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Neuer "Captain America"-Comic Superheld im kulturellen Grabenkampf

Von "Black Panther" zum Super-Patrioten: Der afroamerikanische Intellektuelle Ta-Nehisi Coates schreibt die neue "Captain America"-Serie - und lässt den konservativen Marvel-Helden mit seiner Nation hadern.
"Captain America" #1 mit Cover von Alex Ross

"Captain America" #1 mit Cover von Alex Ross

Foto: Alex Ross/ Marvel Comics

Ta-Nehisi Coates ist erst seit zwei Jahren Comicautor, aber gleich der erste Versuch des US-Journalisten wurde ein Bestseller. Der 42-Jährige bekam damals von Marvel Comics den Auftrag, die Geschichte des schwarzen Superhelden Black Panther neu zu erzählen. Seine politisch-intellektuelle Neuerfindung des wehrhaften Herrschers der fiktiven afrikanischen Nation Wakanda trug wohl auch dazu bei, dass Marvels Filmversion der "Black Panther"-Saga zum Blockbuster wurde.

Jetzt übertrug der New Yorker Comic-Gigant dem erfolgreichen Newcomer eine der traditionsreichsten und zugleich brisantesten Titel in seinem Portfolio: Am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, erschien sein erstes "Captain America"-Heft. Die Zeichnungen stammen von Marvel-Routinier Leinil Francis Yu, die imposanten Cover von Branchenlegende Alex Ross.

Coates ist nicht nur der erste afroamerikanische Autor, der sich am wohl weißesten und patriotischsten aller Superhelden versuchen darf, er übernimmt die symbolhafte, immer wieder umstrittene Figur zudem in politisch unsicheren Zeiten. Für Marvel ist das, mit Blick auf eine vorwiegend weiße und männliche Stammkundschaft, ein mutiger Schritt, denn Coates, Korrespondent beim Magazin "The Atlantic", ist eine der führenden Intellektuellen der linksliberalen Szene. Für den Essay über sein Aufwachsen als Afroamerikaner in Amerika bekam er 2015 den National Book Award verliehen, zuletzt erschien mit "We Were Eight Years In Power" eine Sammlung von Texten über die Obama-Präsidentschaft.

Das Ideal des amerikanischen Traums

Ausgerechnet er sollte nun die Geschicke von "Captain America", dem konservativen Weltkriegsheld im Sternenbanner-Dress, lenken? Das ist nur vordergründig ein Widerspruch. Denn Coates, schrieb er im "Atlantic", versteht den Captain nicht als Flaggenpatriot, sondern als Verfassungsoptimisten nach Lincoln-Vorbild. Jahrzehntelang im Eis konserviert und in der Moderne wiederbelebt, verkörpert er das Ideal des amerikanischen Traums.

Für Coates stellt sich angesichts seiner privaten Erfahrungen und einer gespaltenen Nation die Frage: "Warum soll noch irgendjemand an diesen Traum glauben? Was mir aufregend vorkam, ist nicht, meine eigenen Worte in einem didaktischen Akt in Captain Americas Kopf zu verpflanzen, sondern vielmehr, seine Worte in meinen Kopf zu kriegen. Es geht mir um die Möglichkeit einer Erkundung - und darum, eine Stimme zu vermeiden, derer ich selbst schon müde geworden bin." Es geht also auch um die Aufnahme eines Dialogs über gemeinsame Werte und die Überwindung verhärteter Dogmen und Ressentiments.

Essayist Ta-Nehisi Coates

Essayist Ta-Nehisi Coates

Foto: Bennett Raglin/ Getty Images for Gordon Parks Foundation

Mit der erschienenen Nummer eins seiner Heftreihe lässt sich bereits in groben Zügen erahnen, welches Szenario Coates entwickelt: Captain America sieht sich mit einem Land konfrontiert, das ausgerechnet ihm, dem Nationalheiligtum, extrem misstrauisch gegenübersteht. Der Grund: In der vorherigen Story war der gute Captain zum Bösewicht geworden, hatte sich zum faschistischen Herrscher aufgeschwungen und ein Terrorregime errichtet. Zwar stellte sich heraus, dass sich die Schurkenorganisation Hydra eines Doppelgängers bemächtigt hatte - und der "richtige" Captain sein pervertiertes Alter Ego letztlich bezwingen konnte (alles sehr kompliziert), doch nicht nur das Land, auch die Reputation des Helden liegt in Trümmern.

Muskulöse Hünen und künstliche Klone

Eine Szene in Coates' "Captain America" zeigt die Zerrissenheit zweier um die Deutungshoheit ringender Amerikas: Der Captain vermöbelt eine kleine Armee martialischer Androiden, blonde, muskulöse Hünen mit Bürstenhaarschnitt, künstliche Klone des alten Marvel-Schurken Nuke, die sich eine US-Flagge ins grobschlächtige Gesicht gepinselt haben. Zeichner Yu gibt einem von ihnen in einer Nahaufnahme die Anmutung einer wutverzerrten Trump-Fratze.

Die vermeintlichen Patrioten verkörpern jenen Teil der US-Bevölkerung, der sich von Hydras autokratischem Führerkult, von der Vision eines starken und mit starker Hand geführten Amerikas nachhaltig inspiriert fühlt. Gegen diese Vergiftung will Steve Rogers alias Captain America mit seinem Glauben an Liberalität, Freiheit und das Gute einwirken, aber wie, wenn die Menschen ihn gerade noch als Schreckensherrscher erlebt haben?

Seine Story eines Helden, der mit seiner Nation über Kreuz liegt, knüpft Coates an eine lange Tradition interessanter "Captain America"-Geschichten, der sich im Laufe seiner mehr als 75-jährigen Historie schon oft gegen die Politik seiner jeweiligen Regierung stellte - etwa im Vietnamkrieg und zur Watergate-Krise. Auch in Marvels "Civil War"-Saga, die auch in den Kinofilmen zum Tragen kam, steht Captain America in Opposition zu repressiven und autoritären Politiktendenzen und agiert lieber im Untergrund, statt sich als strahlende Galionsfigur mit blauweißrotem Schild missbrauchen zu lassen. Coates, so deutet es sich an, wird auch den Super-Soldaten in den kommenden Monaten durch eine existenzielle Krise voller ideologischer und kultureller Grabenkämpfe führen, die ihn dazu zwingt, sich die Korrumpierbarkeit seiner Macht vor Augen zu führen. Politischer und gegenwärtiger kann ein Mainstream-Comic gerade nicht sein.


"Captain America" #1 kann im auf US-Hefte spezialisierten Fachgeschäft oder als digitale Versionen für Kindle oder andere Reader via Amazon.de, Marvel.com oder Comixology.eu bezogen werden.