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Mit dem Millarverse hat Netflix die Rechte an den Werken einer der Größen der Comicbranche erlangt. Mark Millar ist der Kopf hinter Superhelden-Meilensteinen wie Marvels Civil War und Superman: Red Son. Doch auch sein Label Millarworld produzierte einige Werke, auf die nun nach Hollywood auch Netflix aufmerksam geworden ist.

Aufmerksamen Lesern von Entwicklungen innerhalb der Comicindustrie wird nicht entgangen sein, dass vor wenigen Wochen die Adaptionen von fünf Comics aus dem sogenannten Millarverse durch Netflix angekündigt wurden. Der Streaming-Anbieter wird demzufolge Jupiter’s Legacy und American Jesus als Serien umsetzen, während die Werke Empress, Huck und das noch unveröffentlichte Sharkey the Bounty Hunter Filmadaptionen erhalten.

Wer mit jedem der soeben genannten Namen etwas anfangen kann, braucht eigentlich nicht mehr weiterlesen. Denn der Fokus dieses Artikels liegt auf der Beantwortung einer einzigen Frage: Was ist denn überhaupt dieses Millarverse?

Der Mann hinter dem Marvel Cinematic Universe?

Mark Millar, der Schöpfer des Millarverse
Mark Millar, der Schöpfer des Millarverse

Kurz gefasst beschreibt Millarverse eine Auswahl an Comics und Graphic Novels, die unter dem Label Millarworld vom namensgebenden Mark Millar und seinen Partnern herausgegeben werden. Das alleine erklärt aber noch lange nicht, warum Netflix bereit gewesen ist, für die Rechte an diesem Label angeblich zwischen 30 und 50 Millionen Dollar zu investieren. Hier ist es hilfreich, mehr über den Einfluss von Millars Werken bei den beiden größten Comic-Publishern zu betrachten. Wir reden natürlich von Marvel und DC.

1994 wurde der schottische Comicautor das erste Mal mit Arbeiten für DC beauftragt, nachdem er seit 1990 bereits für verschiedene britische Comicmagazine tätig gewesen war. Nach diversen Arbeiten für Serien wie Swamp Thing, The Flash, Superman und Justice League of America gelang Millar im Jahre 2001 ein großer Wurf – Superman: Red Son. Die 2003 veröffentlichte Geschichte in einer alternativen Zeitlinie beantwortet die Frage was passiert wäre, wenn Superman in der Sowjetunion anstelle von Amerika gelandet wäre. Die Handlung voller Alternativversionen bekannter DC-Charaktere wurde tendenziell sehr positiv aufgefasst und gilt noch heute als eine der erfolgreichsten Superman-Geschichten.

Allerdings sollte Millar die Veröffentlichung nicht mehr bei DC Comics erleben. Bereits im Jahre 2001 wechselte er, angeblich aufgrund kreativer Differenzen, zum Konkurrenten Marvel. Im gleichen Jahr war er bereits maßgeblich an der Veröffentlichung von Ultimate X-Men beteiligt, einer modernen Adaption des klassischen Teams von Marvels Mutanten. Der Erfolg dieser Serie hatte weitere Ultimate-Serien zur Folge, unter anderem die Neuinterpretation der Avengers unter dem Titel The Ultimates. Im ersten Band dieser Reihe etabliert Nick Fury eine schlagkräftige Truppe von Superhelden, bestehend aus Captain America, Giant-Man, The Wasp, Hulk und Iron Man. Im Laufe der Handlung erfolgt eine Invasion der Chitauri auf die Erde, welche von den zuvor genannten Helden mit Unterstützung von Quicksilver, Scarlet Witch, Hawkeye, Black Widow und Thor aufgehalten werden kann.

Klingt bekannt? In der Tat wurde mehrfach von beteiligten Verantwortlichen wie Regisseur Joss Whedon oder Drehbuchautor Zak Penn der Einfluss von The Ultimates auf die Verfilmung von Marvel‘s The Avengers erwähnt. Und das sollte nicht der einzige Fall bleiben, in dem Millars Werke Filme des Marvel Cinematic Universe prägten. Im Jahre 2006 begann er mit der Arbeit an der Comicreihe Civil War. In dieser sorgt der Registrierungszwang von Superhelden für eine Spaltung dieser in zwei Parteien, welche von Iron Man und Mister Fantastic (auf Seiten der Befürworter), sowie Captain America (auf Seiten der Kritiker) angeführt werden. Die siebenteilige Reihe bindet eine große Menge an Helden und Schurken in einen umfassenden Konflikt ein und diente letztendlich als Inspiration für den Film The First Avenger: Civil War.

