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Nachruf

Der Künstler Tomi Ungerer ist mit 87 Jahren in Irland gestorben

Tomi Ungerer (1931-2019)

Tomi Ungerer (1931-2019)

Hannover. Wenn Tomi Ungerer eine Hommage an Wilhelm Busch entwirft – dann geht es dabei drall und deftig zu: Dann wirft er mit lässigem Strich eine Nackte aufs Papier, deren Hintern gerade zwei grinsende Buben inspizieren. „Max und Moritz und die fromme Helene, der achte Streich“ hat Tomi Ungerer unter der Zeichnung notiert, die er vor gut einem Jahrzehnt dem Wilhelm-Busch-Museum in Hannover gewidmet hat.

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Tomi Ungerer, 1931 in Straßburg geboren und am Wochenende bei seiner Familie in Irland gestorben, hat in seinen 87 Lebensjahren mit ungeheurem Fleiß und nicht nachlassender Energie, mit Kreativität und Biss ein Œuvre geschaffen, das schon durch seine bloße Masse beeindruckt: mehr als 40.000 Zeichnungen, über 300 Plakate, 140 Bücher, dutzendweise Ölgemälde, Drucke und Skulpturen. Und wie ein roter Faden zieht sich durch seine Werk die genaue Analyse des jeweiligen Zeitgeists, die künstlerische Konzentration aufs Wesentliche und, gerade was das Geschlechterverhältnis angeht, eine Tabulosigkeit, mit der er manch biederen Zeitgenossen verstört hat.

Es brauche „eine Faust, um sich durchzusetzen“, hat er einmal zu Gisela Vetter-Liebenow gesagt, wie sich die Direktorin des Wilhelm-Busch-Museums erinnert, das ihn oft ausgestellt hat, über einen großen Sammlungsbestand von rund 250 Werken vor allem aus dem Frühwerk des Künstlers verfügt und auch derzeit Werke von ihm zeigt. Ungerer habe diese Faust am Zeichentisch eingesetzt, um seinen Themen und seiner Sichtweise Geltung zu verschaffen, darunter nicht zuletzt seinem Blick auf Erotik und Sex, auf Potenzwahn und Gier, auf den Machismo einer in Medien und Werbung immer stärker sexualisierten Gesellschaft. Er habe „die eigenen Abgründe ebenso furchtlos ausgeleuchtet wie die anderer“, konstatiert der Comic-Experte und Ungerer-Kenner Andreas Platthaus. „Tomi Ungerer kannte keine Tabus“, sagt Gisela Vetter-Liebenow, „und er scherte sich nicht um vermeintliche Grenzen der Zumutbarkeit.“

Elsässer – und Europäer

Mit dieser Haltung hat es den französischen Weltenwanderer, der 1955 in die USA gegangen war, sogar im liberalen New York, wo Tom Wolfe und Philip Roth zu seinen Freunden zählten, nicht dauerhaft gehalten. Anfang der Siebzigerjahre zog er weiter nach Kanada, in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wurde er zum Pendler zwischen einer großen Farm in Irland und seiner Heimatstadt Straßburg, die ihm bereits 2007 ein eigenes Museum gewidmet hat. Ein Elsässer war Ungerer eben stets mit ganzem Herzen. Zwischen Deutschland und Frankreich indes, so hat diese hellsichtige Warner vor nationalistischen Irrwegen einmal gesagt, wolle er sich nie entscheiden, wohl hingegen sei er aus tiefer Überzeugung Europäer.

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Neben seiner zeitkritischen Zeichenkunst ist über Jahrzehnte hinweg auch ein umfangreiches Werk an Kinderbüchern entstanden - „Die drei Räuber“ (ab 1961), „Papa Schnapp“ (ab 1973) oder auch „Kein Kuss für Mutter“ (1974), das in den USA einen Preis als „das schlimmste Kinderbuch“ erhielt, weil darin der Held Toby eine Zigarre raucht und beim Frühstück eine Flasche Schnaps auf dem Tisch steht. „Keiner“, sagte Ungerer, „hat die Kinderbuchtabus so zerschmettert wie ich.“

Im Paradies des Teufels

Bei Erwachsenen war Ungerer nicht nur mit Titeln wie „Der Furz. Vom Urknall bis heute“ oder dem „Kamasutra der Frösche“ erfolgreich, er hat auch Aphorismensammlungen verfasst, die bisweilen schon im Titel abgründige Einsichten verheißen – etwa: „Die Hölle ist das Paradies des Teufels“. Immerhin, dann ist diesem teuflisch guten Künstler ein Paradies ja – so oder so - sicher.

Zeichenkunstwerke von Tomi Ungerer sind derzeit und noch bis einschließlich 17. Februar in der Sammlungsschau „Alles Liebe!“ des Wilhelm-Busch-Museums, Georgengarten in Hannover, zu sehen.

Von Daniel Alexander Schacht

HAZ

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