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Comic

Wie Spirou in einem neuen Comic erstmals durchs Berlin der Wendezeit streift

Mit Trabbi: Flix verfrachtet Spirou und Fantasio in die DDR der Wendezeit.

Mit Trabbi: Flix verfrachtet Spirou und Fantasio in die DDR der Wendezeit.

Hannover. Fantasio ist ganz hingerissen. „Liebes Tagebuch, Du weißt, ich übertreibe gerne“, notiert der Comic-Journalist: „Aber nirgendwo, wirklich nirgends, war es so unfassbar friedlich wie hier!“. Das Ost-Berlin des Jahres 1989 zeigt sich ihm von seiner allerbesten Seite. Noch. Fantasio – und sein Kumpel Spirou – wird auch noch die schlechten Seiten der DDR kennenlernen. Denn ihr neuestes Abenteuer, „Spirou in Berlin“, entpuppt sich als waschechter Agententhriller.

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Dieser Comic ist eine kleine Sensation. 80 Jahre ist die Figur des Spirou in diesem Jahr geworden; im frankobelgischen Bereich besitzt er einen Stellenwert wie „Asterix“ und „Lucky Luke“. In der DDR aber war er noch nie. Vor allem aber ist es das erste Mal, dass ein Deutscher einen „Spirou“-Band gestalten durfte: Felix Görmann alias Flix.

„Am Anfang war da nur der Titel“, erzählt Görmann, ein lebenslanger „Spirou“-Fan, der die Figur schon als Kind zeichnete: „Die Frage war, was man darunter erzählt.“ Letztlich fiel die Wahl leicht und auf das Wendejahr 1989: „Es ist eines der Wunder der deutschen Geschichte. Es gibt noch das Wunder von Bern und das Weihnachtswunder von 1914 – und eben das Wunder hier, Dass es gut gegangen ist und kein Blutbad wurde.“

Er habe zwischendurch auch überlegt, die 68er-Zeit und die RAF zu thematisieren: sagt Görmann: „Aber es ging eben auch von Anfang an darum, welche Zeit auch im europäischen Ausland interessant ist.“

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Im Vergleich zu Frankreich und Belgien, wo Comics einen hohen Ruf als „Neunte Kunst“ genießen, ist Deutschland in diesem Bereich Entwicklungsland. Dass sich das ändert, liegt an jungen Zeichnern wie Görmann, die, oft anhand biografischer Stoffe, ausloten, wie man – und was alles man – grafisch erzählen kann.

Er selbst hatte seinen Durchbruch im Jahr 2003 mit seiner dritten Veröffentlichung „held“, zugleich seine Abschlussarbeit als Kommunikationsdesigner. In dem Comic erzählte er sein ganzes Leben – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Weitere semibiografische Stoffe folgten, aber auch Cartoons, Zeitungsstrips, Klassiker-Umsetzungen und vieles mehr. Unter den deutschen Comic-Künstlern ist Flix einer der vielseitigsten und produktivsten.

Es ist nicht das erste Mal, dass der heute 41-Jährige sich in seinem Werken mit deutschen Befindlichkeiten auseinandersetzt. Goethes „Faust“ versetzte er in das multikulturelle Berlin, „Don Quijote“ in die ostdeutsche Provinz. Und in seiner Geschichtensammlung „Da war mal was ...“ ließ er Zeitgenossen mit ihren Erinnerungen an das geteilte Land zu Wort kommen.

„Das ist so etwas wie mein Lebensthema, auch wenn mir das lange nicht klar war“, erzählt er. Die Familie seiner Mutter floh Ende der 50er Jahre aus der DDR in die Bundesrepublik. „Mein Großvater wurde von der Staatssicherheit überwacht. Als er das herausfand, sagte er, er wolle nicht, dass seine Kinder ,Gesinnungslumpen’ werden.“ Es ging in den Westen, möglichst weit in den Westen, letztlich nach Münster, wo Görmann 1976 geboren wurde. „Heute lebe ich mit meiner Familie in Berlin, in Pankow, also im Osten“, sagt er: „Als ich hierher zog, kam alles wieder hoch.“

Und so gehorcht sein „Spirou“-Comic zwar auch den Gesetzen der Serie, ist mit viel Geschwindigkeit und Witz erzählt. Aber Flix bildet auch die Schattenseiten des Systems ab: Es wird gefoltert und scharf geschossen. Als eine (Neben-)Figur stirbt, ist das an emotionaler Eindringlichkeit kaum zu übertreffen. „Mir war es wichtig, dass diese Seiten der DDR nicht weggewitzelt werden“, sagt Flix: „Wenn wir über die Mauer reden, müssen wir auch über die Mauertoten reden.“