Der Beginn des Millarverse

Doch auch außerhalb des Marvel Cinematic Universe fanden Werke von Mark Millar ihren Weg auf die große Leinwand. Weiterhin aus dem Hause Marvel stammte sein Band Wolverine: Old Man Logan, welcher in Hugh Jackmans letzten Auftritt als Wolverine im Film Logan mündete.

2004 sollte ein weiterer Grundstein für den Erfolg des Millarverse gelegt werden. In diesem Jahr wurde Millarworld offiziell gegründet und sah mit Wanted seine erste Veröffentlichung. Diese Graphic Novel folgt der Geschichte eines zutiefst unzufriedenen Verlierertypen, der schließlich von seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Superschurken erfährt, die heimlich die Kontrolle über das Weltgeschehen genommen haben. Wanted sticht hierbei mit sehr derben, amoralischen Charakteren und Dialogen heraus. Das ist möglicherweise ein Grund, warum die gleichnamige Filmadaption mit Angelina Jolie und James McAvoy einen harmloseren Hintergrund wählte und damit nur sehr lose auf der Vorlage basiert.

Weitere Serien von Millarworld, die der breiten Öffentlichkeit durch die Verfilmungen bekannt sein dürften, sind Kick-Ass und Kingsman. Seit 2010 fokussiert sich Mark Millar inzwischen auch hauptsächlich auf seine Arbeit bei Millarwold, nachdem er zuvor noch teilweise für Marvel tätig gewesen war. Dies hat zur Folge, dass seit diesen acht Jahren eine Vielzahl neuer Reihen das Licht der Welt erblickt hat, zu denen auch die nun von Netflix produzierten gehören.

Ebenfalls von Millar: Kingsman
Ebenfalls von Millar: Kingsman

Der Michael Bay der Comicbranche?

Auch bei den Werken seines eigenen Labels merkt man den starken Einfluss des Superhelden-Genres auf Millars Werke, wie beispielsweise bei Kick-Ass zu sehen ist. Das heißt jedoch nicht, dass es keine neuen Ideen gibt. So verknüpft beispielsweise das von Netflix als Serie geplante Jupiter’s Legacy das Superheldengenre mit politischen Themen und lässt sich auch von mythologischen

Ein großer Durchbruch für Millar - Superman: Red Son
Ein großer Durchbruch für Millar – Superman: Red Son

Motiven beeinflussen. Ähnlich wie bei Superman: Red Son werden Themen wie die Verantwortung von Superhelden für das Weltgeschehen, aber auch die Probleme von Familien mit mehreren Generationen von Übermenschen behandelt.

Probleme haben aber auch die Werke von Mark Millar, zumindest wenn es nach einigen kontroversen Meinung zu seinen schriftstellerischen Tätigkeiten geht. Zwar gibt es wahrscheinlich keinen Künstler, der lediglich positives Feedback erhält. Doch bei der Recherche zu diesem Artikel sind mir auf Plattformen wie Reddit und auch Amazon vermehrt Rezensionen aufgefallen, die immer die gleichen Mängel beklagen. So wird zwar gewürdigt, dass die Bände von Millar zwar generell gute Ideen und Prämissen aufweisen, allerdings oftmals auch ein Hang zur Übertreibung besteht. Der exzessive Einsatz von Gewalt oder Vulgärsprache wird teilweise als Störfaktor einer ansonsten interessanten Handlung wahrgenommen (beispielsweise bei Wanted, Kick-Ass oder Nemesis). So hat beispielsweise im englischen Sprachraum der Abschlusssatz des Protagonisten in Wanted („This is my face when I’m fucking you in the ass“) schon eine berühmt-berüchtigte Reputation. Kritiker führen an, dass Millar diese bewussten Überspitzungen nur als Schockfaktor einsetzt, um seinen Geschichten einen besonderen Knalleffekt zu verpassen. Die überspitzte Gewalt dient damit nicht der Unterstützung der Geschichte, sondern soll lediglich Aufmerksamkeit erregen.

Das eigene Empfinden des Lesers kann dieser Kritik natürlich widersprechen. Schließlich nimmt jeder Comics und Graphic Novels auf eine eigene Art wahr und heißt diese Elemente möglicherweise sogar willkommen. Die beste Möglichkeit zur Beurteilung ist, selbst ein Werk von Millar zwischen die Finger zu bekommen.

