Comic:Hommage an die Hingabe

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(Foto: Benjamin Swiczinsky, Martin Schwanzer)

Ein neuer Comic über den Architekten Karl Schwanzer, der unter anderem in München den "Vierzylinder", die BMW-Zentrale gebaut hat.

Von Gerhard Matzig

"Ich MUSS diesen Auftrag haben!" Auf Seite 52 des so verrückten wie bemerkenswerten Comics "Schwanzer - Der Architekt aus Leidenschaft" dreht sich der österreichische Planer Karl Schwanzer im Auto zum Beifahrer um. Der Beifahrer ist in diesem Fall der Leser. Man wird also direkt angesprochen. Und so rast man nur ein Bild weiter zusammen mit dem Architekten nach München. Der geöffnete Kofferraum ist voller herumflatternder Pläne, Skizzen und einigen Tollkühnheiten.

Eine dieser Tollkühnheiten betrifft in den späten Sechzigerjahren die neue BMW-Verwaltungszentrale. Karl Schwanzer will die Bosse des Autobauers von seinem Entwurf überzeugen. Er versucht ihnen zu erklären, warum er die Büros aus Gründen sowohl der emotional wirksamen Atmosphäre als auch der rationalen Kommunikation in jenen vier zylindrisch geformten Dreiviertelrotunden anordnen will, die der BMW-Zentrale später den Spitznamen "Vierzylinder" eintragen.

Und er will dem Bauherrn begreiflich machen, warum das Haus als aberwitzige Ingenieursleistung von oben nach unten errichtet beziehungsweise "abgehängt" werden soll. Auf den nächsten Bildern sind gerunzelte Augenbrauen zu sehen, Kopfschütteln - und ein Zeigefinger, der um sich kreisend zu sagen scheint: wohl verrückt geworden. Eigentlich könnte der Architekt jetzt seine Pläne wieder einpacken und zurück nach Wien fahren. Schwanzer fasst sich an den Kopf, als denke er: "Was für Idioten!" Das sagt er aber nicht. Und er gibt auch nicht auf. Er hat eine bessere Idee.

Nämlich die, im Bavaria Filmstudio ein begehbares Modell seiner futuristischen Büro-Architektur im Maßstab 1:1 bis ins kleinste Detail auf eigene Kosten nachbauen zu lassen. Samt Ausblick auf die Münchner Skyline und samt Schauspielern, die Büroangestellte mimen. Dann trommelt Schwanzer, dessen Sohn Martin später erzählte, dass sein Vater Leuten "ein Loch in den Bauch reden" konnte, sämtliche BMW-Häuptlinge zusammen, fährt mit ihnen ins Filmstudio - und erhält schließlich doch den Auftrag zum Neubau der Firmenzentrale. Schwanzer war ein manisch-rastloser Mensch, tatsächlich: ein Architekt aus Leidenschaft.

Dass zur Manie leider auch die Depression gehörte, erfuhr man erst 1975, als sich Karl Schwanzer im Alter von 57 Jahren in seinem Haus in Wien das Leben nahm.

Die Graphic Novel über einen der bedeutendsten Architekten Österreichs und der Nachkriegsmoderne, ist eine Hommage an die Hingabe, Besessenheit und Leidenschaft, ohne die es vielleicht den Bau, nicht aber die Baukunst gäbe.

Daher ist die auf 500 Exemplare limitierte Vorab-Edition (die erst in einigen Wochen als dann erweiterte Fassung über den Verlag Birkhäuser in den Handel kommen wird), die anlässlich der Nachlass-Übergabe an das Wien Museum und auch anlässlich des 100. Geburtstages von Karl Schwanzer in diesem Sommer erschienen ist, auch ein bizarres Vademecum für einen Beruf, der beides zugleich sein kann: schöpferischer Himmel und Hölle des Ausgebranntseins.

Auf dem Cover sieht einen der Architekt gar nicht komisch an. Förmlich gekleidet, stilvoll natürlich, stemmt er die Arme auf den Schreibtisch und presst die Lippen aufeinander. Entschlossen funkeln einen dunkle Augen an. Man möchte jetzt kein Mitarbeiter Schwanzers sein, die er regelmäßig in den Wahnsinn getrieben haben soll mit seinem Hang zu Kontrolle und Perfektion, zu unbedingtem Formwillen und einer Idee von der Welt, nicht wie sie ist, sondern wie sie sein sollte. Und doch hätte man ihn gern gekannt. Als einen Menschen, der brennt für seinen Beruf. Als einen berufenen Architekten.

Gezeichnet hat den Comic übrigens der Animationsfilmregisseur Benjamin Swiczinsky. Er ist der Sohn jenes Helmut Swiczinsky, der einst als Schüler von Schwanzer zusammen mit Wolf Prix das bekannte Büro Coop Himmelb(l)au gründete. Dass man unter Umständen auch den Himmel neu und besser bauen sollte: Diese Vorstellung grenzt natürlich an Wahnsinn, ist aber zugleich unabdingbar, wenn man wirklich ein Architekt mit Leidenschaft sein will.

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