Flix schickt seine Helden in ein untergehendes Land, das pleite ist, aber mühsam die Fassade wahrt. Spirou, Fantasio und Serienmaskottchen Pips folgen dem schusseligen Gelehrten Graf von Rummelsdorf, der, wie sich herausstellt, für einen irrwitzigen Plan der Staatenrettung entführt wurde. Es tauchen auf: verrückte Wissenschaftler, garstige Agenten, Mitläufer und Bürgerrechtler – aber auch die junge Revolutionärin Momo, die ein Attentat auf Erich Honecker plant.

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So entsteht ein vielschichtiges Bild, und das war dem Künstler wichtig: „Die DDR war ein widersprüchliches Land“, findet er: „Man hatte einen hohen Anspruch, auch einen moralischen, den man aber immer wieder unterlaufen hat. Man war Friedensstaat, hat aber immer weiter aufgerüstet. Man wollte frei sein, hat aber die eigenen Leute überwacht. All das wollte ich abbilden.“

Dazu gibt es etliche versteckte zeitgeschichtliche Anspielungen. Da wirbt ein Parteiblatt – wie die heutige CDU – „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“, entpuppt sich ein Affe namens Boris als begnadeter Tennisspieler und hat der kleine Held von Mawils DDR-Comic „Kinderland“ einen Gastauftritt. Flix ist gut vernetzt. Atelierkollege Marvin Clifford („Schisslaweng“) verantwortet die so zurückhaltende wie stimmige Kolorierung. Cartoonist Ralph Ruthe („Shit happens“) guckte als Skriptdoktor über das fertige Werk.

Für das Flix auch lange recherchierte und historische Fotos sichtete. Der Aufwand hat sich gelohnt. Die erste Auflage ist verlagsseitig bereits ausverkauft. Die zweite wird derzeit gedruckt und soll Mitte bis Ende des Monats ausgeliefert werden. Noch ist keine definitive Veröffentlichung in Frankreich festgelegt; es sieht aber gut aus. Immerhin war dort die Übersetzung von Görmanns letztem Großwerk „Schöne Töchter“, ein großer Erfolg.

Darin erzählte er in großformatigen Einseitern Frauengeschichten und experimentierte mit der Seitengestaltung und Panel-Anordnung. Die gesammelten Erfahrungen flossen auch in den Spirou-Band ein. Da gibt es radikale Bildschnitte und rasante Wechsel. Eine Flucht durch Lüftungsrohre zieht sich im Zickzack über eine ganze Seite.

Am Ende der Geschichte steht das deutsch-deutsche Happy End. Spirou hat es nicht herbeigeführt. „Das wäre mir zu dicke gewesen“, sagt Flix. Aber sein Held trägt dazu bei, dass die Revolution eine friedliche ist. Im letzten Bild hält Momo bei einer der Montagsdemonstrationen ein Schild hoch. „Wir sind ein Volk“ steht darauf. „Das ist historisch verbürgt; es steht im Deutschen Historischen Museum“, sagt Flix: „Nicht ,Wir sind das Volk’, was die AfD gerne krakeelt. Nein: ,Wir sind ein Volk’, wir gehören zusammen und müssen das alles hier zusammen hinkriegen – darum geht’s.“

Info

Flix: "Spirou & Fantasio Spezial: Spirou in Berlin". Carlsen, 64 Seiten, 16 Euro.

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Am 18. September stellt Flix seinen Comic in der Reihe „Feinkost Comix“ bei Feinkost Lampe (Eleonorenstraße 18) vor. Los geht es um 20 Uhr. Der Eintritt kostet fünf Euro.

80 Jahre Spirou

Der smarte Hotelpage Spirou wurde 1938 für das gleichnamige belgische Comic-Journal erdacht. Sein Erfinder war der Franzose Robert „Rob-Vel“ Robert Velter; geprägt hat ihn ein anderer: André Franquin. Der schickte Spirou und seinen Freund, den Journalisten Fantasio, zu Abenteuern um die Welt und schuf die wichtigsten Nebenfiguren. Zwei von ihnen, der chaotische Bürogehilfe Gaston und das anarchische Fabeltier Marsupilami erhielten Ableger. Aktuell wird die Serie von Yoann & Fabien Vehlmann gestaltet. Dazu kommen Sonderhefte außer der Reihe – wie jetzt eben „Spirou in Berlin“.

Von Stefan Gohlisch

NP

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