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Neuer Seyfried-Comic: Flatrate-Sightseeing mit Zwille

Foto: Ziska Riemann

Neuer Seyfried-Comic Mit absurdem Biss

Der Karikaturist Gerhard Seyfried überrascht mit dem neuen Band "Zwille": Der 70-Jährige ist ein bisschen bequem geworden - doch den alten Schwung hat er nicht eingebüßt.
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Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren. Er studierte Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. 2012 veröffentlichte er den satirischen Roman "Er ist wieder da", von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Auch sein zweiter Roman "Die Hungrigen und die Satten" schaffte es auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Für den SPIEGEL schreibt er über Comics und Graphic Novels.

Kürzlich habe ich über Brösels neuen "Werner" gemault und darüber, dass man nicht sturheil den alten Sums weitervernudeln kann, wenn sich die Welt reichlich verändert hat. Da hatte ich bereits übersehen, dass mit weit weniger Gedöns ein weiterer Altstar Neues vorgelegt hat: Gerhard Seyfried. Aber, seltsam: Obwohl Seyfried mit inzwischen 70 nochmal zwei Jahre älter ist als Brösel und ebenfalls dem eigenen Kosmos treu bleibt, habe ich mir bei ihm keine so großen Sorgen gemacht. Und womit?

Mit Recht.

Denn Seyfried... den kennen Sie doch, oder? Nicht? Okay, für die Jüngeren aus der U-40-Liga: Gerhard Seyfried ist ein in München geborener linksalternativer, eher harmloser Anarchist, der in den Siebzigern nach Berlin geflohen und dort mit der Sponti-Szene verwachsen, aber nicht verschmolzen ist.

Entscheidend war seine Begegnung mit Gilbert Sheltons Serie "The Fabulous Furry Freak Brothers", eine Parodie, die die Hippie-Bewegung boshaft kritisierte und zugleich aber zutiefst mit ihr sympathisierte. Seyfrieds besondere Leistung: Ähnlich wie Harald Schmidt in punkto Late Night oder Ralf Husmann bei "The Office" schuf er - inspiriert vom US-Vorbild - eine durch und durch eigenständige deutsche Variante, die man ohne Fremdschämen genießen kann.

Seine Cartoons wie "Haschisch! - Gesundheit!" oder "Pop! Stolizei" gehörten in den Achtzigern an jeden anständigen Kühlschrank und altern dort heute erstaunlich gut. Denn wie Shelton machte Seyfried immer auch klar, dass die Linken, Alternativen und Spontis vielleicht Gutmenschen, aber keine besseren Menschen sind: mitunter einfallsreich und witzig, aber vor allem eher widerspenstig und dabei meist bequem, genusssüchtig und ähnlich dusselig wie Staat und Polizei.

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Neuer Seyfried-Comic: Flatrate-Sightseeing mit Zwille

Foto: Ziska Riemann

Mit zunehmendem Alter erweiterte Seyfried sein Spektrum: In "Starship Eden" oder den grandios bitteren "Future Subjunkies" schickte er sein Personal in die Zukunft, nur um spöttisch immer wieder dieselben Mechanismen aufzudecken: Gier, Gutgläubigkeit, Geltungsbedürfnis und die stets allgegenwärtige Werbung, die bei Seyfried besondere Freude macht, weil sie entweder brachial-platt daherkommt ("Schweinefleisch-Sensation!", "Buy more cheap junk!") oder hauchdünn übertrieben wie im neuen Band, wo gleich im ersten Panel hinter Titelheld "Zwille" ein schönes Plakat zu entdecken ist für "All you can see - Flatrate Sightseeing".

Die Story beginnt, als Zwille und seinem Kumpel MacÖko die Sozialhilfe für Comicfiguren gestrichen wird: Weil Comicfiguren nicht altern und damit den Sozialstaat jahrhundertelang belasten. Also suchen beide bei ihrem Zeichner einen neuen Job in einem neuen Comic.

Das ist, zugegeben, nicht der stärkste Plot. Wie überhaupt Seyfried möglicherweise auch ein wenig bequem geworden ist. Die Zeichnungen, früher penibel getuscht, bleiben jetzt erstaunlich bleistiftlastig, stellenweise sind sogar die Text-Linien noch zu sehen, das kannte man von Seyfried bislang nicht. Der größere Verlust ist aber, dass er seitenweise Dialoge ohne Hintergründe zeichnet, die Figuren vor schlichtem Hellblau abbildet.

Dabei ist Seyfrieds Stärke das Beobachten von Kleinigkeiten, nach wie vor: Seine Wimmelbilder sind unnachahmliche Städte- und Massenportraits, bei denen jedes noch so kleine Plakat einen Gag liefert, und sobald Seyfried einen Alternativ-Markt, die Getränketafel in einem Coffee-Shop oder eine Straßenszene zeichnet, ist der anarchische Witz genauso da wie vor 40 Jahren.

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Seyfried, Gerhard

Zwille

Verlag: fifty-fifty
Seitenzahl: 64
Für 9,95 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

29.03.2024 11.16 Uhr

Keine Gewähr

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Von den Wänden wirbt "Zahlando", auf Plakaten grüßt die SPD-Chefin "Infer Nahles", auf dem Alternativmarkt gibt es Pflastersteine zu kaufen, aufgetürmt wie Äpfel, "Sorte 1. Mai", und in Berlin servieren sie nur Burger: Döner-Burger, Haggis-Burger und Sushi Burger im "Happy Dolphin". An der Wand warnt ein Graffito vor der "Drohne Maja", und wann immer er Lust hat, stellt Seyfried bizarre Bausünden in den Hintergrund, die er so oder ähnlich in Berlin beobachtet.

All das ergibt eine schaurig-schöne Bestandsaufnahme der Gegenwart, die empört und zugleich versöhnt, die so entwaffnend und präzise kritisiert, dass man Seyfried nie wirklich böse sein kann, ihm aber permanent zustimmen muss. Wenn in 50 oder 100 Jahren Historiker oder Filmausstatter auf der Suche nach authentischem Material unserer Zeit sind, ist gut vorstellbar, dass sie bei Seyfried landen werden. Das gilt auch für "Zwille", obwohl der Band diesmal nicht so zum Überlaufen vollgestopft ist mit optischen oder sprachlichen Pointen.

Man möchte Seyfried mehr durch unseren Alltag schicken, mehr von unserem Leben durch seine Augen sehen, aber, wie er der "taz" verriet : "Comicmachen ist ein teures Hobby." Inzwischen lebt er mehr von seinen Romanen, weil da die Vorschüsse höher sind und er die Miete davon besser und zuverlässiger zahlen kann. Das ist verständlich, zumal deutsche Comic-Zeichner üblicherweise nur zwei Altersvorsorge-Optionen besitzen: Hoffen und Bangen. Aber es ist zugleich unendlich schade.

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