Leseempfehlungen zum Einstieg in das Millarverse

Aus diesem Grund sollen hier drei weitere Werke vorgestellt werden, die den Lesern einen ersten Eindruck in das Millarverse gestatten. Natürlich erlauben sämtliche zuvor im Text erwähnten Bände dies ebenfalls, allerdings dient jede der unten aufgeführten Empfehlungen der Verdeutlichung zuvor erwähnter Eigenheiten von Millar.

Huck

Das von Netflix als Filmumsetzung geplante Huck folgt der Geschichte eines Mannes mit Superkräften, der aber glücklich mit einem einfachen und unkomplizierten Leben ist. Zwar vollbringt der gutmütige Huck auch immer wieder kleinere und größere Heldentaten, aber ihn drängt es nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Doch was passiert, wenn ihm diese Entscheidung abgenommen wird?

Huck enthält viele Millar-typische Elemente. Ein Superhelden-Setting weist frische Ideen und Ansätze auf, greift aber dabei auch auf vertraute Klischees und Stereotypen zurück. Im Falle von Huck sind dies die Nebencharaktere und Feindbilder. Die große Stärke dieses Bandes sind definitiv sein liebenswerter Hauptcharakter und der minimalistische, aber dennoch atmosphärische Zeichenstil von Rafael Albuquerque. Huck eignet sich deswegen als Einstand, weil die Graphic Novel trotz eines frischen Gefühls nicht zu sehr von bekannten Motiven abweicht und gleichzeitig nicht merklich von Millars gefürchteten „Schockmomenten“ geprägt ist.

Bezugsquelle: Amazon, Panini

 

Reborn

Was geschieht nach dem Tod? Mit dieser Frage muss sich auch Bonnie Black beschäftigen, als sie in den letzten Atemzügen liegt. Jedoch konnte sie selbst in ihren kühnsten Träumen nicht ahnen, dass sie als junge Frau in der fantastischen Welt von Adystria wiedergeboren wird. Hier findet sie viele Begleiter ihres alten Lebens in neuen Körpern vor und muss bald erkennen, dass lange auf sie gewartet wurde. Denn sie ist die Auserwählte, die die Kräfte des Guten in Adystria gegen eine ständig wachsende Bedrohung des Bösen führen soll.

Reborn verfügt abermals über eine erfreulich frische Prämisse und ist mit den Zeichnungen von Greg Capullo ein optischer Augenschmaus. Wenngleich die Handlung im Laufe des Bandes mehr und mehr unter Klischees leidet, gelingt es Millar doch, eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen. Gleichzeitig ermöglicht diese Graphic Novel jedoch auch in gewissem Maße, die Kritikpunkte an Millar nachzuvollziehen. Denn auch Reborn weist in einigen Szenen Schockmomente auf, deren Notwendigkeit man in Frage stellen kann.

Bezugsquelle: Amazon, Panini

 

Chrononauts – Die Zeitreisenden

Dieser Band dürfte aktuell mein Lieblingswerk von Mark Millar sein. Chrononauts verfolgt die Geschichte zweier Wissenschaftler, die eine Möglichkeit zu Zeitreisen entwickeln. Dabei entscheiden sich die beiden am Ende jedoch, diese Technologie zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen – unabhängig von dem verursachten Chaos. Und in der Tat will man sich gar nicht ausmalen, was die Manipulation unterschiedlichster Epochen für Folgen hat.

Die große Stärke von Chrononauts ist hierbei seine Lockerheit und das Spiel mit den verschiedenen Zeiten. Dinosaurier, Antike, das Amerika der Dreißiger. Gefühlt kommt alles vor und verbindet sich zu einer rasanten Geschichte, die einfach nur Spaß macht und ohne unnötig wirkende Twists und schockierende Enthüllungen auskommt. Die tuscheartigen Zeichnungen von Sean Gordon Murphy setzen dem ganzen Werk noch die Krone auf und erzeugen stimmungsvolle Bilder, in deren Details man sich verlieren möchte. Eine Gute-Laune-Graphic Novel für jede Gelegenheit!

Bezugsquelle: Amazon, Panini

 

Ich hoffe, dass ich mit diesem Artikel all jenen etwas helfen konnte, die mit Mark Millar und seinem Millarverse noch nicht so viel anfangen konnten. Sollten noch weitere Fragen oder Anmerkungen offen sein, so freue ich mich auf eine Diskussion in den Kommentaren.

Artikelbilder: Panini Comics, Bearbeitet von Verena Bach

 

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