase klingt. „Oh nein! Sie haben ihr Notizbuch vergessen!“ Wie sich jetzt an das raue Aquarellpapier, die FliX GmbH, die Mülltüte voller Entwürfe und den ausgestopften Waschbären erinnern? Flix bringt das Notizbuch noch am selben Abend vorbei.

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